Ich schaue aus dem Fenster hinaus und nehme eine weitere Strähne meiner langen Haare in die Hand. Ich fahre sie entlang und halte inne, als ich es sehe, den Spliss. Mit einer Schere bewaffnet, trenne ich den Übeltäter von dem gesunden Haar ab und fühle mich besser, da es sich erleichternd anfühlt, eine weitere Last einfach abzutrennen. Sie würde vielleicht wieder kommen, aber ich werde sie einfach erneut abschneiden und selbst wenn sie auch dann wiederkehren sollte, kann ich sie mit einem Schnitt loswerden. So einfach kann es manchmal gehen, einfach seine Probleme abzuschneiden und wenn sie wiederkommen sollten, kann man sie auf dem einfachsten Weg wieder loswerden. Man konnte schon viele Probleme auf diese Art und Weise loswerden, du kannst sie abschneiden, abtrennen oder einfach überstehen oder überwinden, aber das ging nicht mit allem so.
Meine älteste Schwester nahm sich vor vier Jahren das Leben und ich weiß bis heute nicht warum. Andere Menschen müssen schlimmeres erleben und ich zerbreche nur daran, sicher ist es schlimm, aber es könnte immer schlimmer kommen. So dachte ich vor drei Jahren, damals wusste ich auch noch nicht, was als nächstes passieren wird.
Eigentlich will ich mich noch weiter selbst bemitleiden, wäre meine Mutter nicht gerade in mein Zimmer gekommen. Wie immer überheuft sie mich mit Enthusiasmus, welchen ich wohl nie nachvollziehen könnte und wie immer trägt sie meinen Wäschekorb aus dem Zimmer. Zwar tut sie mir damit etwas Gutes, aber es nervt, dass sie zu jeder Zeit, einfach immer in mein Zimmer eintreten konnte, wann und immer sie es auch wollte. Das sind dann wohl die typischen Teenager Gedanken. Es nervt mich einfach alles, aber das schlimmste ist, dass sie nicht merkt wie schlecht es mir geht. Sie müsste mich nur ein einziges Mal fragen, wie es mir geht und ich würde es ihr sagen, einfach alles. Es geht mir nicht gut Mom, ich glaube ich bin depressiv. Ich würde weinen, sie würde weinen, meine noch lebende Schwester würde weinen, alle würden weinen oder keiner würde weinen, nur ich und dann würde ich mir wie gewöhnlich mein kleines Präzisionsmesser nehmen und mir einen kleinen Einschnitt verpassen. Niemand bemerkt es, vielleicht interessieren sie sich nicht für mich oder sie haben eigene Probleme. Höchstwahrscheinlich kapierten sie es einfach nicht, da ich mir nur kleine Schnitte verpasste und danach sofort ein Pflaster überklebte.
»Vanessa Schatz, hast du sonst noch irgendwo Wäsche?«diese Frage dringt zu mir wie eine kleine Stechmücke hervor. Nervig und zugleich unnötig.
»Hätte ich noch Wäsche wäre sie wohl im Korb, oder nicht?« ich würdige sie keines Blickes, sondern beobachte lieber die ganzen kleinen Kinder, wie sie sich auf ihren Schulweg machen. Ich wurde heute kank geschrieben, da ich meiner Mutter sagte, dass ich Migräne hätte, was nur zum Teil stimmte. Ich kann mich einfach nicht konzentrieren, da mein Kopf von Mord und Suizid Gedanken gesteuert wird. Das war so ziemlich jeden Tag der Fall, jedoch würde das tägliche Fehlen in der Schule, meine Probleme nur vergrößern.
Bis jetzt war es ein anstrengendes Jahr voller Veränderungen, was für ein Gewohnheitstier, wie mich, tötlich sein kann. Es passierte einfach alles in diesem Jahr. Zwar bin ich mit meinen siebzehn Jahren schon fast aus der Pubertät draußen, kann ich es einfach nicht lassen, diese Gedanken, welche mich schon lange quälen. Eigentlich ist es normal in der Pubertät seine Sexuallität in frage zu stellen oder sich selbst hässlich zu finden, aber soetwas kommt mir gar nicht in den Sinn. Ich stellte mir jedesmal vor, wie ich jemanden umbringen könnte. Wenn ich in die Stadt gehe, stelle ich mir vor, dass ich mit einer Mp7 bewaffnet wäre und wahllos jeden erschieße, den ich gerade sehe. Es wäre egal wen, egal ob ich denjenigen kannte, egal ob er zu meiner Familie gehörte oder nicht. Ich stellte sie mir alle mit einer Kugel zwischen den Augen vor und dieser Gedanke brachte mich zum Lachen. Die Medien würden sagen, dass ich meine Zeit mit zu vielen Videospielen verbringe, aber das stimmte dann auch nur zum Teil.
»Ich fahre jetzt zur Arbeit, bis später!«rief mir mein allerliebstes Mütterchen von unten zu.
»Nein wirklich, ich dachte, dass du an einem Montag auch zu Hause bleibst, einfach aus Just for Fun und sehen wir uns wirklich später wieder, was wäre wenn mir ein Unfall passiert und ich ausversehen mit dem Kopf gegen ein Messer laufe, dann würdest du mich zwar später wieder sehen, ich dich dafür aber nicht.« murre ich vor mich hin und beobachte sie und meine Schwester dabei, wie sie ins Auto steigen und wegfahren. Sie winken mir zu und ich starre ihnen bloß hinterher. Ich bin alleine und traurig, über was weiß ich selbst nicht ganz genau, da ich einfach das Leben an sich scheiße finde. Warum sollte ich nett zu anderen sein, wenn ich sowieso sterbe, weshalb sollte ich mich für irgendetwas bemühen, wenn ich sowieso sterbe, wieso sollte ich das Leben meistern und so schön wie möglich leben, wenn ich sowieso sterbe? Warum, weshalb, wieso? Drei Fragen, welche mir nie beantwortet werden würden. Ich stecke in einer Sackgasse und weiß nicht mehr von wo ich gekommen war.
Meine Augen bewegen sich mit den Menschen auf der anderen Seite der Scheibe mit. Mittlerweile sehe ich schon so oft aus dem Fenster, dass ich manche Leute immer wieder erkennen kann. Sowie den trostlosen Mann, welcher seit Freitag, jeden Tag wieder kommt. Immer wieder geht er diesen Weg und gleich wie bei den anderen Leuten weiß ich nicht wo sein Ziel ist. Zwar geht er auf meine Schule, aber er redet nicht viel, eher gar nichts.
Er ist groß und blass, wie ein Vampir. Vampir war keine schlechte Beschreibung, da er sich auch immer wie einer kleidet, jeden einzelnen Tag. Langärmeliges schwarzes Hemd und eine dunkelgraue Jeans. Selbst im Sommer zieht er kein T-shirt an, niemals. Beinahe glauben die Leute, dass er etwas verstecken will. Blaue Flecken von seinem Vater, Einschusswunden, welche für einen unsterblichen wie Schmuck waren oder hässliche Tattoos. Ich glaube nichts davon, da ich es besser weiß, natürlich, da ich die selben Probleme habe. Einschnitte, Schlitze, Narben, wie man es auch nennen mag. Das ist der einzige Grund, zwar habe ich keine Beweise, aber ob meine These stimmt finde ich noch heraus.
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My Poison
RomanceMenschen brauchen manchmal einen gewissen Kick, ein Gift wenn man so will, etwas Verbotenes, was ihnen nicht gut tut. Vanessas Gift trägt den Namen Roman Denver. All unsere Geschichten beginnen mit der Geburt und enden mit dem Tot. Es gibt keine A...