II

19 3 1
                                    

Unsere Blicke treffen sich.
Er bleibt stehen und starrt in mein Zimmer. Es ist mir nicht peinlich, da er mich anstarrt und ich ihn.

Seine braunen Haare hängen ihm ins Gesicht und als er es bemerkt, streift er sie sich zurück und wendet sich langsam von mir ab. Gebannt schaue ich ihm nach. So ging das ganze schon seit Freitag und ich würde damit nicht aufhören. Diese kleinen Augenkontakte sind für mich soziemlich die ersten außerschulischen „intimeren" Konfrontationen mit einem Mann. Vielleicht ist es nicht besonders offensichtlich, aber wenn man zu sich selbst keine richtige Verbindung spührt, dann kann man sie auch nur schlecht zu einem anderen spühren. Weise Worte aus weisen Therapeutenwerbespots. Zugegebenermaßen schaue ich nicht oft Fernsehen, da ich meine kostbare Zeit lieber dafür gebrauche um mich vor mein Fenster zu setzten und schließlich zu weinen beginne, wie auch jetzt. Ich weiß nicht warum, aber es hört nicht auf und bald weine ich nur weil ich weine. Für Selbstmitleid bin ich noch menschlich genug, aber das spielt keine Rolle mehr, da ich sowieso vorhabe es zu beenden. Alles einfach zu beenden. Der einzige Grund, warum ich es noch nicht getan habe ist, dass ich feige bin und Angst habe. Ich habe Angst vor dem Tod, Angst davor was passiert, dass es wirklich ein Leben nach dem Tod gibt, da ich dann immer noch leben würde. Auch habe ich Angst falls es für mich ins Nichts gehen würde, vor dem endlosen Nichts habe ich Angst, welches mich auffressen würde und mir alles nehmen würde, dann würde ich einfach weg sein und davor habe ich Angst. Hallo mein Name ist Vanessa Twan und ich bin kompliziert, unlogisch und kaputt. So verdammt kaputt.

»Bis morgen.«flüstere ich und lege meine Hand sanft auf die Fensterscheibe. Ich vermisse ihn jetzt schon, nicht.

Er liegt auf der Straße, alle Gliedmaßen vom Körper weggestreckt und ich komme ihm immer näher. In meiner Hand halte ich den Schlüssel für das Fahrzeug, welches ihn gerade überfahren hatte. Meine Wimperntusche ist verschmiert, Tränen laufen mir von der Wange hinunter und fallen auf mein weißes Brautkleid. Hinter meinem Rücken kommt ein Messer zum Vorschein. Ich beuge mich zu ihm hinunter und er kommt mir schwach entgegen. »Ja, ich will.«keucht er, bevor ich ihm mein Messer in den Hals steckte.

Paradox, dass ich nicht weiß wie seine Stimme klingt. Meine Gedanken sind so krank, wie anderer Leute Taten. Tagträume zählen zu meinem Alltag und manchmal ist es auch nervig, meine Konsentration auf unrealistische Szenarien zu lenken, aber könnte ich meinen Kopf steuern, würde ich anders funktionieren, vielleicht normal.

Schwach stehe ich von meinem Bett auf, weshalb mein Kreislauf mich buchstäblich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück wirft. Als ich mich wieder fasse, stemme ich meine Hand an meinem Bett hinter mir ab und stehe erneut auf. Ich reibe mir über mein Gesicht und spühre meine fettige Haut. Wann war ich das letzte Mal unter der Dusche? Sonntag, letzte Woche...

Mein Geruchssinn ist, wie meine anderen Sinne ebenfalls, geschwächt. Ich rieche meinen Gestank nicht, spühre die Tränen auf meinen Wangen nicht, höre die Hilfeschreie meines Körpers nicht, schmecke den ekelhaften Geschmack meines Mundes nicht, welcher von der Vernachlässigung meiner Mundhygiene stammt und sehe nicht, dass ich Hilfe brauche. Professionelle Hilfe, welche ich voll heulen und schwafeln kann, wie ich es für richtig halte, aber das Leben ist kein Wunschkonzert.

Ich setze mein Vorhaben um und gehe in unsere Küche, wo ich mir mein Frühstück mache. Eine knusprige Toastscheibe mit nichts. Den sauren Marmeladen Nachgeschmack hasse ich, Nutella ist der Samen für meine Pickelpflanzen und andere pikante Aufstriche schaffe ich in der Früh nicht. Honig und Butter sind für eine Veganerin Gift, zwar wurde mein Lebenssinn in den letzten paar Jahren stark zerfetzt, so wurde mein Egoismus und Hass zu Menschen immer größer. Es bleibt mir nur noch eins und das sind Tiere. Sie sagen dir nicht was du zu tun hast, sie hören dir zu, ob sie wollen oder nicht, aber sie tun es und sie sind weich und schenken dir ihre Liebe. Bei Tieren muss man keinen perfekten Hintern oder Vorbau haben, dass sie es erst in Erwägung ziehen, einen zu lieben, nein, sie verlangen viel weniger. Klar, dass so eine Aussage von einem Flachland, wie mir stammt, aber es ist gut wie es ist, ich komme damit schon klar, da es nur eins von vielen Dingen ist, die mich stöhren.

Genüsslich nehme ich einen Bissen, jedoch zersplittert der Toast und es landen mehr Krümel auf dem Boden, als in meinem Mund. Mit meinem Fuß befördere ich den Haupttrigger meiner Mutter unter die Couch. Das Brot ist schnell gegessen und ich bewege mich ins Badezimmer. Mit einem Handtuch und neuen Anziehsachen bewaffnet, gehe ich die Prozedur an. Es ist ein gutes Gefühl das Wasser auf meiner Haut zu spühren, ein frisches Gefühl, aber es ist nicht richtig. Mein Körper will es, aber mein Kopf gönnt es ihm nicht. Es ist eine Belohnung die ich nicht verdiene und warum das weiß ich selbst nicht ganz genau.

Überfordert von dem Konflikt zwischen Körper und Gehirn steige ich aus der Dusche hinaus und trockne mich ab. Ich schaue in den großen Spiegel vor mir und bekomme einen Würgreiz. Abstoßend ist das einzige Wort was mir dafür einfällt. Meine Tränen sind noch immer nicht getrocknet und ich trete näher an die grausame Gestalt vor mir heran.

»Stirb!«schrie ich sie an, was meinen Tränenfluss verstärkt.

»Stirb! Stirb! Stirb, verdammt!«wiederhole ich und stütze mich am Waschbecken ab, um das rote Gesicht mit den hervorstechenden Adern genauer zu betrachten.
Geistesgegenwärtig ziehe ich mich um und stürme in mein Zimmer. Ich setze mich auf mein kleines Sofa und kauere mich darauf zusammen. Meine nassen Haare tropfen auf mein T-shirt, was meinen momentanen Ekel nur bestärkt.
Ich fixiere die Wasserflasche vor mir und greife nach ihr.

»Das traust du dich sowieso nicht.«

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 26, 2020 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

My PoisonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt