Ein langes Gespräch

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Für eine Weile war ich wie gelähmt, ich spürte meinen Körper nicht und konnte nichts weiter tun, als meine Eltern wie eine erschrockene kleine Maus anzustarren.

Die Bilder der schreienden Frau wollten nicht aus meinem Kopf gehen und ich konnte den hässlichen Mann immer noch vor mir sehen.

Erst als meine Mutter vorsichtig meine Hände ergriff, bemerkte ich, dass ich sie in so fest zu Fäusten geballt hatte, dass meine Fingernägel blutige Kerben hinterließen. Auch die Tränen, die über mein Gesicht rollten bemerkte ich erst jetzt. Doch ich weinte nicht nur wegen den verstörenden Bildern des Traumes, sondern auch, weil der Traum zu Ende war. Ich wollte, nein, musste erfahren, was mit der Frau geschehen war.

War sie gestorben und das Kind mit ihr? Hatte der Mann doch bekommen was er wollte?

Ich schrie vor Frustration. Ich hatte solche Albträume schon öfters gehabt, aber noch nie zuvor hatte sich einer so real angefühlt.

Versunken in meiner Misere, beachtete ich meine Eltern nicht und so entging mir, wie die beiden sich zunickten und mein Vater in die Küche verschwand.

Meine Mutter ließ meine Hände los um mir vorsichtig über die Wange zu streicheln. So liebevoll die Geste auch sein mochte, sie nervte mich. Warum konnten meine Eltern mich nie verstehen. Ich war keine Psychopatin. Das was ich hörte, sah, fühlte, das war echt und nicht nur ein Hirngespinst.

"Elly? Wir müssen reden.", ich schreckte aus meinen Gedanke auf, als meine Mutter leise, so wie nur sie es tat, zu mir sprach.

'Wir müssen reden', das war der obligatorische Satz, wenn man in Schwierigkeiten steckte. Das war in jedem Buch, Film und tatsächlich auch in der Realität so, denn ich steckte wirklich in Schwierigkeiten.

Mit gesenktem Blick nickte ich und stand von dem Sofa auf. Reue war das beste Mittel um die Wut der Eltern zu schüren, denn Reue zeigte ihnen ... wie schon gesagt ... das man seine Taten bereute.

Sobald ich stand, musste ich mich erstmal an der Kante des Sofas festhalten, denn nach dem langen Liegen floss das ganze Blut in meine Füße und mir wurde kurz schwarz vor Augen.

Meine Mutter schien mein Innehalten bemerkt zu haben und sprang sofort auf, um mich zu stützen. Genervt richtete ich mich wieder auf.

"Mir geht's gut!", warf ich ihr aggressiver als gewollt an den Kopf.

Sobald die Worte meinen Mund verlassen hatten, taten es mir auch schon Leid, doch meine Mutter stürmte mit einem empörten Schnaufen aus dem Zimmer und ging zu meinem Vater in die Küche. Es war unfair von mir, sie so anzugehen, obwohl sie nur das Beste beabsichtigt hatte. Ich konnte ihr wohl nicht so einfach verzeihen, dass sie meinen Vater angerufen hatte.

Noch schuldbewusster als zuvor ging ich ebenfalls in die Küche, um meine wütenden Eltern zu empfangen. Davor schlang ich mir aber die Decke um die Schultern, da ich angefangen zu zittern hatte und sich ein unangenehmes Kratzen in meinem Hals einnistete. Wahrscheinlich war es doch nicht so gut gewesen, dass ich mich den halben Tag lang im Regen aufgehalten hatte und das ohne Regenjacke und Schirm.

In der Küche saß mein Vater schon am Tisch und meine Mutter stand am Tresen und hielt eine Kaffeetasse so fest zwischen ihren Händen, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

Als ich hereinkam drehten sich beide zu mir um. Die Empörung meiner Mutter schien schon wieder verflogen zu sein, denn sie musterte mich mit ihrem typisch besorgten Blick. Um nicht erneut für Streit zu sorgen, entschloss ich ihn zu ignorieren. Stattdessen setzte ich mich meinem Vater gegenüber. Nur ein kurzes Blick zu seinem Gesicht reichte, um die Enttäuschung zu sehen, die ihn älter als sonst erscheinen ließ.

Sofort senkte erneut ich meinen Blick und konzentrierte mich auf den Saum meiner Decke.

"Elly?", die unerwartet ruhige Stimme meines Vater ließ mich aufblicken. ", du weißt, warum wir dich sprechen wollten.", obwohl es eine rhetorische Frage war, hielt er kurz inne und sprach erst nach dieser kurzen Pause weiter.

"Es kann mit dieser Welt, die nur in deiner Fantasie existiert, so nicht weiter gehen.", nun wurde er lauter und ich versuchte mich in meiner Decke so klein wie möglich zu machen.

Nun schaltete sich auch meine Mutter mit ein: "Du schwänzt Schule, isst nicht mehr richtig, schläfst kaum noch und", sie hatte all die Dinge an ihren Fingern abgezählt. ", du verbringst deine Freizeit nur noch in diesem verdammten Wald.", bei diesen Worten zuckte ich wirklich zusammen, denn meine sonst so sanfte Mutter rügte mich immer, wenn ich ein Schimpfwort in den Mund nahm.

Sie musste wirklich wütend sein, wenn sie schon so von diesem Wald sprach. Eigentlich war sie es damals gewesen, die meinen Vater und mich davon überzeugt hatte, aus der Großstadt auf's Land zu ziehen.

Mein Vater hatte sich mittlerweile neben meine Mutter gestellt und Ihr beruhigend den Arm um die Schulter gelegt.

"Wir haben lange überlegt, wie wir diesem Unsinn ein Ende setzen können.", insgeheim überlegte ich, wie lange sie sich wohl schon Gedanken darum machten, ohne das ich etwas davon mitbekam. Meine normalerweise offenen Eltern zeigte ganz neue Seiten von sich.

"Wir haben beschlossen, dass es unklug wäre, dich zu einem Psychotherapeuten zu schicken. Auf jeden Fall nicht hier.", ich atmete erleichtert aus. "Deshalb dachten wir, dass dir ein Tapetenwechsel vielleicht ganz gut tun würde."

"Wie meint ihr das?"

"Wir werden umziehen. Dieses Haus ist ohnehin viel zu groß für uns drei und wir haben uns auch schon in der Stadt umgesehen und ein paar Häuser besichtigt- ..."

"Nein! Das könnt ihr nicht machen!"

"Doch, das können wir. Ende dieses Monats werden wir umziehen."

Entkräftet ließ ich mich auf den Stuhl auf fallen, den ich gerade vor Wut umgeschmissen hatte. Ich fühlte mich betrogen, hintergangen. Das konnten meine Eltern doch nicht machen!

Mit einem fremden Menschen über seine Probleme reden zu müssen, war die eine Sache. Aber gleich komplett umziehen zu müssen, war eine ganz andere. Ich wollte noch mehr über die Elfen erfahren, mehr über ihre Künste, ihr Reich, ihre Kultur lernen.

Ohne nochmal über die Folgen nachzudenken rannte ich aus der Küche, ignorierte die überraschten Schreie meiner Eltern und rannte hinaus in den Regen, hinein in den Wald.

Sollten sie doch umziehen soviel sie wollten, ich würde hier bleiben und dazu brauchte ich sie nicht.

An Autumn's TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt