Kapitel 1.1

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Das Sonnenlicht fiel sachte durch die orangen Vorhänge mit den hellen gelben Punkten, die vor das geschlossene Fenster gezogen waren, um die Welt dort draußen so gut es ging auszuschließen. Eine erdrückende Stille erfüllte das stille Zimmer, in dem die bunten Decken ungeordnet und ungefaltet auf dem kleinen Sofa in der Ecke unter der Dachschräge lagen. Daneben befand sich auch der kleine Schreibtisch mit dem ausgeschalteten Computer und dem schwarzen Stuhl, der schräg vor dem Tisch stand. Die Türen des Holzschrankes neben der verschlossenen Zimmertüre waren halb geöffnet und erlaubten einen Blick auf die sauber geordneten und gestapelten Kleidungsstücke.

Ein großes Himmelbett stand an der rechten Wand und wurde von dem hereinfallenden Licht in einen schwachen Schimmer gehüllt. Auf der breiten Matratze erhob sich eine große Kugel unter der hellblauen Bettdecke, die sich bei genauerer Betrachtung leicht bewegte. Darunter lag Felice in einem weißen Pyjama und flauschigen Socken. Ihre langen, schwarzen Locken lagen ungewaschen und in fettigen Strähnen auf dem beigefarbenen Bettlaken wie ein offener Fächer ausgebreitet. Ihre großen, rehbraunen Augen waren nur halb geöffnet und blickten zu der leeren, weiß getünchten Wand am gegenüberliegenden Ende der Bettkante hinüber. Die obere Hälfte war mit einem großen Poster von Lang Lang verziert, dass ihr ihre Eltern geschenkt hatten, als Felice noch ein kleines Kind war. Der Ausdruck in ihren müden Augen war leer und passten nicht wirklich zu diesem Gesicht, den zarten Linien um ihre Mundwinkel, der schmalen Nase und den vollen Lippen.

Nachdem sie lange genug auf die leere Wand gestarrt hatte, rollte die junge Frau ihren schlanken Körper zur anderen Seite herum, nur um dort auch ausdruckslos auf die Wand, an der sich der Kleiderschrank befand, zu starren. Ein Gesicht tauchte vor ihrem Auge auf. Sie presste ihre Lippen fest aufeinander und schloss ihre Augen, da die Tränen wieder in ihnen aufstiegen. Die letzten Tage, Wochen über erschienen sie immer unkontrollierter. Beinahe glaubte Felice schon, dass sie die ganzen Tränen in ihr bald aufgebraucht haben würde. Doch noch übermannten neue Tränen ihre Augen immer wieder.

Sie wollte nichts mehr sehen, nichts mehr hören von dem, was in der Welt um sie herum vorging. Warum hinausgehen, wenn die Welt nur Schmerz bereithielt. Nur noch in der Dunkelheit und Stille verschwinden, um den Schmerz, die Trauer nicht mehr zu spüren. Nichts zu fühlen, war das Beste. Die blaue Decke zog sie sich weit über ihren Kopf und schloss sich in der Dunkelheit vollständig ein. Allerdings ließ die Welt ihre Wünsche nicht zu.

Leise klopfte es an der geschlossenen Zimmertüre, doch das Mädchen reagierte nicht, sondern hielt sich weiter unter ihrem Laken versteckt. Wieder ertönte ein dreifaches, kurzes Klopfen durch das Holzbrett. Noch immer folgte keine Reaktion von der Person unter dem Laken und so wurde die Türe einfach geöffnet.

„Felice?" die leise Stimme ihrer Mutter drang durch den Spalt herein, bevor diese selbst im Zimmer erschien.

Ihre Kurzhaarfrisur war perfekt gestylt und passte zu dem dezenten Make-up im Nude-Look, das sie aufgelegt hatte. Etwas vorsichtig als würde sie auf Eierschalen treten, kam sie durch das Zimmer zum Bett ihrer Tochter hinüber und setzte sich langsam auf den Rand des Himmelbettes.

„Felice?" sie legte ihre Hand sachte auf den kleinen Hügel, der aus Felice unter dem Bettlagen bestand.

Einige Male strich sie mit der Hand über das Laken, um ihre Tochter so aus ihrer Deckung zu holen. Tatsächlich schlug Felice die über den Kopf gezogene Decke zurück, sodass sie mit ihren müden Augen ihre Mutter anblickte. Diese sah ihre Tochter sorgenvoll an, wusste jedoch nicht genau, wie sie ihr helfen konnte.

„Schätzchen, du musst aufstehen. Du liegst schon die ganzen letzten Wochen über hier in deinem Bett", liebevoll strich sie eine Strähne aus Felices Gesicht. „So kann das nicht weitergehen. Ganz im Gegenteil, es wird immer schlimmer mit dir. Sieh dich doch nur einmal an, wie du aussiehst. Deine Haare sind total fettig und richtig gegessen hast du auch schon lange nicht mehr. Das Essen, das ich dir bringe, rührst du kaum an. Du musst irgendwann wieder aufstehen und aus deinem Zimmer kommen. Denkst du nicht? Wenigstens heute Abend könntest du doch zu mir und deinem Vater hinunterkommen. Ich mache auch was ganz leckeres, nur für dich."

FeliceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt