monday.

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_Wie kommt es, dass ich eher da bin, als du?
Er zuckt mit den Schultern, stellt seinen Kakao auf dem Tisch seines Stammplatzes ab und lässt sich auf die Bank fallen. Der Fremde beobachtet jede seiner Bewegungen genau.
_Es ist 18 Uhr. Wolltest du nicht schon seit einer Stunde hier sein?
Der Fremde klingt nicht vorwurfsvoll, nur verwundert. Er zuckt wieder mit den Schultern und fährt sich mit der Hand übers Gesicht und durch die verstrubbelten Locken. Seufzend legt er den Kopf auf die Arme und schließt für einen Moment die Augen.
_Ist alles in Ordnung?
Der Fremde mustert ihn besorgt.
_Ja, klar.
Er räuspert sich, richtet sich auf seinem Platz auf und nimmt einen Schluck aus seiner Tasse - nur, um sich an der heißen Brühe zu verbrennen. Er flucht leise und legt den Löffel an die Lippen, um sie zu kühlen.
Sein Gegenüber regt sich nicht, lässt ihn nicht aus den Augen. Diese stille Art nervt ihn.
_Was ist?
Er wollte den Fremden nicht so anfahren, hatte es aber nicht vermeiden können. Seufzend lässt er sich zurück fallen.
_Sorry. Hab nicht viel geschlafen letzte Nacht und hatte Stress in der Uni.
Der Fremde schenkt ihm ein mildes Lächeln und lehnt sich jetzt auch zurück.
_Bist du deshalb so spät?
Er nickt.
_Wartest du schon lange?
_Nein, ich glaube seit 10 Minuten.
_Sorry nochmal.
_Alles gut.
Es herrscht Stille am Tisch. An einem Montag um diese Uhrzeit ist das kleine Café nicht sehr viel besucht. Außer den beiden im hinteren Teil sitzt noch ein Mädchen vorne an einem der Fensterplätze und liest. Nur die leise Jazz-musik erfüllt den Raum mit Leben - und das Treiben der Bedienung hinter dem Tresen. Dass der schwarzhaarige heute nicht da ist, ist dem Fremden sofort aufgefallen. Aber vielleicht hatte er auch einfach eher Feierabend.
Draußen regnet es, mal wieder. Der April ist jedoch auch nicht sonderlich für sein gutes Wetter berühmt.
Von seiner schwarzen Regenjacke tropft es. Also zieht er sie endlich aus und hängt sie an einen der Kleiderhaken, die in regelmäßigen Abständen an der Wand montiert sind.
Dann setzt er sich wieder und schaut den Fremden an.
_Sag mal, was sind eigentlich deine Lieblingstiere?
_Meine Lieblingstiere?
Der Fremde scheint zu überlegen, nimmt einen Schluck von seinem Kaffee.
_Luchse.
_Süß.
Der Fremde lächelt und nickt.
Wieder kehrt Stille ein. Er nimmt die Tasse auf und rührt in seinem Kakao.
Im vorderen Bereich des Cafés hat sich das Mädchen von seinem Buch gelöst. Sie redet an die Theke gelehnt mit der blondierten Bedienung, welche wiederum ganz offensichtlich mit ihr flirtet.
Er kennt die beiden. Sie ging früher in seinen Jahrgang und studiert jetzt Journalismus und er ist jeden Montag, Mittwoch und Freitag Abend da, um sich ein wenig Geld für sein Studium dazu zu verdienen.
Seufzend zieht er seinen Laptop aus dem Rucksack, stellt ihn auf den Tisch und fährt ihn hoch. Dann öffnet er das Dokument, an welchem er bereits gestern gearbeitet hat. Er setzt die Brille auf und überfliegt die letzten Zeilen auf dem Bildschirm. Seine Finger fliegen über die Tastatur.
Neugierig geworden lehnt sich der Fremde vor und versucht, einen Blick auf das Dokument zu erhaschen.
_Was schreibst du da?
_Eine Geschichte.
_Du schreibst Geschichten?
_Hobbymäßig.
_Lädst du die irgendwo hoch? Oder lässt du sie verlegen?
_Nein. Dazu sind sie nicht gut genug.
Er lehnt sich zurück und fährt mit der Hand unter der Brille über seine Augen. Er ist müde - die Spuren einer zu kurzen Nacht zeichnen sich deutlich in Form von dunklen Schatten unter seinen Augen ab.
Der Fremde steht auf und tritt neben ihn.
_Rutsch mal.
Dann setzt er sich neben ihn auf die gepolsterte Holzbank und blickt auf den Bildschirm.
Panisch versucht er, den Bildschirm mit den Händen zu verdecken.
_Nicht lesen!
_Nun hab dich nicht so.
Der Fremde schiebt die Lippen vor und blickt ihm geradewegs in die Augen. Einen Moment lang zögert er, dann seufzt er ergeben.
_Okay, aber dann von Anfang an.
_Wie viel hast du schon geschrieben?
_Fast drei Kapitel. Etwa sechzehn Seite.
_Na dann zeig mal her.
Er nickt unschlüssig, scrollt an den Anfang des Dokuments und schiebt den Laptop so, dass der Fremde ohne Probleme lesen kann.
Und während dieser gespannt in die Geschichte eintaucht, streift er sich die Schuhe von den kalten Füßen, umschlingt die Beine mit den Armen und nimmt seine Kakaotasse in die Hand. Sein Blick wandert durch das Café, zum Fenster und hinaus auf die Straße. Es regnet noch immer. Die Straßenlaternen sind noch nicht an. Müde fährt er sich durch die noch immer regennassen braunen Locken. Er nippt an seiner Tasse und lauscht der Jazzmusik. Immer wieder fallen ihm die Augen zu, doch immer, wenn er kurz davor ist, weg zu driften, gibt der Fremde zu seiner Linken einen Kommentar zu seiner Geschichte ab. Immer wieder lobt er ihn oder schwärmt von seinem ausschweifenden Schreibstil.
Und dann ist seine heiße Schokolade alle und der Fremde ist fast durch.
_Das ist mega! Du musst  das verlegen lassen!
_Meinst du..?
Während der Fremde redet, gestikuliert er wild mit den Armen. Seine grauen Augen leuchten begeistert.
_Natürlich! Das ist eine Gabe!
_Was?
_Na dein Schreibstil, dein Können mit den Wörtern!
Er lacht verlegen, kann nicht verhindern, dass sich ein leichter rosaner Schimmer auf seine Wangen legt, zieht den Laptop wieder zu sich und überfliegt die letzten Zeilen. Er schreibt den Satz zu Ende, bei welchem der Fremde ihn vorhin unterbrochen hatte und speichert das Dokument.
_Ich weiß nicht...
_Nix du weißt nicht - vertrau mir, das ist genial!
Ein ehrliches Lächeln ziert seine Lippen. Er fährt sich verlegen durch die Locken. Mit Komplimenten konnte er noch nie so gut umgehen.
_Danke, oder so...
Der Fremde grinst und leert seine Kaffeetasse in einem Zug. Er scheint nicht daran zu denken, sich wieder auf den Stuhl zu setzen, denn er zieht sich ebenfalls seine Schuhe aus und setzt sich im Schneidersitz auf die Kissen. Dann beginnt er wieder zu reden.
_Ich habe morgen ein Spiel, zwar nur ein Trainingsspiel gegen eine andere Schule, aber ich würde mich freuen, wenn du zuschauen kommst.
_Wie viel Uhr?
Normalerweise hätte er direkt abgeblockt. Weder interessiert er sich sonderlich für Basketball, noch ist er ein großer Fan von gröhlenden Menschenmassen. Aber aus irgendeinem Grund, möchte er dem Fremden gerne etwas zurück geben.
_Erst am Abend, 17 Uhr. Kannst du da?
_Ich habe morgen nur eine Lesung am frühen Nachmittag... Also theoretisch schon.
_Hey, cool!
_Schreibst du mir die Adresse auf?
Er holt einen Kugelschreiber aus seinem Rucksack und reicht ihn dem Fremden, zusammen mit einem Notizblock. Der blonde grinst.
_Du könntet mir auch einfach deine Nummer geben, dann könnte ich sie dir schicken.
_Nee zu einfach.
Also kitzelt der Fremde auf den Block.
In dem Moment erklingt der Nachrichtenton eines Handys. Schnell greift er in seinen Rucksack und zieht das Smartphone hervor. Er überfliegt die Nachricht - seine Mine erstarrt.
_Ich muss los.
Der Fremde beobachtet, wie er Laptop, Block und Kugelschreiber wieder in den Rucksack wirft, in seine Schuhe schlüpft und die schwarze Regenjacke über das rot-schwarz karierte Hemd zieht.
_Morgen kommst du aber, oder?
Er hält inne, lächelt leicht. Dann wirft er sich den Rucksack über die Schulter und steckt sein Handy ein.
_Klar.
_Versprochen?
_Versprochen.
Der Fremde lächelt.
_Bis dann, Teddy.
_Ja, bis dann, sweetheart.
Damit dreht er ihm den Rücken zu und verlässt das Café.
Draußen setzt er die Kapuze auf.
Der Regen ist nicht lauter, als seine Gedanken - leider.

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