ZWEI

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Gestresst schließe ich die Augen und überlege mir einen Plan, wie ich schnellstmöglich von hier abhauen kann, ohne dabei Caroline noch einmal über den Weg zu laufen. Das schlechte Gewissen, das mich dabei plagt, ist beinahe unerträglich. Weil sie im Grunde genommen wirklich nett ist und ich mich mit Sicherheit gut mit ihr verstehen würde. Wenn sie nicht so offensichtlich etwas von mir wollen würde.

Vielleicht ist es feige, aber ich habe einfach keine große Lust ihr erklären zu müssen, dass sie mich nicht im Geringsten antörnt und es letzten Sommer nur durch die große Menge an Alkohol, die ich mir den ganzen Abend über eingeflößt habe, geklappt hat. In meinem Wahn hätte ich wahrscheinlich mit jedem geschlafen, der sich derartig an mich rangeschmissen hätte. Außerdem hätten mich all die anderen Jungs für einen kompletten Versager gehalten, wenn ich die Chance nicht genutzt hätte. Die Ausrede, dass sie einfach nicht mein Typ ist, hätte niemals gezogen.

Gott, du bist so ein Weichei.

Im Übrigen müsste ich vor meinem Verschwinden auch irgendwie noch Seth und Zac Bescheid geben. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden ihre Handys bei der Lautstärke hören würden, ist wohl ziemlich gering.

Puh, das schreit förmlich nach einem starken Drink.

Seufzend mache ich mich daran die Zutaten zusammenzusuchen und kippe dann zuerst den Wodka in den roten Pappbecher. Und da der Abend sowieso schon so komplett beschissen angefangen hat, kann ich mir ruhig ein paar Extraschlücke davon gönnen. Zumindest will ich mir das einreden. Ich weiß genau, dass eine Nacht mit Caroline Ford bei dem Großteil der Jungs aus unserer Stufe auf Platz eins der besten Nächte überhaupt steht. Und ich hätte jetzt schon zum zweiten Mal das Vergnügen. Was ein Glückspilz ich doch bin.

Angestrengt rufe ich mir ihren Körper ins Gedächtnis. Sie ist wirklich hübsch, keine Frage. Hat wahrscheinlich das perfekte Körperverhältnis an wunderschönen Rundungen und schmaler Taille. So volle rote Lippen, dass sie jeden Mann auf falsche Gedanken bringen können. Davon abgesehen, dass sie ohne Kleidung aussieht, als wäre sie aus einem Playboy-Magazin herausgesprungen. Trotzdem finde ich sie nicht anziehend genug. Scheiße, irgendwas muss doch bei mir falsch laufen. Die Frau ist ein Traum und zu aller Überraschung will sie auch noch ausgerechnet mich.

»Ach Mann, warum ich?« Wütend schnappe ich mir die Cola und beginne, den Becher vollzumachen. Viel Platz dafür ist sowieso nicht mehr übrig.

»Hasst du Flaschendrehen auch so sehr oder was?« Eine tiefe, raue Stimme mit einem unverkennbaren britischen Akzent lässt mich aus meinen selbstvernichtenden Gedanken hochschrecken. Ein unangenehmer Schauer jagt mir den Rücken herunter und vor Schreck schütte ich mir aus Versehen etwas von der Cola über die eigene Hand. »Fuck, Fuck, Fuck.« Fluchend versuche ich innerlich bis zehn zu zählen, damit ich dem Unbekannten vor Wut nicht an die Gurgel springe.

Ich habe mich noch nicht getraut mich umzudrehen und suche stattdessen nach einem Handtuch, mit dem ich mir das klebrige Zeug von der Hand wischen kann. Heute kann ich leider für überhaupt nichts garantieren. »An die ungehobelte Art und Weise der Amerikaner werde ich mich wohl nie gewöhnen«, höre ich diese melodische Stimme wieder sagen und spüre kurz darauf, wie jemand näher zu mir tritt. »Hier, ich glaube, das suchst du.«

Durch die Augenwinkel kann ich erkennen, wie mir jemand von meiner rechten Seite aus ein hellblaues Stofftuch hinhält. Grummelnd drehe ich mich nun doch zu der Person um. Das hat mir gerade noch gefehlt. Soziale Kontakte sind das mit Abstand geringste, was ich gerade brauche. Neben der Cola, die sich jetzt auch noch einen Weg über den Tresen auf den Fußboden bannt.

Na dann ist es ja gut, dass du auf einer Party abhängst, Henry.

Als ich jedoch in die strahlend grünen Augen des Jungen gegenüber von mir schaue, ist all die Wut, die ich über den ganzen Abend angesammelt habe, auf mystische Weise wie weggefegt. Mein Puls beginnt aus unerklärlichen Gründen zu rasen. Doch obwohl seine Augen den gleichen Farbton wie Carolines haben, ähneln sie ihren kein bisschen.  Seine sind dunkler, geschmeidiger, haben keinen so raubkatzenartigen Gelbstich, sind deswegen aber nicht weniger strahlend. Irgendwie erinnern sie mich an einen schönen Sommertag im Wald. Mit den Jungs habe ich früher fast jeden Tag dort abgehangen. Wir haben Hütten gebaut aus großen, breiten Ästen und sie als unser Hauptquartier genutzt. In welches meine Schwester und ihre beste Freundin natürlich keinen Zutritt hatten. Praktisch eine Girls-freie Zone.

Cinnamon Crush (LESEPROBE)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt