Nichts

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Lily blickte auf ihre Armbanduhr. Es war kurz nach elf, vor gerade mal einer Stunde waren sie zu ihrem Rundgang aufgebrochen. Sie seufzte. Wie sollte sie das nur noch länger aushalten?
James hörte ihren Seufzer und lächelte. Er wusste selber nicht genau warum, doch ihm gefiel einfach alles, was sie tat. Am liebsten hätte er die Zeit angehalten. Wie sollte er es nur aushalten, wenn sie wieder frei waren?
Lily sah James verwirrt an. Warum zum Teufel lächelte er? Anscheinend liebte er es wirklich sie zu quälen.
Ohne ein Wort zu sagen ließ James sich an der unsichtbaren Wand heruntersinken. „Was machst du da?", fragte Lily irritiert.
„Wonach sieht es denn aus?"
„Du willst mich nerven bis ich vor Wut explodiere?"
„Fast. Eigentlich wollte ich mich nur hinsetzen, weil meine Beine langsam absterben. Aber dann ist mir aufgefallen, dass die Aussicht von hier unten viel besser ist.", sagte er, zwinkerte frech und versuchte unter ihren Rock zu linsen.
Schnell klemmteLily ihren Rock zwischen ihre Beine und schlug James auf den Kopf „Du bist so ein Idiot, Potter!", zischte sie.
„James", verbesserte er sie unbekümmert.
Lily schnaubte nur.
„Willst du dich nicht auch setzten, Lily?", fragte er.
Ihr schauderte leicht bei der Art und Weise, wie er ihren Namen aussprach, doch sie überspielte es schnell mit einer bissigen Antwort: „Wie dir vielleicht aufgefallen sein könnte ist es hier nicht sonderlich geräumig und da ich nicht in der Luft sitzen kann wird das wohl nichts!"
„Warum setzt du dich nicht einfach auf meinen Schoß?"
„Erwartest du darauf wirklich eine Antwort?"
„Nein, eigentlich eher eine Reaktion. Komm schon, Lily! Wir haben doch Frieden geschlossen."
„Und jetzt soll ich alles vergessen, was ich von dir denke?"
„Seit wann bist du denn so nachtragend?"
„Ich bin nicht nachtragend!"
„Ach ja? Und wie würdest du das dann nennen?"
„Ich möchte einfach nicht auf deinem Schoß sitzen!"
„Wieso? Denkst du ich falle dann über dich her, oder was?"
Es war wahrscheinlich besser, wenn er das dachte, also schwieg Lily.
„Wow, vielen Dank! Es ist schön zu wissen, was du wirklich über mich denkst"
Andererseits brauchte sie jetzt gerade auch keinen beleidigten James. Sie gab nach, seufzte genervt und ließ sich aus seinen Schoß sinken.
Ein Kribbeln durch lief beide und keiner traute sich den anderen anzusehen.
Lily lehnte sich zurück und starrte hinauf zu dem Mistelzweig.
„Lily?"
Sie wandte ihren Blick zu James. Der Schalk war aus seinen Augen gewichen und er sah sie vollkommen ernst an.
„Warum hasst du mich eigentlich so sehr?"
Eigentlich wollte sie sich dazu zwingen nichts zu sagen, doch sein Blick war so traurig und seine Stimme so verbittert, dass sie es nicht konnte.
„Ich habe schon vor sehr langer Zeit aufgehört dich zu hassen, James."
Ihre Stimme war so warm und sanft, dass James kaum glauben konnte, dass sie das gerade gesagt hatte. Verwirrt blickte er auf, versuchte aus ihrem Gesicht abzulesen, was sie dachte, doch sie hatte wieder ihre schützende Maske aus Ironie und Zickigkeit aufgesetzt.
Er durfte nicht wissen, wie sie sich fühlte, nicht wissen, wer sie war. Sie durfte nicht zulassen, dass er ihr so nahe kam.
Deshalb drehte sie ihren Kopf wieder weg, blickte nach oben und zählte die kleinen Beeren, die zwischen den Blättern hingen.

James starrte sie von der Seite an. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Und was war das, was er für eine Sekunde in ihren Augen gesehen hatte? So viele Fragen brannten ihm auf der Zunge, doch seine Kehle war viel zu trocken.
Er schluckte. Dieses Mädchen war ihm echt ein Rätsel. Warum hatte sie das gesagt und warum sagte sie jetzt nicht mehr? Sie war ihm so nah, saß sogar auf seinem Schoß und trotzdem hatte er das Gefühl, dass sie unglaublich weit weg war. James seufzte laut und merkte, wie Lily zusammenzuckte.
„Alles ok?", fragte er leise.
Sie nickte nur, ohne sich zu ihm umzudrehen.
James lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er konzentrierte sich aufs Atmen, damit er an nichts anders denken musste und glitt langsam ins Land der Träume.

Als Lily hörte, dass James geichmäßiger atmete, riskierte sie einen Blick. Er schlief. Erleichtert atmete sie aus, diese Anspannung hatte sie echt nicht ausgehalten. Sie drehte sich ganz um und sah in sein schlafendes Gesicht. Er sah so süß aus! Lily konnte nicht verhindern, dass sie eine Hand ausstreckte und ihm zärtlich eine Strähne des unordentlichen Haars aus der Stirn strich. Ein lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, doch es hatte etwas sehr bitteres.
Lilys Hand lag noch immer an seinem Kopf und sie konnte einfach nicht widerstehen.  Vorsichtig ließ sie ihre Finger in sein schwarzes Haarnest fahren und fuhr durch die Strähnen. Wie lange hatte sie das schon tun wollen! Ein warmes Gefühl stieg in ihr auf und kribbelte durch ihren gesamten Körper bis in ihre Zehenspitzen.
Langsam beugte sie sich vor, bis ihre Gesichter nur noch Millimeter voneinander getrennt waren. Sein himmlischer Geruch stieg ihr in die Nase und ihr Herz pochte so schnell, wie noch nie.
Lily wollte gerade ihre Lippen auf seine legen, doch dann hielt sie inne. Diese Nähe war zwar eine Qual, doch sie wollte seinen Schoß auch nie wieder verlassen. Es tat weh im so nahe zu sein, doch nicht bei ihm zu sein schmerzte ebenso.
Lily konnte das hier nicht beenden.
Also zog sie sich zurück und brachte so viel Abstand, wie es in dieser Lage möglich war, zwischen sie. Enttäuscht zog sie ihre Hand aus seinen Haaren und seufzte laut.
Wohl etwas zu laut, denn James bewegte sich unruhig und öffnete die Augen.
„Hey",Verschlafen lächelte er sie an.
„Hey", antwortete sie und fügte dann mit alter Härte in der Stimme hinzu: „Du hast geschlafen."
„Oh", James grinste, „Hab ich was verpasst?"
„Nein", sagte Lily mit fester Stimme, „Nichts passiert."

Under the MistletoeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt