[]1 | Fragen []

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„Mhhhh, Oooopa ich will nicht aufstehen. Lass mich!" Opa kann manchmal sehr dick köpfig sein. Entsprechend mürrisch klingt meine Stimme. Ein wenig ziehe ich die für mich mittlerweile zu kleine Decke über mein Gesicht. Schmerzend hat er mich in die Seite gekniffen. Er weiß zu gut das ich es hasse. Dennoch macht er es immer wieder aufs neue. Murrend drehe ich mich zu der anderen Bettseite nun. „Autsch." Schmerzerfüllt verkünde ich es im ganzen Raum. Ein lautes Lachen tönt von gegenüber zu mir herüber.

„Siehst du Arthur das hast du nun davon. Hättest du nur auf deinen Opa gehört, dann wärst du jetzt nicht aus dem Bett gefallen. Du kannst froh sein das ich dir keinen Eimer eiskaltes Wasser über geschüttet hatte. Glaub mir das war noch ein sehr sanftes wecken. Auch wenn du mir das nicht glaubst ich bin und war immer sehr sanft zu dir. Zu meiner Zeit beim Militär gab es ganz andere Methoden um Kameraden zu wecken. Wenn du nicht aufgepasst hattest, hingst du schon Kopfüber, während unzählige Kissen auf dich einschlugen. Erst als der Kommandant sagte das du genug hattest, wurde aufgehört.

Danach durftest du erst mal 20 km laufen. Das mit Marschgepäck und knurrendem leeren Magen. Frühstück gab es als Bestrafung nicht. Wenn du unterwegs zusammengebrochen warst, wurdest du einfach aufgehoben. Zwar trugen deine Kameraden dich dann in das Ziel. Besser gesagt du wurdest dann in das Ziel geschliffen. Eigentlich heißt es immer Hauptsache man erreicht das Ziel. Aber wenn du dabei anderen zur Last fällst war es wertlos. Dennoch keiner wurde zurückgelassen.

Bestraft wurdest nicht du dann. Nein, damit würde man nicht schnell genug lernen. Schließlich soll man diesen Fehler nie mehr im ganzen Leben machen. Verschlafen könnte im Krieg tödlich sein. Nein, bestraft wurden stattdessen deine Kameraden. Ein jeder musste hungrig in sein Bett gehen. Abendessen war dann gestrichen. Als wäre das nicht genug mussten sie dir zuschauen, während du essen durftest. Es war klar das du dann das heimgezahlt bekammst. Ich habe nie erlebt das jemand zweimal diesen Fehler gemacht hatte.

Haaahhh eine schöne Zeit war das. Einfach nur herrlich, damals konnte man sich noch Schwäche leisten. Nicht so wie heute. Dennoch wir waren Soldaten, wir durften keine Fehler machen und vorallem keine Schwäche zeigen. Die Ausbildung war hart, brutal und gnadenlos. Rücksicht, so etwas kannten unsere Ausbilder nicht. Sie wollten schließlich das wir die besten wurden und vor allem überlebten. Pahhh ich schweife wieder einmal ab Arthur. Alsoooo weißt du eigentlich was heute für ein Tag ist?" Leise murmelte ich nur etwas vor mir hin.

„Ok Arthur du wolltest es so haben. Selbst Schuld. " Ehe ich auch nur ansatzweise realisieren konnte was jetzt wieder einmal kam, schrie ich schon laut auf. „Ahhhh, Brahhhhh so kalt." Von meinem Opa kam nur ein verachtendes seufzen. Das über meinem Körper ausgeschüttete Wasser, ist so eisig kalt das meine Augen schlagartig aufspringen. Genauso stehe ich in Sekunden schnelle senkrecht gerade. Dabei zittere ich am ganzen Körper wie Espenlaub. Als wäre es ein Reflex salutierte ich vor ihm. Mit klappernden Zähnen stottere ich. „N...Nei....Nein...weiß ich nicht Opa." Ich konnte erkennen das er hinter seinem Rücken etwas versteckt hatte.

Neugierig mit pochendem Herz, einer Gänsehaut sowie schlotternden Knien versuche ich hinter seinem Rücken zu schauen. „Hah nichts anderes habe ich erwartet Arthur. Du weißt der Tag kommt immer näher. Merkst du es etwa nicht auch? Ganz langsam werde ich jeden Tag schwächer. Aber ich denke es wird langsam Zeit. Also alles gute zum Geburtstag. Deine Eltern, sie wären jetzt stolz auf dich. Wenn sie dich nur sehen könnten." Bei dem Wörtchen Eltern hatte er meine komplette ungeteilte Aufmerksamkeit.

Doch spürte ich zugleich eine Traurigkeit sowie eine tiefe leere bei diesem Wort. Denn meine Eltern habe ich nie gekannt. Instinktiv senkte sich mein Kopf, mein Blick wurde betrübter. Fast schon verloren wirkte dieser. Worin verloren? Den einzigsten Menschen den ich überhaupt kenne ist Opa. Meine Gedanken werden auch wieder von seiner Stimme unterbrochen. „Was für ein prächtiger Junger Mann du doch geworden bist. Nein, du bist eher ein Soldat als das. Ich weiß, ich weiß jeden Tag lasse ich dich zich Kilometer auf diesem Laufband absolvieren. Kniebeugen, Ausfallschritte und Hechtsprünge. Ganz zu schweigen von den ganzen Kraftübungen.

Genauso die unzähligen Stunden wo ich dich das lesen und schreiben lernen lasse. Kaum zu vergessen das ich dich jedes Gerät hier in unserem kleinen Heim zerlegen und wieder zusammen setzen lasse. Aber nur so lernst du handwerkliches Geschick . Nicht immer ist es einfach für dich, aber nur so kannst du es lernen. Das musst du, noch weißt du nicht was dich erwartet. Nur leider weiß ich es zugut. Ufff ich trifte wieder ab oder? Ok Arthur. Oft genug hast du mich schon gefragt. Nach deinen Eltern oder warum du nicht raus darfst usw. Arthur heute ist der Tag wo sich alles auszahlt für dich. Deine Geduld wird belohnt. Ich hoffe nur ich bin stark genug um es dir zu erzählen." Opa faltet seine Hände ineinander fast so als würde er beten. Danach führt er weiter aus.

„Endlich bist du alt genug. 16 Jahre habe ich auf dich aufgepasst, über dich gewacht wie ein Schatz. Immer wieder habe ich dich vertröstet, dir gesagt das du dich gedulden musst. Dir hat es nie gefallen, aber du hast auf deinen Opa gehört. Bitte Arthur stelle mir alle deine Fragen. Jede einzelne werde ich dir beantworten." Langsam setzt er sich nun auf einen Stuhl vor mir. Dabei konnte ich sehen wie er den Inhalt seiner Hand in seiner Hosentasche versteckte. Hm was war es nur. Es muss klein gewesen sein. Jahre habe ich auf diesen einen Moment gewartet.

Darauf endlich zu erfahren wer ich bin, wo meine Eltern sind. Wo ich eigentlich hier bin? Warum all dieser Drill und diese Ausbildung. Was ist überhaupt der Sinn. Von meinem Leben, meiner ganzen Existenz. Ganz deutlich kann ich spüren wie diese Neugierde mich übermannt. Stürmisch rase ich auf Opa zu und umarme ihn. Besser gesagt ich versuche es. Doch ehe ich es kann, fange ich mir schon einen Schlag in die Seite. „Arthur auch wenn heute dein Geburtstag ist, bedeutet es lange noch nicht das du einen Freifahrtschein hast.

Denk immer daran Gefühle töten dich. Ufff ok, du hast Fragen. Ich habe dir Antworten versprochen." Nachdem ich meine Atmung wieder gefangen habe, setze ich mich keuchend wieder auf das Bett. Mit schmerz verzerrtem Blick reibe ich meine Seite. Voller Neugierde blicke ich auf meinen Opa, lasse dabei meinen Blick kurz umherschweifen. Auf die grauen immer gleichen Beton Wände. Lediglich unterbrochen von diversen Möbeln, Regalen und ein paar Räumen. Kurz gesagt mein Zuhause seit ich denken kann. Opa erhob langsam seine Stimme. Für einen kurzen Moment hörte ich so etwas wie ein röcheln in seiner Stimme.

„Also Arthur, es wird dir nicht gefallen was du jetzt hören wirst. Nicht immer sind die Antworten die man sucht, diese welche man auch finden will. Nicht immer ist der Sinn sofort erkennbar. Aber vergiss nie alles hat einen Sinn. Vergiss niemals die Hoffnung. Also lass mich nun beginnen. Es begann alles am 18.10.2030. Ich war oben in unserem Haus. Genau das hier ist nicht unser eigentliches Haus. Es ist oberhalb. Ich saß gerade am Frühstückstisch und rauchte eine Zigarre wie einen jeden Morgen. Das Radio spielte entspannende patriotische Musik. Gemütlich trank ich gerade meinen Kaffee während Gisela meine Frau zu mir kam.

Sie legte sanft ihre Arme um meinen Hals. Küsste zart meine Wange." Opa unterbricht kurz seinen Satz und wischt sich die Tränen weg. Noch nie habe ich ihn weinen gesehen seitdem ich ihn kenne. Er muss sie wirklich über alles geliebt haben. Vor Allem noch nie in 16 Jahren hat er über sie geredet. Nicht in einem einzigen Atemzug hatte er sie erwähnt. Mir läuft es eiskalt meinen Rücken herunter. Was war bitte denn nur so schlimmes passiert?

Das es ihm jetzt so sehr zusetzte darüber zu reden. Mir dämmerte es immer mehr wie schlimm es sein musste was jetzt kommen wird. Nervös kratzte ich mich am Arm während mein Herz immer schneller raste. Meine Augen konnte ich nun nicht mehr von Opa abwenden. Etwas schluchzend führt Opa nun fort. „Die letzte Erinnerung die ich von ihr habe. Danach verließ sie das Haus um zur Arbeit zu fahren. Ich war ja schon längst pensioniert daher blieb ich meistens im Haus. Ließ Bücher, arbeitete im Garten usw. Eigentlich war es ein ganz normaler Tag wie jeder andere zuvor auch. Lediglich ein paar Stunden später sollte sich alles ändern. Für immer und ewig.

Dies war der Moment wo die Sirenen begannen zu heulen.
Wo die Vögel verstummten.
Wo die Hoffnung starb.
Der Moment wo ich realisierte das ich meine geliebte Frau Gisela nie mehr im Arm halten werden.
Ihr nie mehr sagen kann wie sehr ich sie liebte.

Ich realisierte diese Welt wie ich sie kannte wird nun enden."

Niemandsland - Der LäuferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt