Jemand, der es ernst meint

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Schweigend saß ich auf meinen Sessel, die Beine übereinander geschlagen, und starrte geradeaus. Es war still. Zu still. Keine unruhigen Schritte in Richtung Kühlschrank, keine nervigen Fragen, kein Knistern der Zeitung oder das Geräusch von Johns flinken Fingern, welche über die Tastatur flogen, als würde sein Leben davon abhängen.

Meine Augen fokussierten den leeren Sessel, welcher gegenüber den meinen stand und auf welchen nur ein Kissen lag.
John war schon seit einer Stunde aus. Ein neues Date, eine neue Frau. Ich kannte nicht ihren Namen, nicht ihre Geschichte und erst recht nicht ihre Absichten. Letzteres störte mich am meisten.

Vielleicht sollte ich mich weiter um das Experiment kümmern, das in der Küche wartete, oder doch die Pistole zur Hand nehmen, um mich abzuregen. Oder aber ich sollte auf meiner Geige spielen, um in Ruhe nachzudenken. Doch da sowohl die Geige, als auch die Pistole eine Gefahr darstellten, Mrs Hudson auf eine unschöne Weise aus dem Schlaf zu holen und ihr Theater weit aus anstrengender werden würde, als das Nachdenken, war da nur noch eine Möglichkeit.

Ich wusste, dass John sich sowieso aufregen würde, wenn er morgen früh die vielen Reagenzgläser, Gasbrenner und Chemikalien auf dem Esstisch auffinden würde. So würde es sicher nicht schaden den Stoff noch einmal zu prüfen und dann zumindest den Tisch frei zu räumen. Nur schaffte ich es nicht mich zu bewegen.
Ich blieb einfach auf dem Sessel sitzen und sah abwechselnd zwischen der Tür und Johns Lieblingsplatz hin und her.
Es musste einige Zeit vergangen sein, als auf einmal Schritte zu hören waren. Sie klangen ungewöhnlich schleppend und langsam. Es schien, als würde John nicht sehr erfreut darüber zu sein heimzukehren.

Es dauerte ganze drei Sekunden, nachdem er oben auf der Treppe stehen geblieben war, bis er die Tür öffnete. Augenblicklich nahm ich seine durchnässte Kleidung und seine nassen Haare wahr. Ein kurzer Gang durch den Regen hätte nicht ausgereicht, um seine Jacke derart mit Regenwasser zu tränken. Anhand der einzelnen Tropfen, die gegen die Fensterscheibe schlugen, ließ sich schnell erschließen, dass es kein starker Regen war. Er musste also mindestens eine dreiviertel Stunde dem Wetter ausgeliefert gewesen sein.

Mein Blick wanderte von seinen Haaren zu seinem Gesicht. Irgendetwas stimmte nicht. Ich wusste, dass ich das Gegenmittel für meine Unwissenheit nur vom Wissenden selbst bekommen würde. John war jemand, den ich gut und detailliert kannte.
Wenn es jedoch um seine Liebschaften ging, erschienen dutzende ungeklärte Fragen in meinem Kopf.

„Gewöhnlich regnet es nicht in einem Kino. Es sei denn, es ist ein 4D Kino. Dieses würdest du aber nicht wählen, da eine solche Aufmachung kostspielig ist“, redete ich drauf los, ohne den Blick von ihm abzuwenden.
John zog, ohne eine Antwort zu geben, seine Jacke und anschließend seine Schuhe aus. Noch immer kein Wort sagend und mit demselben Gesichtsausdruck lief er herüber zu seinem Sessel und ließ sich darauf nieder.

„Ich war nicht im Kino“ Er legte seinen Kopf in den Nacken und atmete geräuschvoll aus. Ich sah ihn fragend an, doch reichte das nicht aus, um die Kommunikation anzuregen. „Wo warst du dann?“
„Sie hat mich versetzt“, sagte John knapp. Es schien ihm schwerzufallen darüber zu sprechen, was deuten ließ, dass es ihm ernst war. War es ihm jemals mit einer Frau ernst gewesen?
„Das tut mir leid“, sagte ich ruhig und musterte ihn weiterhin. Einen Moment herrschte Stille. Diese brach er irgendwann, ausdauernder als ich es zuvor erwartet hatte.

„Ich dachte, sie würde sich nur verspäten. Ich habe extra vor dem Eingang gewartet, damit ich sie abfangen kann. Aber sie kam nicht. Irgendwann habe ich mir Sorgen gemacht und sie auf dem Handy angerufen. Sie hat mich weggedrückt“, sprudelte es aus John heraus. „Tja, scheinbar will sie sich nicht mit einem Blogger abgeben, der ihr nichts zu bieten hat!“

„Wer auch immer diese Frau ist, sie scheint nicht die Klügste zu sein“, stellte ich fest und wechselte das obenliegende Bein mit dem anderen ab. „Offenkundig benutzt sie weder ihren Verstand noch ihre Menschenkenntnisse. Geschweige denn ihre Augen. Welche ihrer Sinnesorgane funktionieren denn überhaupt?“

„Sherlock bitte, ich habe jetzt wirklich keine Nerven dafür“, sagte John bestimmt und fuhr sich über die Schläfe. „Ich hatte ein echt beschissenen Abend und habe keine Lust auf Diskussion oder Machtspiele. Wenn du es genau wissen willst, zweifle ich gerade daran, dass ich je mit einem Menschen glücklich werden kann und…“
Er brach ab und starrte auf den Boden.
„Du bist nicht wie die meisten, John. Du kannst nicht erwarten, dass einfach irgendwer zu dir passt. Was nicht heißt, dass du alleine bleibst“, fing ich an zu sagen und senkte meinen Blick ein Stück weit.

„Du brauchst jemanden, der ein Hang zur Dramatik und Gefahr hat, damit dein eigener Bedarf abgedeckt werden kann. Du brauchst jemanden, der immer zu dir hält und dem du vertrauen kannst. Du brauchst jemanden, der dir den Weg weist und der doch deinen Mut und deine Willensstärke schätzt und auch mal eine Schulter braucht. Jemand, der dein Humor versteht und deine ruhige Art als angenehm einstuft und sie irgendwie auch braucht. Jemand, der sich nach Abenteuer sehnt und dich nicht langweilt. Jemand, der dich herausfordert und der dich nie in Stich lassen würde. Jemand, der es ernst mit dir meint!“

Auf diese Worte herrschte erneut Stille. John hatte den Kopf erst gesenkt und nun wieder gehoben. Er sah mir so tief in die Augen, dass ich mich ernsthaft fragte, was er darin zu finden glaubte. So hatte er mich nie zuvor angesehen. Als dieser Blick auch nach längeren warten nicht verschwand, war ich endgültig irritiert.

„Was ist?“, fragte ich nach und befürchtete, dass ich ihn vielleicht mit den Worten verletzt haben könnte. Doch warum sollten ihn diese Feststellungen verletzen?
„Nichts“, murmelte John schließlich und wich meinen Augen aus. „Gar nichts“
„Möchtest du einen Tee?“, fragte ich da nach und erhob mich, noch bevor er eine Antwort geben konnte. „Du siehst durchgefroren aus“

„Ja“, sagte John kaum hörbar. „Danke“ Doch statt mir in die Küche zu folgen, blieb er starr auf dem Sessel sitzen. Ihm ging es offenbar wirklich nicht gut oder es war auf seine typische Trägheit zurückzuführen.
Ich bereitete einen Tee zu und holte aus dem Bad ein Handtuch. Als ich ihm dieses von hinten um die Schulter legte, zuckte er erschrocken zusammen. Ich ignorierte seine Reaktion und hielt ihm bloß die dampfende Teetasse vor die Nase. Dankbar nickend nahm er sie an und sah einen Moment auf die bräunliche Oberfläche des Getränks.

„Ich bin froh, dass du hier bist“, sagte er auf einmal und sah von dem Tee in mein Gesicht. Ich setzte mich abermals ihm gegenüber und schlug die Beine übereinander. „Eben habe ich dich doch noch genervt“
„Das tust du… Ständig“, bestätigte John meine Vermutung. Ich erwiderte seinen Blick beleidigt. Doch schien dies unbegründet zu sein, da er auf einmal hinzufügte: „Aber du bist der einzige, dem ich das verzeihen kann“

It's more than just a game (Sherlock - OS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt