Frühstück

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Er stand früh auf, lange bevor die Sonne über den Hügel hinter dem Wäldchen lugte. Wie jeden Tag schaute er neben sich auf das Bett und lächelte in das ruhige Gesicht seiner Frau. Die Hose angezogen, das Hemd übergezogen und zusammengeknöpft begann er, nachdem er in die Schlappen gekrochen war, in die Küche zu schlurfen. Draußen war der Hahn zu hören, wie er den goldenen Ball am Himmel begrüßte, der auch in die Küche schien. Der Mann seufzte und füllte den Kessel mit Wasser. Dann stellte er ihn auf den Gasherd und entzündete die kleinen blauen Flämmchen. Dieses komische neumodische Zeug, dachte er. Wir hätten doch lieber den Holzofen behalten sollten. Mürrisch nahm er mit einem Löffel gemahlenen Kaffee aus einer rostigen Dose und schüttete den größten Teil in zwei Tonbecher, die auf dem schweren Eichentisch standen. Aus einem alten Holzkasten nahm er einen Laib Brot und schnitt vier Scheiben ab, die er auf zwei Teller verteilte. Dann nahm er aus der Kammer einen großen Käse und ein Stück geräucherten Schinken, um beides auf den Tisch zu legen. „Wird Zeit, dass Elfriede neue Butter macht", murmelte er, als er skeptisch auf das kleine Stück schaute, was kümmerlich auf dem kleinen Teller lag. Der Kessel begann zu pfeifen, bis der Mann den Gashahn ausdrehte und das dampfende Nass in die Becher goss. Sofort erfüllte der Geruch nach Kaffee die Luft, der sich mit Dem Duft des Schinkens und des Käses mischte, und floss durch das ganze Haus. Der Mann schlurfte durch die Haustür in den Morgen hinaus, der ihn kühl und frisch begrüßte. Aus einer Dose, die an einem dünnen Draht neben der Tür hing, angelte er sich ein paar Körner, die er den Hühnern im Beet zuwarf. Dann kroch er den Gartenweg hinunter zum Briefkasten, der nur noch aus Gewohnheit auf einem morschen Zaunpfahl ruhte. Wenn Elfriede Mittag macht, kann ich das ja mal reparieren, dachte er. Aus dem Kasten nahm er die Wochenzeitung und bunte Werbung. Dummes Zeug, das braucht doch eh niemand, schimpfte er in Gedanken. Dann schweifte sein Blick über die Felder, auf denen das Korn gemächlich reifte, und zu den Weiden, auf denen seine Tiere grasten. Ein schönes Leben haben die. Er schüttelte lächelnd den Kopf und machte sich mit der Zeitung auf den Weg zurück in das Haus. Ihm kam plötzlich die Stille bedrückend vor. Langsam schlich er zur Küche. Alles stand noch genauso da, wie er es eben erst verlassen hatte. „Elfriede?", fragte der Mann vorsichtig in den Kaffeeduft. „Elfriede?" Plötzlich begann er zu rennen. Durch das Haus in das Wohnzimmer, durch das Arbeitszimmer, in dem Elfriede immer seine Sachen nähte, durch das Bad und dann hinaus auf den Hof, in den Stall, durch die Scheune und den Schuppen. Nirgendwo traf er eine lebende Seele, wenn man von den Spinnen absah, die sich vor ihm verkrochen, und den Hühnern, die ihm zwischen den Füßen herumliefen. Er rief immer wieder und immer lauter: „Elfriede, Elfriede!" Schnaufend setzte er sich auf die Stufen vor der offenen Haustür. „Elfriede...", wimmerte er leise, während ihm die Tränen über das zerpflügte Gesicht rannen. Plötzlich schreckte er hoch, ihm war wieder eingefallen, wo er sie zuletzt gesehen hatte. Mit einem Schwall neuer Hoffnung sprang er in das Haus, besann sich kurz und trat dann in das Schlafzimmer ein. Ganz wie früh an diesem Tag lag sein Nachthemd ordentlich über die Stuhllehne. Das Bett, aus dem er vor einiger Zeit gestiegen war, war unordentlich und die Gardinen noch zugezogen. Der Mann ging durch den Raum, zu der Seite des Bettes, auf der die Decke nicht aufgewühlt lag. Mit nassen Augen stand er da und wagte es nicht, den Blick zu heben. Auf dem Kissen lag das Bild seiner Frau. Elfriede schlief. Das Bild, aufgenommen vor einigen Monaten, war das letzte, was von ihr gemacht wurde. Nun lag es da, kalt wie sie einst. Es steckte in einem Eichenrahmen und trug ein schwarzes Band. Der Mann ging gesenkten Kopfes aus dem Zimmer in die Küche. Dort setzte er sich an den Tisch und trank zwei Becher kalten Kaffees, aß vier Brotscheiben, von denen nur noch zwei etwas von der Butter erhielten und kaute wehmütig auf Käse und Schinken herum. So, wie er es am Tag zuvor gemacht hatte.

YJ -22-12-2018


GedankenfriedhofWhere stories live. Discover now