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Das erste Mal, dass ich ins Krankenhaus musste, war als ich 15 war. Meine Eltern waren übers Wochenende verreist gewesen, weswegen ich bei meinem besten Freund untergekommen war, bis sie wieder kommen sollten. Ich hatte schon am Tag zuvor schreckliche Schmerzen in den Zehen gehabt. Aber ich hatte es ignoriert, das hatte ich schon vorher manchmal gehabt. Doch als ich dann bei meinem besten Freund war, war es anders gewesen. Anders als sonst. Ein Kribbeln, als würden tausende Ameisen in ihnen krabbeln, und ein Brennen, als würden sie gleichzeitig noch in Flammen stehen. Erst versuchte ich die Schmerzen zu ignorieren, aber sie wurden schlimmer und dann fiel Alex auf, dass es mir nicht gerade gut ging. Ich konnte meine Zehen nicht mehr richtig bewegen und nach einer kurzen Weile, in der die Schmerzen sich nicht milderten, sagten wir seinen Eltern Bescheid, die mich kurzerhand ins Krankenhaus schickten, weil sie dachten, ich hätte mir meine Zehen gebrochen oder so. Doch nach ewiger mit Schmerzen unterlegter Wartezeit und einer Röntgenaufnahme war es eindeutig, dass dem nicht so war. Die Ärzte wussten selber nicht genau, was mit mir und meinen Zehen war. Sie wollten mich da behalten und ein paar Untersuchungen an mir durchführen. Doch auch dies führte zu nicht viel. Also flößten sie mir Schmerzmittel ein, damit wenigstens die Schmerzen nachließen.
Alex' Eltern informierten meine währendessen, was passiert war. Sie sagten, sie kämen so schnell sie konnten. Das taten sie tatsächlich, aber in den 4 Tagen, in denen ich im Krankenhaus war, kamen sie nur zwei Mal zu Besuch. Alex jedoch blieb die ganze Zeit bei mir. Von morgens bis abends. In einer Nacht, in der es mir besonders schlecht ging, versteckte er sich sogar im Wandschrank und blieb die Nacht über bei mir.
Eine Art von Polyneuropathie diagnostizierten sie bei mir. Eine Art, die sie noch nie zuvor gesehen hatten. Polyneuropathie war schon so selten genug, aber noch nie hatten sie es so gehört, wie ich es hatte, weswegen die Krankheit anscheinend auch erst so spät gefunden wurde. Ich war 'was besonderes, sagten sie und lachten.
Nie wurde mir mitgeteilt, was genau ich hatte. Polyneuropathie war nur ein Oberbegriff, hatte ich aufgeschnappt. Ins Gesicht sagten sie es mir nie. Eine Mischung des Guillain-Barré-Syndrom und der chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie. Das flüsterten sie sich hinter meinem Rücken zu. Schwierige Namen, die sich niemand beim Hören einfach so merken kann. Dank Alex bekam ich ihre Namen und was sie bedeuteten zu hören. Das sind Nervenkrankheiten mit Lähmung, die man aber heilen kann, erklärte er mir. Hoffnung machte sich in mir breit.
Die Krankheit stieg immer weiter und weiter an, jeden Tag musste ich mir massig Schmerzmittel reinpumpen, damit ich den Tag halbwegs überstand, und irgendwann konnte ich nur noch mit Krücken gehen. Ab dem Zeitpunkt wanden sich alle von mir ab - niemand wollte etwas mit einem Krüppel zu tun haben, sagten sie mir, direkt ins Gesicht. Selbst meine Eltern taten ab diesem Tag nur noch das Nötigste für mich. Da wir etwas besser gestellt waren, kauften sie mir alles, was ich mir wünschte, damit sie vertuschen konnten, dass sie keine Lust mehr auf ihre Tochter hatten, die ihre Beine immer mehr verlor. Wirklich jeder wand sich von mir ab, machte sich über mich lustig, mobbte mich, ignorierte mich oder tat einfach nur auf freundlich. Wirklich jeder, fragt ihr? Nein, eine einzige Ausnahme gab es - Alex.
Und nun war ich fast 20 und lebte mit ihm in Köln. Meine Hoffnung auf Genesung war gestorben. Genauso wie die Sympathie zu Menschen.

"Verstoßene Engel kommen auf Krücken." [izzi | Ardy FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt