10. Türchen | Nimo

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Erneut griff sie zu einem Taschentuch und wischte sich die heißen Tränen weg, welche über ihre Wangen rannten. Stumm warf sie einen Blick auf den Tisch vor sich und auf das kleine pink-weiße Ding, welches dort zwischen all den bereits verbrauchten Taschentüchern lag. Aaliyah konnte es nicht fassen. Immer wieder schüttelte sie ungläubig den Kopf.

Sie konnte sich nicht erklären, wie das passieren konnte. Doch sie hatte es schwarz auf weiß vor sich. Die gesamte Situation überforderte sie komplett. Einerseits hatte sie Grund zur Freude, denn es war wirklich etwas besonderes, doch die Angst und Zweifel überwogen in diesem Moment. Angst vor seiner Reaktion. Angst vor der Verantwortung. Sie waren beide noch so jung und Nima war viel unterwegs, im Studio, auf Tour, bei Videodrehs im Ausland. Die beiden waren seit fast fünf Jahren zusammen und kannten sich in- und auswendig.

Trotzdem wusste sie nicht, wie sie ihrem langjährigen Freund die Nachricht am besten möglichst schonend vermitteln konnte, also behielt Aaliyah es vorerst für sich. Nicht mal ihre beste Freundin oder ihre Mutter informierte sie. Sie war der festen Überzeugung, dass Nima das Recht darauf hatte, es als erstes zu erfahren.

In den darauffolgenden Nächten tat sie kaum ein Auge zu und wälzte sich ruhelos im Bett hin und her. Wenn sie doch irgendwann mal vor Erschöpfung einschlief, dann meistens nur sehr kurz und unruhig. Sie hatte sich für die restliche Woche von der Arbeit krankgemeldet, da sie sich ziemlich beschissen fühlte. Täglich hatte sie mit starken Kopfschmerzen und Übelkeit zu kämpfen. Der fehlende Schlaf machte sich durch dunkle Augenringe bemerkbar, die sich an Aaliyahs Unterlid abzeichneten. Sie wirkte meist unkonzentriert und gestresst. Ihre Haut wies zahlreiche Unreinheiten auf, sodass Aaliyah am liebsten gar nicht mehr in den Spiegel blickte, außer um sich zu schminken.

Die täglichen Mahlzeiten fielen deutlich größer aus, meistens aß sie doppelt oder dreimal so viel wie sonst. Natürlich fiel auch Nima dies nach einer Weile auf. »Habibi, irgendwas stimmt doch nicht mit dir. Du siehst total übermüdet und fertig aus. Seit Tagen höre ich dich immer nachts, wie du im Wohnzimmer umhertappst, dich im Bett wälzt und manchmal sogar weinst. Was ist los mit dir, mein Engel? Ich mache mir Sorgen um dich. So kenne ich dich gar nicht. Du weißt doch, dass du mit mir über alles reden kannst«, sprach er sie eines Abends darauf an, nachdem er aus dem Studio zurückgekommen war und sie zusammen auf dem Sofa vor dem Kamin saßen.

Aaliyah zuckte merklich zusammen. »Ach Nima«, seufzte sie. »I-ich kann es dir nicht sagen. Noch nicht. E-es tut mir leid. Ich hab so Angst.« Ihre Stimme versagte und sie brach erneut in Tränen aus. Sie wusste, dass sie sich nicht ewig davor drücken könnte, mit ihm zu reden, aber das machte es nicht besser. Aaliyah zitterte am ganzen Körper. Wieder überkam sie die Panik. Sie fühlte sich kraftlos und schlapp. Mitfühlend nahm Nima sie in seine Arme. Sie schloss ihre Augen und kuschelte sich an seine Brust.

»Bitte, habibi. Ich will wissen, was dich bedrückt. Kann ich dir irgendwie helfen? Es gibt doch nichts, was wir nicht irgendwie zusammen schaffen könnten. Du kannst dich darauf verlassen, dass ich immer für dich da sein werde. Ich liebe dich«, meinte er zuversichtlich. Er drückte seiner Freundin einen Kuss auf die Stirn und streichelte ihr über den Rücken.

Mit zittrigen Fingern fasste Aaliyah in die Bauchtasche ihres Hoodies und zog mit viel Mühe ein winziges schwarz-weißes Bild hervor. »Darf ich sehen?« Nima nahm ihr das Bild aus der Hand, bevor sie überhaupt antworteten konnte. Fragend musterte er das kleine Foto. Er konnte nicht viel darauf erkennen, doch auf einmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

»Bist du... bist du etwa schwanger?«, Aaliyah nickte zaghaft. »Schatz, ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Wir haben doch immer aufgepasst. Fuck, wir sind doch selbst noch so jung. Ich bin bis das Baby kommt erst 22. Was werden unsere Eltern nur dazu sagen? Du startest gerade erst richtig mit deiner Karriere durch und bist dauernd unterwegs. Wie sollen wir uns dann um ein Kind kümmern? Wir haben auch nie über dieses Thema gesprochen. Willst du überhaupt mal Kinder haben? Ich habe mich nicht getraut es dir zu sagen, aus Angst, dass du mich jetzt verlässt und...« Nima unterbrach ihren Redeschwall, indem er seine Freundin leicht zu sich drehte und seine Lippen mit ihren verschloss.

»Hey, Aaliyah! Alles wird gut. Ich habe mir schon immer gewünscht selbst irgendwann Kinder zu haben und ich könnte mir keine bessere Frau dafür vorstellen, als dich. Eigentlich ist es noch etwas früh, da hast du recht. Aber jetzt ist es nun mal passiert und wir werden das gemeinsam schaffen. Egal was Mama und Papa sagen, uns kann nichts trennen. Die beiden werden sich aber ganz sicher auch für uns freuen. Ich werde etwas langsamer machen, wenn unser Kind da ist und weniger herumreisen, versprochen. Das ist selbstverständlich. Die Familie steht über allem. Es gibt nichts wichtigeres. Und ich will zukünftig natürlich bei den Terminen beim Frauenarzt mit dabei sein«, erklärte er bestimmt, nachdem sie ihre Lippen voneinander gelöst hatten.

»W-wirklich? Du willst mich also nicht verlassen und das Kind behalten?«, stotterte Aaliyah aufgeregt. »Nein, niemals könnte ich das tun. Ich liebe dich über alles und dieses kleine Ding hier drin«, Nima strich sanft mit seiner Hand über ihren Bauch, »das liebe ich auch von Herzen. Ihr beiden macht mich so unfassbar glücklich. Zu zweit schaffen wir das. Wie werden sehr viel zu tun haben, aber ich werde beruflich etwas zurückstecken, um mehr Zeit mit dir verbringen zu können und auf dich aufzupassen. Bitte höre jetzt auf zu weinen, Schatz, der ganze Stress tut dem Baby sicher nicht gut.«

Da wurde wieder sein Beschützerinstinkt geweckt. Aaliyah mochte diese liebevolle Seite an ihm und irgendwie schenkte sie seinen Worten auch endlich Glauben. Ihr fiel ein riesiger Stein vom Herzen, als es endlich raus war. Aaliyah fühlte sich wie von einer schweren Last befreit. Sie musste sich erst mal keine Sorgen mehr machen. Alles würde gut werden und in ein paar Monaten würden sie glückliche Eltern eines kleinen Prinzen oder einer kleinen Prinzessin sein.

»In welcher Woche bist du jetzt?«, fragte Nima interessiert. »In der 9. Woche.« »Ich kann es noch gar nicht glauben. Ich werde Vater. Wir werden eine kleine Familie. Wahnsinn! Ich freue mich so sehr«, jubelte er und entlockte Aaliyah damit ein Lachen. »Du bist süß, Nima. Ich liebe dich«, antwortete sie. Aaliyah war von Stolz erfüllt und konnte sich nun endlich das erste Mal wirklich auf das gemeinsame Baby und die Zukunft zu dritt freuen.

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