Teil 2 des 1. Kapitels

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An meinen Händen klebt Blut.
Unendlich viel Blut, das die Leute nur nicht sehen können.
Würden sie es sehen können, wäre das mehr als problematisch.
Und es wäre gruselig.
Ich bin mir bewusst, dass da Blut klebt, und alle anderen Handlanger auch, aber das reicht auch schon. Menschen brauchen nichts davon zu wissen.

Menschen brauchen nicht zu wissen, dass es nicht sie sind oder das ach so tolle Schicksal, das über Leben und Tod entscheidet.
Nein, es ist ganz einfach.
Wer darüber entscheidet ist schlichtweg und ergreifend die eigene, innere Uhr.

Nur der Tod hat Zugriff darauf.
Unter uns Handlangern kursieren tausende von Gerüchten über diese Kammer, in die der Tod so oft verschwindet. Dort lagern die inneren Uhren. Wir wissen nicht viel darüber, aber der Tod weiß alles.
Sobald sich eine Uhr dem Ende zuneigt, schickt er wieder uns. In den seltensten Fällen bequemt er sich selbst hinaus.
Wir sammeln dann die Seelen ein, manchmal dauert das allerdings länger als gedacht. In diesen Fällen helfen wir nach.

Und so kommt das Blut an unsere Hände.
Ob ich jetzt im wahrsten Sinne des Wortes Blut vergieße, oder ob es ein nicht ganz so blutiger Tod wird, ist egal. Das Blut an meinen Händen klebt doch immer noch daran.
Es lässt sich nicht abwaschen, und mit jedem Tod folgt eine neue Schicht, roter, klebriger Masse.

Ich hasse diese Aufgaben.
Ich hasse diese rote Farbe.
Aber ich bin daran gewöhnt. Für mich sieht es aus wie ein roter Handschuh. Mir macht es nichts mehr aus.
Innerlich bin ich taub dafür geworden.
Der Tod, vor dem ich mich früher gefürchtet, und den ich gehasst habe, ist jetzt nichts mehr als mein Chef. Ein brutaler Chef, aber was macht es mir aus? Ich bekomme dafür sogar Geld, also ist es mir egal, was ich machen muss.
Meine Gefühle sind so taub wie die alte Dame in Zimmer einhunderteinundfünfzig. Ihre Lebensuhr dürfte auch nicht mehr lange ticken.

Deshalb bin ich hier.
Hier, in einem sterilen, weißen Altenheim, das heimisch wirken soll, aber so abstoßend nach Alter und Tod riecht. Zumindest in meiner Sicht.
Ich weiß nicht, was die Bewohner in diesem Heim sehen.
Vielleicht eine Art Garage, und sie sind die Autos darin.
Was wohl die Besucher darin sehen? Das Haus, in dem sie endlich ihre Mutter abstellen konnten? Also auch eine Garage?
Genau das ist das hier nämlich auch.
Eine Garage.
Nur werden hier eben keine Autos, sondern alte Leute geparkt.

Mir soll es egal sein.
Altenheime und Krankenhäuser sind der perfekte Ort für uns Handlanger. Hier riecht man den Tod schon an jeder Ecke. Jeder Raum schwirrt voller schwarzer Partikel. Der Tod ist hier allgegenwärtig, und das ist genau die Umgebung, in der wir uns wohl fühlen.
Obwohl ich das Konzept der Menschen hasse – Menschengaragen – und ich die Einrichtung und das pseudo-nette Lächeln der Pfleger verabscheue, fühle ich mich hier fast schon zu wohl.

Erst gestern ist Mr. Triwer aus dem dritten Stock gestorben.
Ich habe die Seele eingesammelt und dem Tod gebracht.
Ich fühle in meinem Knochen, dass es bald wieder einen Tod geben wird. Und ich freue mich schon darauf.
Vielleicht muss ich ja nachhelfen, vielleicht nicht.

Mir ist das egal.
Bringe ich eben wieder jemanden um. Alltag.
Ich weiß nicht viel aus meinem alten Menschenleben, dem Leben, bevor ich ein Handlanger wurde, aber das weiß ich; ich habe Mörder und andere Verbrecher nie verstanden. Und jetzt stehe ich hier, in bin doch selbst ein Mörder.

Oder bin ich ein Mörder, wenn ich den natürlichen Sterbeprozess nur etwas vorantreibe.
Wenn aus drei Stunden dreißig Minuten werden? Ist das dann Morden? Ich beschleunige das alles ja nur, eigentlich sind die Betroffenen doch sowieso schon auf der Schwelle zum Tod. Ich gebe ihnen nur einen Schubs über diese Schwelle. Mehr nicht.
Ganz einfach. Ich bin kein Mörder. Und werde es auch nicht sein.
Ich töte nicht, ich beschleunige. Einfach.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 16, 2020 ⏰

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Ms. FairytaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt