saturday.

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_Du ziehst zu mir.
_Was?
_Das kann doch nicht ewig so weiter gehen. Du ziehst zu mir.
Er schüttelt verständnislos den Kopf und lässt sich auf der Bank nieder.
_Unmöglich. Hallo erstmal.
_Warum nicht? Hallo.
_Wir kennen uns gerade mal seit einer Woche? Ich weiß so gut wie gar nichts über dich, nicht mal deinen Namen, und du ebenso wenig über mich.
_Na und? Wir bilden einfach eine WG. Wenn du irgendwo hin weg ziehst, um zu studieren oder so, meldest du dich dann auch Jahre vorher, bis du denen genug vertraust, um zusammen zu ziehen? Meine Wohnung ist groß genug, du alt genug und du kannst nicht ewig bei deinem Dad bleiben.
Er seufzt und lehnt sich zurück. Müde fährt er sich über das blasse Gesicht. Nachdem er gestern hier im Café eingeschlafen war, hatte Eli ihn mit zu sich genommen, wo er bis zum Mittag geschlafen hatte. Danach wurde er von seinem Halbbruder großzügig bekocht und ist gegen 13 Uhr an seinen Lieblingsort zurück gekehrt, wo der Fremde bereits auf ihn wartete.
_Hör mal...
Er zögert, schaut von der Decke auf seine Tasse und wieder an die Decke. Nervös spielt er mit den Fingern in seinem Schoß.
_Wegen gestern... Kannst du das... bitte einfach vergessen? Ich war müde und hatte mich irgendwie nicht mehr unter Kontrolle und... Es tut mir Leid, dass ich dir solche Probleme bereitet habe. Das kommt bestimmt nicht wieder vor.
Der Fremde schweigt. Sein Blick ruht auf seinem Gegenüber. Unsicher blickt dieser auf.
_Kleiner. Ich werde das bestimmt nicht vergessen. Was du mir gestern erzählt hast... Das ist nichts, womit man so leichtfertig umgehen sollte.
_Aber--
_Nichts aber.
Er schweigt und schaut wieder auf seine Finger. Der Fremde nimmt einen Schluck seines Kaffees.
_16.01.1999.
_Wie?
_Ich habe am 16.01.1999 Geburtstag, bin also jetzt 21. Ich bin 1,87m groß und wiege 78 kg. Ich habe einen kleinen Bruder namens Timothy, 12 Jahre alt, 6. Klasse Gymnasium. Meine Eltern sind seit 27 Jahren verheiratet. Ich studiere bei der Polizei, dual, im dritten Semester. Ich habe einen NC von 1,3 und habe ein Wartesemester gemacht. Ich möchte in Richtung Kriminalistik gehen. Früher wollte ich einen Hund haben, jetzt hat mein Bruder zwei Kaninchen, um die ich mich gelegentlich kümmere. Ich wohne seit Beginn meines Studiums alleine, da das Haus meiner Eltern weiter außerhalb am Stadtrand liegt und ich mit dem ÖPNV über eine Stunde zu meiner Uni brauchen würde. Ich spiele Klavier seit ich 5 bin, Basketball seit ich 7 bin. Bis zu meinem 12 Lebensjahr nahm ich ein Mal die Woche Reitunterricht. Ich bin bilingual aufgewachsen, mein Vater ist Portugiese. Früher habe ich mir meine Haare bunt gefärbt. Ich bin bi und seit fast zwei Jahren Single - vorher in einer Beziehung mit einem Mädchen gewesen, das sich als lesbisch geoutet hat. Meinen Namen sage ich dir erst, wenn du mir deinen verrätst.
_Warum erzählst du mir das alles?
_Na, mit einem Fremden willst du doch nicht zusammen ziehen.
Er presst die Lippen aufeinander und starrt auf seine Finger, die sich verkrampft an der weißen Tasse fest halten, um ja ihr Zittern nicht zu zeigen.
_Ich kann das nicht... Ich kann meinen Vater nicht alleine zurück lassen, das hat er nicht verdient. Trotz allem ist er immernoch mein Vater.
_Kleiner bitte...
Der Fremde legt seine großen Hände auf die des braunhaarigen. Ein flehender Unterton liegt in seiner Stimme.
_Ich... Ich muss darüber nachdenken, okay?
Da lächelt der Fremde.
_Okay!
Es herrscht Stille am Tisch. Der Fremde zeichnet gedankenverloren kleine Kreise mit dem Finger auf seine Hände. Die gleichmäßigen, sich stetig wiederholenden Bewegungen wirken beruhigend auf ihn. Genau wie der Geruch nach Kaffee und klebrig süßem Gebäck, die Stimmen der anderen Besucher und die leise Jazz-Musik.
Er lehnt sich zurück und schließt seine Augen. Auf dem Tisch verschränkt er seine linke Hand mit der des Fremden. Sie ist groß und warm und weich.
_Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber... Ich bin froh, dass du da bist.
Er öffnet die Augen und blickt den Fremden an. Dieser lächelt ehrlich.
_Das freut mich.
Er schaut auf ihre verschränkten Finger auf dem Tisch, beißt unsicher auf seiner Lippe herum. Dann klopft er schüchtern mit der freien Hand neben sich auf die Bank. Der Fremde versteht die stumme Aufforderung sofort und wechselt von seinem Stuhl auf die breite Sitzfläche der Bank neben ihn. Der Kleinere lächelt und lehnt sich an seine Schulter. Er gähnt herzhaft.
_Hat da jemand nicht genug geschlafen in den letzten Tagen?
_Eigentlich habe ich letzte Nacht über zwölf Stunden geschlafen...
Er reibt sich über die Augen.
_Schlaf ruhig noch ein bisschen, so wie du aussiehst, hast du es dringend nötig.
Er lächelt nur schwach und nickt und schließt die Augen. Dann rutscht er ein Stück zurück, sodass sein Kopf auf dem Schoß des Fremden Platz findet. Dieser fährt vorsichtig durch seine braunen Locken. Schnell wird sein Atem ruhig und gleichmäßig. Lächelnd beobachtet der Fremde ihn beim Schlafen, bevor er sein Handy nimmt und mit der Hand, mit der er nicht den Jungen auf seinem Schoß krault, Twitter checkt.
Das nächste Mal hebt der Fremde den Kopf, als der Stuhl ihm gegenüber zurück geschoben wird und sich jemand darauf nieder lässt.
_Wie geht es ihm?
_Besser, glaube ich.
_Das ist gut.
Sie schweigen.
_Hör mal, es... Es tut mir Leid, was geschehen ist. Ich habe dir Unrecht getan.
_Schwamm drüber.
_Nein, das war echt uncool von mir. Tut mir Leid.
_Elijah, richtig?
_Ja.
_Also, Elijah, wir sitzen doch beide im selben Boot. Wir wollen, dass es ihm gut geht. Und du wolltest ihn eben beschützen. Aber ich schwöre dir, ich möchte ihm nichts böses - echt nicht.
Der schwarzhaarige nickt und lächelt leicht. Dann reicht er dem Fremden seine Hand.
_Hi. Ich bin Elijah, der idiotische Halbbruder von dem naiven Jungen auf deinem Schoß. Freut mich, dich kennen zu lernen, Fremder.
Der Fremde ergreift grinsend dessen Hand.
_Freut mich, Elijah. Mein Name--
_Warte, sag ihn mir nicht. Wäre uncool, wenn ich ihn vor ihm weiß.
Dabei nickt er in Richtung des Schlafenden. Der Fremde nickt.
_Okay, also ich bin der Fremde. Freut mich.
Elijah grinst. Dann wird er wieder ernst.
_Hey, vielen Dank, dass du auf ihn aufpasst. Er hat so viel Scheiße erlebt und aufgrund meines Studiums und meines Jobs hier kann ich nicht immer für ihn da sein. Und sonst hat er niemanden - Außer dich eben. Und du scheinst ja ganz korrekt zu sein.
Der Fremde lächelt traurig. Sein Blick liegt auf dem ruhigen Gesicht des Jungen auf seinem Schoß.
_Ich will ihn so gerne da raus holen. Es bricht mir das Herz, ihn so verzweifelt zu sehen... Aber er ist so stur! Würde er wenigstens bei mir einziehen, ich habe genug Platz und Geld sowieso und dann könnte ich zumindest ein Auge auf ihn haben.
Sanft streicht er ihm die Locken aus dem Gesicht.
_Dir liegt wirklich viel an ihm, hm? Dabei kennst du nicht mal seinen Namen.
Der Fremde lächelt.
_Mag sein, dass ich seinen Namen nicht kenne, aber ich weiß, dass sein Herz rein ist.
Da fängt Elijah an zu grinsen.
_Gut.
Er nickt und streckt die Hand aus.
_Ich überzeuge ihn, bei dir einzuziehen, dafür garantierst du für seine Sicherheit, tröstest ihn, wenn er von Alpträumen geplagt nachts nicht schlafen kann, und kommst regelmäßig mit ihm vorbei, damit ich mich seines Wohlergehens selbst überzeugen kann. Deal?
_Deal.
Der Fremde schlägt ein.

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