Liebe ist Freundschaft

02 - Die Begegnung

Freitag, 17.05.2019, vor 27 Jahren

Hektisch blickte ich abwechselnd von meiner Armbanduhr auf meine Karteikarten. Es war bereits 7.55 Uhr.
„Noch fünf Minuten, Begüm, hadi", sprach ich mir motiviert aber gleichzeitig auch gestresst zu. Ein weiterer Blick auf meine Karteikarten genügte, um mich zu vergewissern, dass ich mir nur noch den letzten neurobiologischen Vorgang einprägen musste.
Ich liebe Biologie, das Thema Neurobiologie hatte mir jedoch all meine Nerven geraubt.

Ha. ha. ha. Checkt ihr? Neurobiologie. Nerven. Ok, ich bin leise.

„Ach, scheiß drauf Begüm, bringt doch eh nichts mehr!", versuchte mich meine beste Freundin zu beruhigen, die, im Gegensatz zu mir, sorglos an ihrem Handy beschäftigt war. „Danke Özlem, jetzt geht es mir schon viel besser, wirklich!", antwortete ich ironisch. Meine Augen weiteten sich, als ich bemerkte, dass die Rückseite meiner Karteikarte auch noch weitere Informationen enthielt. 

Hast wohl doch kein so gutes Gehirn, Begüm? Klappe!

Nervös las ich mir, aber jetzt wirklich, die letzten Informationen durch. Meine Nervosität stieg immer weiter an, weshalb ich demnach nervös im Vorderhof des Pausengeländes auf und ab herumlief. Meine dunkelbraunen Augen schweiften um den großen Pausenhof umher. Jeder hatte seine eigenen kleinen Grüppchen gebildet, von der 5. Klasse bis zur 13. Klasse. Einige kleine Kinder rannten rum und hatten für diese Uhrzeit bereits reichlich an Energie getankt und tobten sich komplett aus. Mit einem leeren Blick wanderten meine Augen immer weiter über den Schulhof.

„Das Gehirn ist das-", plötzlich blieb mein Blick jedoch an etwas hängen, was meine komplette Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war etwas rotes, was durch die Gebüsche draußen vor dem Schulgebäude hervortrat. Im nächsten Moment war der Satz in meinem Gedächtnis wie aufgelöst und nicht mehr auffindbar, genauso wie das rote etwas. Irritiert zog ich meine Augenbrauen zusammen und suchte vergeblich danach. Dabei wusste ich nicht einmal, nach was ich suchte.

Die schwere Holztür des Haupteingangs fiel auf und ich sah sie wieder - das rote etwas, was sich als eine rote Cap entpuppte, welche einer männlichen Gestalt zugeordnet werden konnte. Automatisch aber unabsichtlich bemusterte ich den Jungen, so gut es ging, von unten bis nach oben - er trug weiße Sneakers, eine dunkelblaue etwas enger anliegende Hose, einen schwarzen Pullover und darüber eine türkisfarbene Trainingsjacke von Nike. Sein Outfit wurde, wie bereits erwähnt, von einer roten Cap abgerundet, welche er allerdings verkehrt herum trug. Sein Gesicht wurde von einem leichten Bart verziert und passte perfekt ins Gesamtbild.
Mein Blick haftete nun förmlich auf ihm.
Ich fragte mich, wer das sein konnte, ich hatte ihn vorher noch nie gesehen.

„Ey Özlem, hast du den Typen gesehen?", flüsterte ich und deutete unauffällig zum Haupteingang. Sie guckte mich verwirrt an, da niemand mehr dort stand. „Scheisse man", murmelte ich enttäuscht.
Im nächsten Augenblick wurde ich aus meiner Enttäuschung förmlich herausgerissen, da es zu meiner zweistündigen Klausur klingelte, welche gleichzeitig meine letzte Klausur für dieses Jahr in Biologie wäre. Mein kleines Problem war bloß, dass ich die Klausur für den kurzen Augenblick komplett vergessen hatte.

Eilig verstaute ich meine Karteikarten in meiner Handtasche und sah aus dem Augenwinkel, wie die ersten Schülerinnen und Schüler aus meinem Jahrgang bereits in der Aula verschwanden. „Hadi, Begüm, beeil dich!", forderte mich Özlem ungeduldig auf und öffnete schon die Glastüre zur Aula. Schnell betrat ich den großen Versammlungsraum, mit einer gewissen Hoffnung, den Jungen mit der roten Cap vielleicht irgendwie noch einmal antreffen zu können.
Ich wollte einfach umbedingt wissen, wer er war.

Zu meinem Glück war die Aula bereits gefüllt, als Özlem und ich sie betraten. Eine kleine Macke an mir ist nämlich, dass ich in Klausuren nur vorne sitzen kann, da ich nervös werde, wenn ich Leute vor mir sehe, die am schreiben sind - jetzt saß ich allerdings in einer der letzten Reihen. Danke für nichts. Bitte für alles.