In rasendem Tempo fuhr er auf mich zu. Ich konnte mich nicht bewegen, die Augen weit aufgerissen konnte ich nichts anderes tun, als auf den Zusammenprall zu warten. Ich sah seine blauen Augen sich erschrocken weiten, ein Bremsmanöver, gekonnt ausgeführt, aber nicht genug. Er prallte auf mich und schleuderte mich rückwärts auf das Eis. Meine Schlittschuhe schlugen Kerben in die Bahn und die Mütze flog mir vom Kopf. Er versuchte, mich irgendwie aufzufangen, landete aber letztlich doch auf mir. Ich schlug hart auf den Rücken und rang hustend nach Luft. Er rollte sich von mir herunter und setzte sich auf. Ich versuchte dasselbe. Mir tat alles weh. "Ist dir was passiert?", fragte er entsetzt und hielt mir meine Mütze hin. Ich versuchte, tief durchzuatmen um wieder halbwegs Luft zu bekommen und reden zu können. Hustend griff ich nach der Mütze und wollte ihn anfahren, doch heraus kam nur ein Krächzen: "Du Idiot! Hast du denn keine Augen im Ko..." Ein neuer Hustenanfall schüttelte mich und trieb mir die Tränen in die Augen. "Geht's?", hörte ich seine besorgte Stimme. Ich wollte dem Typen am liebsten eine knallen. Doch ich beherrschte mich, starrte ihn nur finster an. "Hey, ist alles in Ordnung?" "Wonach sieht es denn aus?", fauchte ich und hustete erneut. "Aber wenn du es genau wissen willst: mir geht's bestens, abgesehen davon, dass ich kaum Luft bekomme, weil mich irgendein blinder Trottel eben über den Haufen gefahren hat!" Wütend rappelte ich mich auf. Er stand ebenfalls auf und fuhr sich durch die blonden Haare. Sie waren verwuschelt und sahen aus, als wäre er eben erst aufgestanden. Oder als ob er eine unschuldige, 17-jährige Eisläuferin umgefahren hätte. Ich sah ihn mir genauer an, während ich nach Luft rang. Seine Augen waren blau, mit grauen Sprenkeln. Als er vorsichtig lächelte bildeten sich Grübchen in seinen Wangen. "Es tut mir ehrlich leid, ich habe dich einfach nicht gesehen.. war zu sehr auf meine Aufgabe konzentriert!" Zerknirscht sah er mich an und knetete seine Hände. "War deine Aufgabe vielleicht, mich umzufahren?", fragte ich trocken. "Nein, eigentlich sollte ich den Bogen enger fahren und einen Sprung dran hängen..", erwiderte er. Moment. Bitte was? Einen Sprung dran hängen? Ich sah ihn entgeistert und verwirrt an. "Ich trainiere Eiskunstlauf", klärte er mich auf. Ich schnappte innerlich nach Luft. Genau das tat ich auch - nur hatten meine Eltern nicht das Geld, mir Stunden, die nötige Ausrüstung oder einen Kurs zu bezahlen. Ich hatte mehrere Ferien lang gejobbt, um mir meine jetzigen Schlittschuhe zu kaufen, und selbst die waren gebraucht. Wenn auch echt gut, sie passten mir perfekt. Mit der Zeit hatte ich mir Einiges an Können angeeignet, wenn es auch nicht perfekt war, ich fand es gar nicht so schlecht. Meine kleine Schwester Sophie war total begeistert, wobei die mich in quasi allem bewunderte. "Gehören zu eurem Training nicht auch Ausweichmanöver?", antwortete ich. Er schluckte. Lass es gut sein, Ann, meldete sich mein Gewissen zu Wort. Der Kerl hatte mich ja wirklich nicht mit Absicht umgefahren. "Eigentlich ja.. aber jeder hat seine Schwächen!", sagte er. Sein Lächeln zog mich in seinen Bann, ich musste mich zusammen reißen. "Ja.. das stimmt wohl", erwiderte ich lahm. Herrgott Ann, was ist los mit dir, dachte ich. "Darf ich dich als Entschädigung auf einen Kaffee oder Kakao oder was du magst einladen? Dort drüben, das "Bellissimo" soll doch sehr gut sein.." Himmel, diese Augen. Wie er mich ansah.. Ich holte Luft. "Ja, das "Bellissimo" ist wirklich gut.. aber du musst nicht, hast mich ja nicht mit Absicht umgefahren!", sagte ich und lächelte. Hilfe was tat ich hier eigentlich? Der Typ hatte mich gerade eingeladen und ich kam ihm mit einem 'du musst nicht'? "Ich möchte aber!", sagte er und sah mir in die Augen. Machte er das absichtlich? War ihm seine Wirkung auf mich bewusst oder war er einfach so? Ich zuckte mit den Schultern. "Dann.. kann man wohl nichts machen!", grinste ich. Er lachte. "Nein, kann man nicht. Komm!" Wir glitten gemeinsam über das Eis zum Ausgang. Draußen im Vorzelt, das wie immer völlig überfüllt war, tauschten wir Schlittschuhe gegen Winterstiefel (okay, er gegen Turnschuhe) und verließen dann nebeneinander das Zelt. Nach der Hitze darin schlug uns der Wind kalt und stürmisch entgegen, ein paar Schneeflocken rieselten vom Himmel. Ich packte meine Tasche fester und steckte meine Hand in die Jackentasche. Trotzdem fröstelte ich. Er schien das zu bemerken, jedenfalls spürte ich mit einem Mal seinen Arm um meine Schultern. Sofort wurden meine Wangen warm. Wir kannten uns doch gerade mal eine Viertelstunde.. Dann erinnerte ich mich an das Lebensmotto meiner Tante: "Genieße jeden Augenblick, du lebst nur einmal!" Leicht lehnte ich mich an ihn und er drückte mich an sich. Als wir das Café betraten, in dem wie im Vorzelt eine wüstenähnliche Temperatur herrschte, kam mir der Gedanke, ob er das alles so geplant hatte, und auf was ich mich da gerade einließ.

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Eiskaltes Herz
Random"Dieser Idiot. Dieser verdammt süße Idiot." - Der vorliegende Roman ist ein fiktionales Werk. Alle Figuren, Orte und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und realen Ereignissen/Orten sind zufällig und...