Kapitel 1 - Fabian

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Fabian

Ich wusste das die Fahrt zur Uni mein Highlight des Tages sein würde. Nur ich und mein Rad, auf den Straßen Berlins, mit Musik in den Ohren. Schon seit der siebten Klasse war der Morgen, die zwanzig Minuten die ich mit meinem Fahrrad zur Schule brauchte, meine Lieblingszeit gewesen. Obwohl ich mich auf dem Weg zu einem meiner meist gehassten Orte befand, hatten diese frühen Fahrten immer etwas beruhigendes, entspannendes an sich. Ich war isoliert, fühlte mich selbstständig, sogar ein bisschen sportlich, und hatte meine Musik bei mir. Es war eine himmlische Zeit. Es war aber auch die Ruhe vor dem Sturm, fühlte sich manchmal an, wie mein Gang zur Guillotine und falls es etwas schlimmeres gibt als das, dann beschreibt das meine jetzige Lage ziemlich gut.

Ich will nicht zur Uni. Uni hört sich so verdammt erwachsen an und das allein ist ein Zeichen das ich dort nicht hingehöre. Nur weil ich das Abi geschafft habe, bedeutet das nicht, das ich die Reife besitze um an einer dummen Universität zu studieren. Aber ohne einen Plan oder einer Idee, was ich sonst hätte machen können, hatte ich keine andere Wahl. Mittlerweile habe ich sogar die Hoffnung aufgegeben, dass das Universum es gut mit mir meint und einen Meteroiten auf das Unigelände schmeißt, doch die Sonne scheint am wolkenfreien Himmel. Es sieht nicht nach Meteoritenschauerwetter aus. Noch kann sich das Universum eigentlich ein bisschen Zeit lassen. Ich habe vorgestern etwas recherchiert und angeblich soll der erste Tag noch nicht so stressig werden. Man muss sich ja erst ein bisschen gewöhnen, an das Gelände, die Stundenpläne. Wir werden erst einmal erfahren wie das erste Semester ablaufen wird und so. Scheiße, Semester klingt auch schon so erwachsen. Ich fühle mein Herz schon wieder rasen, wenn ich daran denke, was in den nächsten Monaten alles passieren kann, aber wie die letzten zwei Wochen auch, atme ich tief ein und aus und sage mir das die ersten Tage nicht zu schlimm werden können. Es ist nur ein kleiner Puffer und ich sollte mich nicht zu sehr deswegen freuen, bedenkt man wie schnell so ein paar Tage vergehen können, aber es gibt mir momentan all die Kraft die ich brauche.

Ich halte an einer roten Ampel und nutze die Zeit um Google Maps zu checken. Ich hätte das nicht machen sollen. Ich bin nur noch zehn Minuten vom Gelände entfernt. Nur noch ein paar Blocks. Mein Magen legt sich quer und mein Herz donnert wieder in meiner Brust, weil meine Atemübungen für'n Arsch sind. Hoffentlich gibt es keine Vorstellungsrunden. Ich mag mich nicht für besonders erwachsen halte, aber auf diese Kindergartenkacke habe ich wirklich keine Lust. Hab ich meinen Vorstellungssatz gestern Abend eventuell schon vorgesprochen? Mag sein, aber ich wollt sichergehen. Das bedeutet nicht das ich den Drang besitze mich vorstellen zu wollen. Ich will mich unauffällig in einer Ecke des Hörsaals verkriechen und Mutter sagte, dass die Hörsäle des Wirtschafts Studienganges besonders groß wären. Generell habe ich sehr viele Dinge über das Studieren gehört. Sehr gemischte Dinge sogar. Manche sagen es sei einfach, du musst im Hörsaal gar nicht zuhören sondern kannst später alles online einsehen, andere sagen es ist echt schwer dort mitzuhalten und sich die Zeit gut einzuteilen. Als ich dann plötzlich von Präsentationen und Arbeiten, so lang wie ein Roman, las, schaltete ich den Laptop für den Rest des Tages aus.
Ich mochte diesen Druck auf mir nicht.

Ein Auto hinter mir hupt und ich drehe mich erschrocken um, aus Angst das wäre an mich gerichtet, doch es scheint nicht so. Ich schaue wieder nach vorne, wo die Ampel bereits grün zeigt und trete in die Pedalen. Zeitgleich setzt diese eine Stelle in meinem Lied ein, bei der ich nie widerstehen mitzusingen.

"I wake at the first cringe in the morning and my heart's already sinned."

Es ist einfach komplett ruhig bevor Hoziers Stimme wieder einsetzt und man kann nicht anders als mit dem Kopf im Takt zu nicken.

"How pure, how sweet a love, Aretha, that you would pray for him"

Meine Schultern setzen mit ein, als der fröhliche Abschluss des Liedes beginnt und ich vergesse für ein paar Sekunden wohin ich überhaupt fahre. Doch ich werde mit einem gewaltsamen Ruck wieder ins Hier und Jetzt gezogen, als sich eine Autotür direkt vor mir öffnet. Ich habe auf dem Radweg kaum Platz zum ausweichen, rechts wartet direkt die befahrene Straße. Also gelingt mir nur ein kleiner Bogen. Er reicht nicht aus. Meine Lenker bleibt an der Tür hängen und dreht somit mein Vorderrad.

Ich werde von Rad geschleudert und lande auf dem Rücken. Ein schwere Atemstoß hievt sich aus meiner Lunge. Meine health bar zeigt 50 Prozent, nicht allzu schlimm. Aus dem Auto steigt eine alte, üppige Frau die mich mit einer Vielfalt an englischen Schimpfwörtern und einem Akzent, als würde sie aus einer Gangster Familie stammen, runtermacht. Ich rappel mich auf die männlichste Art und Weise, die die Welt je gesehen hat wieder auf, wähle den Raketenwerfer aus meinem Inventar aus und mache Asche aus der Frau und ihrem Auto, sowie mit allen Autos um mich herum.

Der nächste Atemstoß quält sich hinaus. Warum denke ich jetzt an GTA? Ich weiß warum. Weil ich wünschte ich wäre gerade in GTA. Weil ich gerade einen Unfall hatte, den ich gerne jetzt schon aus meinen Gedanken löschen will. Weil ich nicht an Claras lebloses Gesicht denken möchte.

In GTA ist alles viel leichter. Das wird mir klar als der Autofahrer aussteigt und mich ganz panisch ansieht. Meine Musik wechselte von Hozier zu Skrillex. Ich hab plötzlich Dubstep im Ohr und der Beat ist passend zu meinem Herzschlag. Ich sehe, dass der Mund des Mannes sich bewegt, doch ich sehe erst zum Fahrrad, dessen Hinterreifen die Linie, die Radweg und Straße trennt ein bisschen überschreitet. Mit meinem Bein, welches unter das Fahrrad gelang, schiebe ich es zur Seite. Erst dann setze ich mich auf und nehme widerwillig einen Kopfhörer aus meinem Ohr.

"Es tut mir so leid! Ist alles in Ordnung? Soll ich wo anrufen? Brauchst du was?"
Er kommt mir panischer vor als ich es bin oder ist das nur der Schock? Ist es unhöflich wenn ich einfach weiter will?
Ein Hand legt sich auf meine Schulter. Sie gehört nicht zum Mann, also gucke ich nach links wo eine fremde Frau genau so panisch dreinschaut wie der Mann.
"Das sah echt übel aus. Ist alles gut?" Sie lächelt dabei und schiebt sich eine blonde Strähne hinter das Ohr.
Ich fühle, wie der Schock langsam abnimmt, als würde langsam wieder Gefühl in meinen Körper wandern. Ich fühle den kalten Asphalt auf dem ich sitze, ihre Hand brennend auf meiner Schulter, Schmerz in meinem Finger. Aber vor allem kochendes Blut in meinem Kopf und Tonnen an Scham in meinen Eingeweiden.
"Es tut mir unendlich leid! Ich hab dich echt nicht gesehen!", sagt der Mann, immernoch mit so viel Angst und Panik, als würde er mit einer Leiche reden. Ich schätze ich kann von Glück reden, dass er höflich ist. Ich könnte gerade auch angeschrien werden, warum ich denn nicht aufgepasst hätte. Denn das hätte ich wirklich tun sollen.
"Alles gut.", krächze ich gerade so und will eigentlich nur im Erdboden versinken. "Ich hätte auch aufpassen können."
"Ist doch egal! Geht es dir gut?", fragt die junge Frau und ich nicke und kann sie nur wenige Sekunden dabei angucken. Ich kann nur Claras Gesicht sehen. Sie streckt ihre Hand nach meiner aus und greift sie um sie näher zu betrachtet. Mein Zeige- und Mittelfinger bluten.
"Sind die gebrochen?", fragt sie und der Mann flucht vor Panik.
Meine Finger tun nicht so doll weh, dass ich sagen würde, sie wären gebrochen, aber ich weiß auch nicht wie es sich anfühlt, wenn man sich Knochen bricht. Doch mir gelingt es sie zu bewegen also schüttel ich den Kopf. Der Mann seufzt erleichtert und ich denke er hat nur Schiss vor einer Anzeige. Ich will hier weg.
Ich rappel mich auf, nicht ganz so männlich wie mein Charakter in GTA, und hebe mein Fahrrad vom Boden.
"Ich muss mich beeilen, sorry.", sage ich, nur um irgendwas zu sagen, doch beide scheinen es mir nicht abzukaufen. Vor allem nicht die Blonde. Dennoch geht sie zu Seite, damit ich zwischen den Autos auf den Fußgängerweg kann. Für den Radweg Berlins scheine ich nämlich nicht qualifiziert genug zu sein.

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