Kapitel 3

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Der 16. Oktober 2018, unser Debüt in Deutschland! Nach dem Konzert in Amsterdam war ich begierig darauf, die deutschen ARMYS kennenzulernen. Keiner von uns wusste so richtig, was uns erwartete.

Bei unserer Ankunft in Berlin fühlte ich mich eigenartig matt, aufgekratzt, energetisch, erwartungsvoll zur gleichen Zeit. Mich hatte in den letzten Wochen das undefinierbare Gefühl beschlichen, dass sich etwas ändern würde. Es wecke die Hoffnung, dass ich endlich das finden würde, nach dem ich suchte. Die diffuse Lücke, die selbst Tanz und Rap nicht füllen konnte. Mit den Jungs zusammen gelang es mir zumindest, das Fehlen auszublenden und mich darauf zu konzentrieren, unsere Performance perfekt umzusetzen. Niemand von uns wollte unsere Fans enttäuschen.

Die Vorbereitungen nahmen Stunden in Anspruch, aber sie vergingen wie Sekunden und als der Soundcheck begann, fühlte ich mich seltsam unvorbereitet.

⁃ ...nung? Hoseok, ist alles in Ordnung? Nimm einen Schluck Wasser.

Jimin blinzelte mich sorgenvoll aus großen Augen an. Er kniete sich neben mich auf den Boden des einsamen Flurs, auf den ich mich geschlichen hatte, um ein paar Minuten alleine zu sein. Einsamkeit kam hier selten vor. Geduldig hielt er mir die Wasserflasche unter die Nase.

⁃ ...entschuldige, ich bin heute nicht ganz da.

⁃ Ja, wir machen uns Sorgen... in der letzten Zeit bist du irgendwie anders als sonst... weniger fröhlich.

⁃ Hm...

⁃ Wenn etwas ist, kannst du immer mit uns sprechen.

⁃ Jimin... ich... hmm musst du nicht bald in die Maske?

⁃ Hehe, äh, hm, joa...

Ich knuffte ihn in die Seite, seinem traurig-besorgten Blick konnte ich nicht lange aushalten. Ich wollte den anderen nicht zur Last fallen und behielt meine Gedanken lieber für mich. Als fröhlicher Sonnenschein hatte ich anderen nicht die Schattenseiten zu zeigen! Ich wusste gleichzeig jedoch auch, dass Jimin und die anderen sehr wohl spürten, wenn etwas nicht stimmte, ich konnte es nur selten in Worte fassen.

Reiß dich zusammen, Hoseok, erinnere dich, wie viel es gekostet hat hierher zu kommen. Jetzt genieß den Erfolg! Ich sagte es mir andauernd, immer und immer wieder. Dennoch konnte ich die Müdigkeit kaum noch ausblenden und es jagte mir große Angst ein. — aber jetzt auf, ARMY warten, sie werden dich auffangen und wir fangen dich auch auf!

Ich schmunzelte - warum bestand meine innere Gedankenstimme aus den drei Hyungs?! Namjoons Entschlossenheit, Yoongis Nüchternheit, Jins Energie. Genau das, was ich jetzt brauchte!

Ich griff nach der Flasche, nahm einen Schluck und erhob mich. Jimin grinste mich von unten an und sprang dann auf mit den Worten:

⁃ JUNGKOOK, jetzt gib mir meine Kekse zurück!

Und hüpfte an mir vorbei – so elegant wie eh und je. Es tat gut zu wissen, dass keiner von ihnen je eine große Sache aus der Niedergeschlagenheit, Nervosität oder anderen Gefühlen machte, derer ich mich des Öfteren schämte. Ich fühle wie die Wärme langsam zurück in meinen Körper strömte. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie kalt mir gewesen war.

Es war an der Zeit mich dem merkwürdigen Gefühl zu stellen.

Der Schweiß lief mir in Strömen über das Gesicht, der Auftritt war beinahe vorbei und die geballten Emotionen der ARMYS schlugen mir entgegen, für mich gab es kein berauschenderes Gefühl in dieser Welt! Und doch war das beinahe kathartische Gefühl noch stärker als sonst. Den Grund dafür hatte ich bisher nicht einordnen können, aber nun da wir vor der Zugabe kurz innehielten, ließ ich meinen Blick über den VIP Bereich schweifen. Währenddessen probierten Namjoon und Yoongi ihre Deutschkenntnisse aus und brachten die Menge zum Toben. (Dabei war Jimin auf einem unsicheren Bodenbelag auf der Bühne mitten in Truth Untold gestolpert und Kookie hatte ihn aufgefangen und wie ein Prinz auf den Armen getragen. Man stelle sich die Reaktionen vor.)

Ich versuchte die aufkommende Hektik zu kontrollieren, beim Tanzen wusste ich immer genau wie mein Körper in der nächsten Sekunde regieren würde, jetzt war ich mir dessen überhaupt nicht mehr sicher. Betont langsam schritt ich am Rand der Bühne entlang und lächelte und grüßte die strahlenden und weinenden Fans und posierte für Fotos und lächelte und lächelte. Verdammt, woher kam diese Unruhe, mir war beinahe übel, so aufgeregt war ich. Was zur Hölle geschah mir mir?

Ihr Blick traf mich und dieser Moment markierte den Beginn des Endes der Welt.

Zumindest für mich. Für den Rest der Welt begann das Ende womöglich als die ersten Nachrichten über eine Epidemie auf allen Social Media Plattformen auftauchten. Zu spät begriffen wir alle, dass die Epidemie nicht auf den online Kanälen übertragen wurde, sondern dass die Kanäle für die Übertragung der Krankheit verantwortlich waren. In der Welt von Instagram, Twitter, Pinterest, tumblr, line, Whatsapp und YouTube hatte niemand eine Überlebenschance gegen eine Krankheit, die dort geboren, genährt und schließlich ausgebrochen war. Diejenigen, die am 16. Oktober 2018 nicht sofort von ihr getötet wurden, erwartete ein viel schlimmeres Schicksal. Es mag klischeehaft und cringy klingen, aber sie waren wie Untote, Zombies, Ghoule, was auch immer die Medien an Begriffen verwenden wollten. Sie kamen nie dazu, da die Kommunikations- und Informationsinfrastruktur innerhalb weniger Stunden kollabierte.

Suga nennt es PTSD, ich erinnere mich nicht, wie wir aus Berlin geflohen sind, wie unser Staff am Handy telefonierend von der Krankheit dahin gerafft wurden, wie Jimin weinend an Jungkooks Schulter lag, während der Rest erstarrt in den Sitzen des Tourbusses saß. All dies hat Namjoon mir nach und nach erzählt, nachdem ich aus einem Stadium des Wahnsinns zurückkehrte. Ich habe nie verstanden, was es heißt aus dem eigenen Körper hinauszutreten, aber in den Tagen nach der Blauen Nacht war ich nicht ansprechbar. Blaue Nacht nenne ich sie, weil der Himmel von einem kobaltblau war, das mir bis heute Übelkeit verursacht. Die Natur breitete nicht die nächtliche Schwärze über den Tod der Menschen, sondern malte uns stattdessen gespenstisch blaue Schatten in die Gesichter.

Es gibt zwei Eindrücke, die mir geblieben sind.

Erstens: ihre großen Augen, die erst vor Glück glühten als sich unser Blicke ineinander verfingen und sich dann vor Angst verdrehten, als die Krankheit ihr Gehirn erreichte. Es war eigentlich physisch unmöglich, aber ich meinte, das grau-blaue Schimmern mit den grünen Reflexen zuerkennen.

Zweitens: Ihre Stimme, die „Hinter dir!" schrie und mich so vor dem Staffmitglied warnte, das von der Krankheit zerfressen, auf mich zu getaumelt kam und das mich — wie ich mit Grauen begriff — beißen wollte.

Jin sei Dank waren wir zum Tourbus gelangt ohne gebissen zu werden oder an unsere Smartphones oder sonstige elektronische Gegenstände zu denken. Er hatte uns während de ganzen zeit angebrüllt, alles stehen und liegen zu lassen und dem Staff zu folgen. Beides rettete uns das Leben – beziehungsweise ersparte uns den Übergang vom menschlichen Leben zu dem Zustand als verrottender Organismus. 

Aufzeichnungen der Nach-WeltWhere stories live. Discover now