Kapitel 2 - Fabian

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Fabian

Ich weiß nicht Mal wo ich mein Fahrrad abstellen soll. Keine Ahnung ob es hier irgendwo einen Bereich voller Fahrradständer gibt, wie bei meiner alten Schule. Ich hätte mich gestern noch besser erkundigen sollen. Den Vorstellungssatz weniger üben und dafür sichergehen, dass ich meinen Weg kenne. Dann würde ich jetzt nicht wie ein hilfloses Kind mit dem Fahrrad über den Campus wandern. Und hier draußen sind auch noch so viele Leute, manche von denen studieren hier wahrscheinlich schon seit Jahren. Ich bin nur der Eindringling in deren Territorium. Es fühlt sich wirklich so an als würde jeder auf den hilflosen Eindringling mit dem Fahrrad starren.
Fuck, ich kann nicht mal klar denken. Hab ich doch eine Gehirnerschütterung? Kann ich doch nach Hause? Mach ich mir selbst nur etwas vor? Suche ich nach einer Ausrede? Höchstwahrscheinlich.
Ich suche mir wieder meine beruhigenden Worte zusammen: Es ist nur der erste Tag. Nichts schlimmes wird passieren. Das schlimmste hast du bereits überstanden.

Doch dann dreht sich der Typ der vor mir schlurft plötzlich um und läuft schnellen Schrittes den asphaltierten Weg wieder hinunter. Dabei stoßen unsere Schultern gegeneinander und ein Schmerz, den ich bisher noch nicht gespürt habe, durchzuckt meinen Arm. Ich halte in meinen Gang ein, lasse das Drücken und Stechen abklingen, doch kann nicht verhindern, dass meine innere Unruhe wieder zu broddeln beginnt. In meinen Kopf donnert es und mein Herz läuft einen Marathon.
Ich höre keine Entschuldigung von ihm und möchte ihm das nicht übel nehmen, aber ich kann nicht anders. Ich will wissen was er gegen mich hat, was ich ihm angetan habe, warum ich das verdient habe. Warum ich?
Warum muss ich den Schmerz ertragen? Warum hatte ich den Unfall? Warum musste ich heute früh aufwachen? Ich zweifle sehr daran, dass dieser Tag noch gut wird, aber ich kann nichts anderes tun außer weiterzugehen. Meine Füße tragen mich noch so selbstbewusst, dass ich denken könnte sie gehören gar nicht mir. Sie sind eindeutig stärker als mein Geist, der nur aufgeben will. Sie tragen mich den Weg hoch, der inzwischen zu einem kleinen Anstieg geworden ist und zu dem nobel aussehenden Gebäude führt. Sie führen mich vorbei an einer kleinen Gruppe von Leuten und bleiben weiterhin stark, anders als mein Herz, welches wieder zu hüpfen beginnt. Ich starre stur geradeaus und bin schon fast vorbei, da höre ich einen scharf einatmen. Mein Atem hält an und meine Sinne sagen mir, dass es an mich gerichtet ist.
"Du hast da was an deinem Finger, Kumpel.", witzelt eine männliche Person und kichert dämlich, ohne dass seine Freunde reagieren.
Mein Kopf wird rot, obwohl er das nicht sollte. Das ist nichts worüber ich mich schämen müsste und doch kriegt der das hin. Und das macht mich rasend.
"Vielleicht nächstes Mal Mutti fragen, ob sie dich fährt, hm?"

Ich bleibe vollkommen regungslos. Jegliche Emotion entweicht meinem Gesicht. Das Fahrrad lasse ich los und es fällt mit einem chaotischen metallischem Klang zu Boden. Der Kerl lacht immer noch so dämlich, doch das schürt nur das Feuer in mir. Ich balle meine Hände zu Fäusten und fühle Rasch den Strom der Energie die mich durchfließt. Von meinen Zehen bis in meine Fingerspitzen. Sie ist warm, elektrisierend und ermutigend. Schwerelosigkeit macht sich in mir breit. Ich fühle mich beflügelt, als hätte ich Schmetterlinge im Bauch. Ein unendliches Hoch, das mich in meinem Entschluss unterstützt, es diesem Kerl heimzuzahlen.
Mit einer schwungvollen Bewegung drehe ich mich herum, suche mit meinem rechten Fuß augenblicklich nach Halt und spüre den Asphalt unter mir splittern und brechen. Mit dem Arm hole ich aus. Meine Faust schmerzt vor Anspannung, doch dieser Rausch hält mich vom zurückschrecken ab. Ich sehe rot, als meine Augen auf seine Treffen. Grün und voller Arroganz. Er verdient es seine Fresse poliert zu kriegen und ich bin liebend gern der Zuständige dafür.
Mit voller Wucht landet meine Faust in seinem Gesicht und um uns herum scheint alles zu verstummen. Jeder Mensch, jedes Tier, selbst der Wind schweigt im Angesicht meiner Stärke. Alles was ich höre ist das Rauschen meines Blutes und Knacken seiner Knochen. Doch keinen Wimpernschlag später folgt ein ohrenbetäubendes Donnern. Der Körper des Fremden fliegt über den Rasen des Campus, schlägt auf dem Boden auf, ist jedoch weiterhin viel zu schnell um anzuhalten und überschlägt sich wieder und wieder bis er auf die Wand eines Gebäudes trifft. Selbst aus dieser Entfernung hört man den Beton bröckeln und sieht die Risse, die durch den Aufprall entstanden sind. Er hängt dort, leblos mit toten Augen. Die blonden, vorher sorgfältig frisierten Haare nun zerzaust, die nagelneue Lederjacke voller Staub. Doch erst als ich das Blut über seine Lippen rinnen sehe, erstrahlt das Lächeln auf meinem Gesicht und ich brüste mich, wie der Sieger dieses Krieges.

In Wirklichkeit gehe ich einfach weiter, denn so etwas passiert nur in Anime. Hätte ich solche Kräfte, wäre ich nicht hier und müsste mich nicht mit solchen Leuten nicht herumschlagen.
"Tobi, lass ihn in Ruhe!", höre ich eine weibliche Stimme, halb kichernd, halb ernst sagen und ich zweifle sehr daran, dass sie sich um mein Wohlergehen sorgt.
"Was denn? War doch nur ein Witz!", beschwert sich der Vollpfosten empört und der Klang seiner Stimme geht mir bereits auf den Sack.
Ich wünschte ich hätte Kräfte. Dann wäre ich nicht auf die mickrige Hilfe irgend eines Mädchens angewiesen. Ich wäre auf niemandes Hilfe angewiesen. Ganz sicher nicht auf die meiner Mutter.

Träumer SyndromWo Geschichten leben. Entdecke jetzt