2. Tee-Time

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Als ich unten im Flur ankam, hörte ich bereits Oma sprechen: "Tee!", dann, mit verstellter Stimme, "Nur eine halbe Tasse bitte.".

Ich kam in das Wohnzimmer. Unordentlich wie immer. Ich fragte mich, wieso Oma ihre Teeparty nicht wie sonst im Garten veranstaltete.
Fragen konnte ich schlecht, denn da würde ich keine gescheite Antwort erhalten. Aber ein Blick aus dem Fenster beantwortete diese Seltenheit, schließlich hielt sich meine Oma sonst haargenau ans Drehbuch.

Es regnete. Dicke, fette Tropfen prasselten auf den Rasen draußen im Hintergarten. Ich hörte das Trommeln des Wassers gegen die Scheibe, es klang wie die Melodie eines Jazzsongs.
Das Konzert wurde jedoch von meiner Oma unterbrochen, die mich zum Tisch schleifte. Ich setzte mich widerwillig, aber spielte mit. Sie freute sich doch so.
Während sie mir so den Tee einschank und irgendwas von Zeit quasselte, betrachtete ich die drei Stühle, die noch nicht besetzt waren. Einer gehörte meiner Oma, die anderen jedoch waren schon immer leer. Oma bekam nie Besuch. Aber sie war fest überzeugt, dass da wer saß.

"Oma?". Sie drehte sich einmal um die eigene Achse und sah mich dann mit einem fröhlichem Lächeln an. Dieses verdammte Lächeln...
"Oma, ich muss los. Aber du hast ja... den Märzhasen und die Haselmaus?". Oma nickte stumm und doch hocherfreut. Fiel ihr kein Zitat zur Antwort ein, sagte sie nichts. Was es nicht unbedingt leichter machte.

Ich stand auf. Omi setzte sich und trank erst ihren, dann die Tassen ihrer Einbildungen. Meinen Tee trank ich selbst noch im Stehen, schmecken tat er ja. Meine Großmutter schank sich und den Gestalten in ihrem Kopf nach und zeigte anschließend auf das Abstelltischchen neben dem alten Ohrensessel. Dort befand sich ein kleines Päckchen, worin sich wie sonst auch meine Brotdosen befanden. Ich gab meiner Oma einen Kuss auf die Wange, zum Dank und um ihr meine Liebe auszudrücken. Sie lächelte wie ein Kind. In ihren Augen funkelten Tränen der Freude und des Wahnsinns.
Ich umarmte sie noch schnell und verließ das Haus durch den Hintergarten. Als ich die Terassentür schloß, hörte ich schon das erste Tassenklirren und das Scheppern von Kuchenblechen.
Das wird teuer.

Ich beeilte mich, das Grundstück zu verlassen, um nicht von fliegenden Untertassen erschlagen oder sogar geköpft zu werden, wie unsere Gartenzwerge und die Geranien.
Ich lief durch große Pfützen und genoß das Platschen und Prasseln. Meine Boots hielten zum Glück alle Nässe ab, die es wagte, mir nasse und kalte Füße zu bescheren.
Kichernd bei dem Gedanken einer herorischen Schlacht (Boots vs Nässe) kletterte ich über den Zaun und rannte durch den herrlichen Regen auf den Weg zur S-Bahnstation Rissen.

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