Riechen

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Lachend ließ ich mich von ihm an der Hand hinterherziehen. Ich hatte Probleme, mit seinen langen Schritten mitzuhalten und stolperte ab und an, aber ich beschwerte mich nicht. Seine Augen hatten so geleuchtet, als er erzählt hatte, er hätte für heute eine Idee, was wir machen könnten. Also folgte ich ihm an diesem späten Nachmittag in den Wald, ohne die geringste Ahnung, was er vorhatte. Wir waren bestimmt schon eine Viertelstunde gelaufen, bis er plötzlich nach meiner Hand gegriffen und angefangen hatte zu laufen. Jetzt blieb er kurz vor einer Erhöhung stehen und blickte mich erwartungsvoll an, während ich versuchte, meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. „Was?“, fragte ich schließlich leicht genervt, als er nicht aufhörte, mich anzustarren. Er grinste mich nur an und zog sich das Shirt über den Kopf. Wenn er die Arme so hochhielt, zeichneten sich seine Rippen deutlich unter der blassen Haut ab. Ich schüttelte den Kopf. „Bist du bescheuert? Es ist arschkalt!“ Er lachte auf. „Stell dich nicht so an. Es ist ja nicht mal Winter.“ Gott, er war manchmal so... Ich fuhr mir mit einer Hand durch die Haare. „Was wird das überhaupt, wenn's fertig ist?“, hakte ich nach. Meine Augen wanderten über seinen Oberkörper, und meine Finger erinnerten sich nur zu gut daran, wie es sich anfühlte, über seine Haut zu fahren. Als ich ihm wieder ins Gesicht sah, hatte er ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. Er hatte es also gemerkt, toll. „Wir“, er unterbrach sich und trat näher an mich heran, um mit dem Saum meines T-Shirts zu spielen, „Gehen schwimmen.“ „Schwimmen“, wiederholte ich überrascht. Dem war aber schon klar, dass man im Wald nicht schwimmen konnte, oder? „Ich hab keine Badesachen mit“, war allerdings das, was meine Lippen verließ. „Brauchst du nicht“, erwiderte er und kam so nah an mein Gesicht heran, dass ich seinen Atem auf meinen Lippen fühlen konnte. „Wir gehen nackt.“ Ich wich zurück, doch er ergriff mein Handgelenk und führte mich auf die Erhöhung und wies dann mit der Hand, in der er sein Shirt hielt, nach unten. „Sieh mal.“ Ich sah nach unten und meine Augen weiteten sich unwillkürlich. „Nein“, sagte ich. „Doch“, sagte er. Ich lachte auf und begann, den Abhang hinunterzulaufen, auf eine Lichtung zu, deren Zentrum ein riesiger See bildete. Die Schatten der Bäume spiegelten sich in dem grünlichen Wasser und verliehen ihm ein umwerfendes Muster aus Schatten und Licht, das sich auf der Oberfläche brach wie in einem Spiegel.

Nun zögerte ich gar nicht mehr, sonder zog hastig mein eigenes Shirt über den Kopf, meine Hose folgte, bis ich auch meinen BH öffnete und zusammen mit meiner Unterhose ordentlich auf den Haufen legte. Ich wollte lieber keinen Waldboden an meiner Unterwäsche kleben haben. Ein Rascheln neben mir verriet, dass Levi es mir gleichgetan hatte, und so lief ich lachend auf das seichte Ufer zu. Kurz vor dem Wasser blieb ich stehen und warf über meine Schulter einen Blick zurück zu Levi, der immer noch am Ende des Abhangs stand. „Komm schon, du Pisser“, rief ich belustigt, „Das war doch deine Idee!“ Er gab sich einen Ruck – natürlich konnte er das nicht auf sich sitzen lassen und lief auf mich zu, griff nach meinen Schultern und schubste mich ins Wasser. Ich stolperte vorwärts, fing mich aber noch und begann, durch das fußhohe Wasser zu laufen, die Füße in die Luft werfend, sodass das Wasser hochspritzte. Wahrscheinlich sah das Ganze total bescheuert von außen aus, aber das war mir egal. Ich hatte Spaß, und außerdem war es nur Levi. Lächelnd drehte ich mich zu ihm um. Er watete schmunzelnd auf mich zu. Er sank beim Gehen in dem schlammigen Untergrund ein, er war schwerer als ich. „Ich glaub, es gefällt dir ganz gut. Oder?“, meinte er und zog die Augenbrauen hoch. „Ganz gut? Es ist wunderschön!“, lachte ich und drehte mich im Kreis. Ich fühlte, wie er mir von hinten einen Kuss auf die Schulter drückte. „Siehst du, es hat sich gelohnt“, stellte er fest. Glücklich wandte ich mich zu ihm um und warf die Arme um seinen Hals. Sofort erwiderte er die Umarmung und ich hob kurz die Beine an, um den kühlen Wind an meiner nassen Haut zu spüren. Tief atmete ich ein.

Er roch vertraut, nach Seife, Metall und Nachtluft, und ich sog alles in mich ein. Er roch nach Regen und Blut und Schweiß und Levi, er roch wie lange Abende mit Rotwein und Gummibärchen und wie Abenteuer und unvergessliche Momente. Und es wurde mir endlich klar, was er da in mir auslöste, irgendwo tief in mir drin. Es war ein warmes, vertrautes Gefühl, eins, dass ich schon lange vermisst hatte. Levi war mein zuhause geworden.

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Sie roch nach Vanilleparfüm, Thymian und Nadelbäumen, ein Geruch, der mir mittlerweile schon in Fleisch und Blut übergegangen war, ohne den ich mir das Gefühl von Geborgenheit gar nicht mehr vorstellen konnte. Ihr Geruch war wie dieser Moment nach einer langen Reise, in dem man die Tür zu seinem Zimmer aufstieß und das Gefühl hatte, angekommen zu sein, sicher zu sein. Sie roch wie zuhause sein, und sie war mein zuhause. 

Und plötzlich liebte ich dich mit allen meinen Sinnen.

Mit allen SinnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt