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Juli 2009

Malou

Eigentlich gibt es ja fast nichts schlimmeres als aus Frust oder Langeweile zu rauchen. Und dennoch stehe ich hier auf der kleinen Terrasse meiner Mietwohnung und ziehe wie ein Junkie an der Zigarette. Obgleich ich mir auch einreden könnte das es eigentlich egal ist. 5 Jahre haben David und ich versucht ein Kind zu bekommen. Das ständige Hoffen und Bangen hat uns fast wahnsinnig gemacht. All die Untersuchen, Behandlungen und Gespräche waren zum Ende hin einfach nur noch zermürbend. 

Ja, ich wollte immer Kinder und David war  genau der zuverlässige Partner, den sich jede Frau nur wünschen kann. Aber mein Körper lässt es einfach nicht zu. Der Streit heute Abend war somit unausweichlich gewesen, als ich ihm gesagt habe, daß ich nicht mehr kann und will. 

Nach jeder Menge verletzenden Worten und großen Gesten auf beiden Seiten ist er einfach abgerauscht, muss den Kopf frei bekommen, meinte er. Und nun sitze ich hier, mit einer billigen Flasche Weißwein aus den Supermarkt und einer Schachtel Zigaretten, aus der ich bereits die vierte angezündet habe. Torkelnd gehe ich zum Geländer der Terrasse und schaue in den Nachthimmel auf, klare Sicht auf unendlich viele Sterne. 

Schaufend schnipse ich den Glimmstängel auf den perfekten Rasen meines Vermieters unter mir und weiß jetzt schon, dass es das erste morgen sein wird, was er Mal wieder zu bemängeln hat, nachdem seine neugierige Frau gefragt hat was denn bei uns schon wieder bei uns los gewesen sei. 

Und wie immer, werde ich freundlich lächelnd meine kleine Revolution vom Rasen sammeln und mit einer abwinkenden Handbewegung der Frage aus dem Weg gehen. 

Mit unsicheren Schritten gehe ich zum großen Sideboard im Flur, bedacht darauf nichts von dem Wein in meiner Hand auf dem weißen Teppich zu verteilen. Ich gehe in die Hocke und ziehe die letzte Schublade auf, greife nach hinten in die linke Ecke und ziehe einen kleinen flachen Karton heraus, lasse mich mit dem Wein in der einen und der Box in der andern Hand einfach auf meinen mittlerweile gut gepolsterten Hintern plumpsen. Ja, all die Behandlungen sind nicht nur psychisch eine Belastung, auch mein Körper hat darunter gelitten auf verschiedenste Weise unter anderem, dass ich trotz gesunder und ausgewogener Ernährung gut 6 Kilo zugelegt habe. 

Aber heute ist es mir egal. Noch ein paar Schlucke aus dem spießigen Weinglas und auch das wird wenigstens für eine Weile in den Hintergrund rücken. 

Ich stelle das Glas neben mir ab, setze mich im Schneidersitz mit dem Rücken an die Wand und schiebe langsam den Deckel des Kartons fort. 

Tief Luft holend und mit schwitzigen Händen streiche ich über das Papier, welches sich im Inneren befindet. Es sind gut 20 Briefe, viele kleine Eindrücke aus Amsterdam. Und vor allem Bilder von Stijn und seinem  Sohn. Obwohl ich weiß das er und Seraphina verheiratet sind, versetzt es meinem Herzen immer wieder einen Stich wenn ich daran denke, wie dieses unschuldige Wesen in Stijn's Armen entstanden ist. Gott er sieht genauso aus wie sein Vater. Bedächtig streiche ich über das bunte Bild in meiner Hand. Auf den ersten Blick sehen beide glücklich aus, doch kommt weder bei dem Kleinen,  noch bei Stijn die Fröhlichkeit in den Augen an. 

Melissa, Stijn's Mutter hat mir in all den Jahren immer mal wieder ein paar Zeilen und ein Foto geschickt. Sie hat mir davon berichtet, wie sehr ihr Sohn bemüht ist ein guter Ehemann und Vater zu sein, obwohl seine Frau ihn mehr als nur schlecht behandelt. Sie schrieb, dass sie und Stijn's Vater kein gutes Verhältnis zu Seraphina haben, obwohl sie ihren Sohn zu Beginn sogar selbst in ihre Arme getrieben haben, als sie erfuhren,  dass Seraphina ihren Enkel unter dem Herzen trug,...

Doch die Briefe endeten vor ein paar Jahren. Warum werde ich wohl niemals erfahren. Es juckt mich so in den Fingern einfach ins Auto zu steigen und Herrn und Frau Andersson einfach zu besuchen. Wie oft waren die letzten Worte in Melissa's Briefen:

NordmannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt