Abgeschottet blätterte ich durch alte Alben verdrängter und verstaubter Kartons. Ich hatte sie schließlich doch auf dem Dachboden nicht zurücklassen können. In mich gekehrt schaute ich auf die eingeklebten Polaroids und älteren Fotos. Ein Lachen, das ich nicht wissend kennengelernt hatte. Ein warmes Lächeln, welches sich zu einem vergangenen Monster gewandelt hatte. Wehmut und leise Furcht in einem Bild ausgelöst. Zwei Hälften, zwei Menschen.
Aber beide tot.
Das Lachen ließ Fragen in mir aufkommen. Hatte sie mich bewusst zurückgelassen? War sie zu Unrecht oder doch zu ihrem festgelegten Zeitpunkt gestorben? Ging sie mit Schmerzen oder spürte sie nichts von dem Sterben? Fühlte man den Tod? Hatte sie eine Wahl? War sie glücklich mit ihm gewesen? Hatte er ihr etwas angetan oder nicht? Hatte ich sie mit meinem Leben in dieses Schicksal geschickt?
Dieser warme Ausdruck in seinem Gesicht. Was hatte ihn verkümmern lassen? Gab er mir die Schuld an ihrem Tod? Warum sonst, wenn nicht aus Hass und Schuldzuweisung spürte ich noch heute die Wunden der Narben, die er mir frühkindlich zufügte? Die, die meine Aorta durchtrennte. Der Schnitt meines Versuches einem Messerhieb zu entgehen längs an meiner rechten Wange. Der Knochensplitter in meiner Rippenmuskulatur als er die Rippe fest genug striff, aber meine Lunge nur piekste.
Und das Brandmal zwischen meinen Schulterblättern. Es schmerzte nicht mehr, nein, aber es war einfach spürbar. Es war da. Es bewegte sich mit meiner Haut und erinnerte mich. Erinnerte mich an die Nacht, in der ich durch die Verbrennung schlagartig aus dem Schlaf gerissen wurde und schrie.
Was frug ich mich all diese Dinge? Seufzend strichen meine behandschuhten Finger über die Seiten. Meine Mom starb als ich noch zwei Jahre alt war. Meinen Dad fand ich mit dreizehn erstochen von einem Glasschwert erstochen auf. Und das als ich ihn lediglich besuchen wollte. Irgendwie hatte ich es geschafft von ihm wegzukommen in diesem jungen Alter. Anders wäre ich mit Sicherheit eher früh als spät seinem Dämon zum Opfer gefallen. Er war ab einem Zeitpunkt besessen gewesen, das wusste ich, doch war es in einigen Momenten schwer für mich ihn selbst und dieses Monster von einander zu trennen.
Fünf Jahre lebte ich nun schon allein in diesem Haus. Ich hatte es übernommen, die Erinnerungen in den Räumen hierher auf den Dachboden verbannt.
Warum ich zu ihnen zurückkehrte? Wusste ich selber nie so recht. Und bei einem dieser Besuche meiner Verdrängung fand ich all diese Kisten, die sie hier verlassen hatten. Bilder, Gegenstände, Bücher. Und Staub. Eine Menge Staub. Utensilien, die ich nie wirklich berühren würde. Die ich immer auf Abstand halten würde aus Angst vor dem Ungewissen.
Manchmal fühlte es sich an, als wolle mein Herz vor Trauer zerspringen. Dann wieder nahm völlige Leere alles ein. All das kontrollieren konnte ich natürlich nicht.Wie auch ohne eine Umgangsart erlernt zu haben. Da hatten ich mich lieber im Verdrängen geübt.
Ich spielte mit dem Gedanken eines der fröhlichen Bilder zu berühren. Immer wieder. Und immer wieder nicht. Was würden sie in mir aufkommen lassen? War da überhaupt etwas? Oder würde es gar nichts auslösen? Dieser schmale Grad eine von mir selbst für mich aufgestellte Regel zu brechen reizte mich manchmal obwohl ich genau wusste, dass ich sie nicht brechen würde. Sie waren bereits beschrieben und würden sich auch nicht löschen ehe ich sie verbrannte. Aber dazu hätte ich keinen Mut. Diese Dateien ein für alle Mal von mir zu schieben. Etwas hielt mich zurück. Nur was?
Seufzend schlug ich die Seiten zurück und klappt das Album, das ich ergriffen hatte, wieder zu. Ich stand auf, schloss den Deckel der Kiste und schob sie zurück zu den anderen hinter ihr. Dann machte ich mich auf den Weg zur Tür. Dort angekommen schaute ich ein letztes Mal über meine Schulter zurück.
Schließlich schloss ich jenes Kapitel für den nächsten Zeitraum ab und legte den Schlüssel in das steinerne Fach in der Wand neben der Türklinke. Schloss die Beklemmung weg und einen Teil meiner Selbst.
Ich blinzelte und ging die Treppenstufen hinunter.
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While listening to river sounds and piano
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Distant future
FantasyAbwartend sah er mich an. "Vertraust du mir?" Unsicher schaute ich auf meinen Schutz hinab. Sollte ich mich öffnen und beginnen die Welt zu fühlen? Zu sehen? Denke mal, dass ich das hier noch bearbeiten werde, aber naja dieses Beschreibungsding fäl...