Kapitel 1

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„Aby", redete Tante Maggy immer und immer wieder auf mich ein. „Seit zwei Jahren hast du nichts mehr unternommen. Es wird Zeit dass du ins Leben zurückkehrst. Neue Freunde findest. Spaß hast." Seufzend klappte ich mein Buch zu.
„Und was soll ich tun? Neue Menschen kennenlernen, nur um sie dann irgendwie wieder zu verlieren? Du weißt nicht wie sich das anfühlt, Maggy. Ich will keine neuen Freunde. Und Spaß? Wann hatte ich das letzte Mal denn bitte so richtig Spaß ge-"
„Aby, es reicht!", unterbrach sie mich. Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt.
Ich war zu weit gegangen.
„Du bist nicht die einzige, die der Verlust deiner Eltern traurig gemacht hat, okay? Hör doch mal auf, immer nur an dich zu denken. Aber diese Trauer... die kann man überwinden! Du darfst dich nur nicht immer verkriechen. Du musst aus deinem elenden Loch rauskommen und endlich wieder richtig leben." Es folgte eine kurze Pause. Schließlich sah mir Tante Maggy direkt in die Augen und sagte mit ernster, trauriger Stimme: „Ich weiß was ich mit dir tun werde. Pack deine Sachen." Geschockt sprang ich auf. „Was? Willst du mich jetzt zum Jugendamt schicken? Oder ins Waisenheim? Maggy es tut mir so leid... Aber bitte schick mich nicht weg!" Sie schmunzelte. Es lag ein Glanz in ihren Augen.
Hoffnung.
„Aby", sagte sie feierlich, „Ich werde dafür sorgen, dass du ab morgen ein neues Leben an der Royal Academy starten wirst. Es wird dir gefallen." Ungläubig starrte ich in ihr entschlossenes Gesicht. „Ein Internat?"

Um sechs Uhr morgens kam Maggy in mein Zimmer geplatzt. „Aufstehen!", rief sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Verschlafen rieb ich mir die Augen. „Waas?...", gähnte ich. Ich hatte sie noch nie so fröhlich gesehen. Als mir wieder einfiel, was sie heute vor hatte, musste ich schlucken. Dass ich gegen sie keine Chance hatte, war mir bereits klar. Am gestrigen Abend hatte ich mühsam versucht sie umzustimmen, aber sie war felsenfest davon überzeugt, dass mir das guttun würde.
„In den Ferien kannst du mich jeder Zeit besuchen kommen. Und wenn du erstmal deinen Abschluss fertig hast...", hatte sie lachend drauflos geplappert. Maggy war früher selber einmal auf der Royal Academy gewesen. Anscheinend hat es ihr großartig gefallen.
Ich brauchte nur einen kleinen Koffer. Von Klamotten hielt ich nicht viel, außerdem sollte es dort eine Schuluniform geben. Medien waren sowieso nicht erlaubt. Träge schleppte ich mich aus meinem Bett, zog eine enge Jeans und ein schwarzes Top an, kämmte meine blonden glatten Haare und putze Zähne. Danach sah ich unsicher in den Spiegel. Ich erschrak. Meine blauen Augen waren umgeben von dunklen Augenringen. Meine Lippen waren blass und spröde. Da kann man noch etwas nachhelfen..., dachte ich schmunzelnd und trug etwas Lipgloss und Mascara auf. Meine Augen umrandete ich mit einem dünnen Eyeliner Strich. Zufrieden betrachtete ich mich im Spiegel. Besser.
Die Autofahrt zog sich ewig dahin. Maggy hatte das Radio voll aufgedreht und sang lauthals mit. Ich saß hinten, den Kopf ans Fenster gelehnt und starrte die Landschaft an, die sich an mir vorbei zog. Wieso musste nur alles immer so kompliziert sein? Aber ich würde das hier durchstehen. Bis zum Ende. Das war ich Tante Maggy einfach schuldig. Sie war immer für mich da gewesen. Von der ersten Sekunde an. Ich wollte sie nicht enttäuschen.
Irgendwann wandelte sich die Autobahn mehr und mehr in eine normale Straße um und verschmolz schließlich in einen kleinen holprigen Pfad, der durch einen Wald führte. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Wald nie zu Ende gehen wollte. Was immer sich da hinter befand, es musste wunderschön sein. Und ruhig. Abgeschieden von der Stadt, getrennt durch diesen riesigen Wald. Und so war es.
Immer und immer mehr drang Tageslicht in Strahlen durch das dicke Geäst. Von Zeit zu Zeit wurden die Bäume weniger und schließlich hatten wir sie hinter uns.
Mir stockte der Atem, als ich sah, was sich hinter dem Wald verbarg. Wir waren auf einem großen Hügel. Darunter erstreckte sich kilometerweit eine riesige Wiese. Von hier oben hatte man den perfekten Blick auf die Landschaft. In der Mitte des gepflegten Rasens ragte ein gewaltiges Schloss mit unzähligen Türmen auf. Rechts davon befanden sich Sportplätze, eine kleine Hütte und mehrere Erntefelder. Daneben war ein großer Bauernhof, auf dem mehrere Tiere lebten und sich von Schülern füttern und pflegen ließen.
Auf der linken Seite des Schlosses befanden sich mehrere Hütten, welche mit kleinen Steinwegen verbunden wurden. Auf dem ganzen Schulgelände tummelten sich Kinder, die mit ihren Freunden spielten, quatschten oder auf einer Bank saßen und lernten. Das Ganze wirkte herzlich und zum ersten Mal empfand ich so etwas wie Hoffnung. Würde ich später einmal genau so glücklich sein wie die da unten? Lächelnd schaute Maggy zu mir nach hinten „Wilkommen in der Royal Academy!"

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