lebe Wohl

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Hier stand ich nun. Im Supermarkt. Ohne Kraft. Ohne Willen. Trotzdem hatte ich mich geschminkt, damit niemand Sah wie fertig ich war. Trotzdem hatte ich mir extra einen Pulli angezogen, damit die Leute die schnitte an meinen Armen nicht sahen. Mir tat alles weh. Wenn es nach mir ginge könnte ich schlafen und nie wieder aufwachen.Doch es geht nicht. Ich war unmotiviert und wollte mich in meiner Wohnung vergraben. Aber ich war hier. Weil mir etwas simples wie Essen ausging.

Ich schob den Einkaufswagen durch die Abteilungen und warf ab und zu etwas hinein. Ich dachte nichts. Ich weiß nicht ob das möglich ist, aber mein Kopf war einfach leer. Ich fühlte mich wie eine Hülle, die ihre Pflichten erledigte. Ohne Gefühle. Ohne Menschlichkeit.

Meine Augen striffen träge umher und blieben an einer Person hängen. Eine Person - mit den mir so bekannten, stumpfen braunen Augen. Mit den so oft gebändigt, jedoch immer noch zerzausten Blonden locken. Wir starten uns an. Mein Herz setzte aus. Hier, in einem unbedeutenden Supermarkt, direkt vor meinen Augen, stand eine Version meiner selbst.

SIE stand einfach nur da. Mit einem Blick, so voller Traurigkeit das mir unwillkürlich Tränen in die Augen schossen. All die Jahre hatte ich vermieden zu weinen. Ich hatte gekämpft. Oh ja, ich hatte alles getan um mich über Wasser zu halten, alles gemacht um in dieser Unmenschlichkeit zu überleben. Und wo war ich gelandet? Ich stand in einem dreckigen Supermarkt und weinte weil ich mir einbildete mich selbst zu sehen. Ich hatte mich geschminkt, damit niemand Sah wie fertig ich war. Ich hatte mir einen Pulli angezogen damit die Leute die schnitte an meinen Armen nicht sahen.

SIE sah wirklich genau so aus wie ich. Zumindest fast. SIE war ungeschminkt. In kurzen Hosen und einem top. So das man alle Narben sah. Mein tiefer Schnitt am rechten oberschenkel . Meine Breite Narbe am Dekolleté. Und etliche kleine schnitte über dem Körper verteilt.

Jedoch war da noch mehr. Schnitte, die ich gar nicht hatte. Noch nicht.

Ja, in diesem Moment würde es mir bewusst. SIE war nicht nur ich. SIE war meine Zukunft. In zwei, zehn oder fünfzig Jahren. Nichts würde besser werden. Ich würde in meiner wohnung leben. Und mein Lieblings Gegenstand war das Messer. SIE verschwand. Sie hatte das nötige getan. Ihre Aufgabe war erledigt. Denn ich hatte den Entschluss gefasst.

Wozu kämpfen wenn man nicht gewinnen kann? Warum probieren wenn man gesehen hat das alles nichts bringt. Ich gebe auf. Ja verdammt. Das wars. Ich würde mich nie wieder schminken oder meine Narben überdecken. Ich ließ den Einkaufswagen stehen. Ich musste nach hause. Mein Messer würde heute seinen wohl wichtigsten Auftrag erfüllen.

Aber zuvor muss ich schreiben. Und zwar alles.

"Lebe Wohl. "

~kein *ganzes* Buch~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt