Die Minuten auf der Bank

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Jahre später, nachdem ich dich das letzte Mal gesehen habe, sitze ich immer noch hier auf meinem Lieblingsplatz, die Hände im Schoß gefaltet. Meinen Blick auf die Kulisse vor mir gerichtet. Trotzdem sehe ich nichts.

Ich fühle mich verloren. Es ist als wäre kein einziger Tag vergangen seit ich dir damals auf Wiedersehen gesagt habe. Jede Sekunde, in der ich an dich denke, fühlt sich intensiv an. Viele Menschen sagen, dass man die erste Liebe nicht vergisst. Nur bei mir gibt es einen Unterschied. Du warst nicht meine erste Liebe. Aber vergessen kann ich dich trotzdem einfach nicht.

Ich lebe. Ich lebe seit Jahren mein eigenes Leben. Ich bin glücklich, traurig, wütend. Manchmal läuft es super und manchmal weiß ich gar nicht mehr, was ich will oder was ich tue. In der ganzen Zeit habe ich viele Dinge überwunden, konnte vieles vergessen. Einige Themen, die mich jahrelang gequält haben, gehören letztendlich der Vergangenheit an. So manches Mal habe ich mich mit unbequemen Gefühlen auseinander gesetzt. Genauso wie ich mich mit dir auseinander gesetzt habe. Oder zumindest kann ich behaupten, ich hab es versucht.

Doch egal wie viele Jahre ins Land streichen, sehne ich mich immer noch nach dir. Du quälst mich so sehr, dass ich manchmal das Gefühl habe, keine Luft mehr zu kriegen. Das ist wie das Gefühl zu ertrinken, obwohl ich mich gar nicht im Wasser befinde.

Ständig werde ich an dich erinnert. Ob es jetzt die abgerockte Disk, das Dort oder die ehemalige Schule ist. Wirklich dauernd spukst du mir durch den Kopf. Ich hoffe so sehr dich wiederzusehen.

Gleichzeitig weiß ich, dass es eine furchtbare Entscheidung wäre, dich zu treffen. Sobald ich dich sehe überlagerst du einfach jedes andere Gefühl, zu dem ich vorher noch imstande war. Erst Tage später fühle ich mich annähernd wieder normal. Je mehr Zeit anschließend vergeht, desto mehr wirst du ein Schatten meiner Erinnerung. Irgendwann ist es so als hätte ich dich nicht erst vor kurzem getroffen. Ich lebe dann einfach weiter.

Nach dir hat sich keine Person mehr so sehr richtig angefühlt. Nicht auf die Art und Weise, wie es bei dir war. Viele, die mich mochten, waren super Menschen. Doch irgendwie hat es einfach nie gepasst. Egal wie sehr ich das auch wollte, ich konnte mich nicht darauf einlassen. Ich habe versucht einen Grund dafür zu finden. Doch das ist nicht nur mühselig, sondern auch nicht besonders sinnvoll, da es nicht darauf ankommt, warum es so ist, sondern was ich daraus mache. Trotzdem könnte es an dir liegen. 

Ich denke, du bist bis jetzt eine der größten, spannendsten Herausforderungen meines Lebens. Dagegen erscheint vieles andere wie eine leichte Aufgabe. Manchmal merke ich, dass du mich gleichzeitig lähmst und motivierst. Ich fühle mich schwach. Suche oft nach einer Lösung, die ich nicht finde. Trotzdem will ich genau wegen dir vieles schaffen. Jetzt erst recht. Schwäche zeigen will ich nicht. Das kommt gar nicht in Frage. Ich will einfach nicht zugeben, dass der Gedanke an dich mich jedes Mal wieder aus meiner Realität holt.

Mit klopfendem Herzen und einem rastlosen Gefühl im Magen stehe ich von der Bank am Kreuz auf. Langsam weicht das Chaos in meinem Kopf einer Klarheit. Der Wind und die kalten Luft bringen Schritt für Schritt auch das letzte Stück meines Verstandes in die Realität zurück.

Mein Blick schweift über braune Felder, grüne Wiesen, blühende Bäume und das abseits gelegene Dort. In der Ferne kann ich Autos hören. Ansonsten herrscht bis auf das Rascheln der Bäume eine bleierne Stille. Die atmende Natur kann ich bis auf die Knochen spüren.

Ich beschließe den gewundenen Weg wieder zurück Richtung Dort zu laufen. Während der Fußmarsch die letzten düsteren Gedanken vertreibt, wird mir einiges bewusst. Ich weiß, dass ich so unbeschwert weiterleben werde, wie es geht. Ich weiß, ich werde diese Gefühle irgendwie hinter mir lassen. Nur ist mir genauso auch bewusst, mein Herz wird sie und die Gefühle für sie nie wirklich vergessen. Egal wie sehr ich es versuche.

Mit dem Blick auf das näher kommende Dort lächle ich. Sonne ergreift mein Herz. Langsam schweifen meine Gedanken ab. Andere Themen warten nun, die mindestens ebenso sehr meiner Aufmerksamkeit bedürfen. 

Sie und ich - Zwischen Wunsch und WirklichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt