Da stand ich also vor meinem Spiegel. Mit bordeaux farbenen Kleid, welches mir bis zu den Knien ging, dazu trug ich einfache schwarze Ballerinas, auch meine lieblings Lederjacke durfte nicht fehlen. Nach mehreren verstrichenen Minuten, ob ich die Tasche mit Anhänger, oder die mit Akzenten nahm, entschied ich mich für die schlichtere, die ohne allem.
Ich hatte niemanden was von meinem Aufeinanderstoßen mit Matthew erzählt, meine besten Freunde sind in der Uni – haben also keine Zeit für mich. Und meine Eltern? Die würde nur die Augen verdrehen oder sich nicht interessieren. Ich setzte mich an meinen kleinen Schminktisch und begann mir dezentes Make-Up auf mein Gesicht zu setzen.
Ich war noch nie gut im Schminken, sowas übernahm bei potenziellen Dates immer Zoe, die sich seit der 3. Klasse als meine beste Freundin bezeichnen durfte. Sie ist das Püppchen von uns beiden, immer geschminkt und perfekt abgestimmt angezogen. Ich dagegen ging teilweise mit Messy-Dutt und Jogginghose in die schule – jeder soll ja das tragen was er will, oder?
Es dauerte keine 10 Minuten bis ich zufrieden sagen konnte, dass mir das Schminken gelungen ist. Hätte ich ein Hausaufgabenheft, würde da jetzt ein Bienchen mehr drin kleben.
Der Blick auf die Uhr verriet mir das ich noch eine knappe halbe Stunde Zeit hatte bis es 7 wäre. Ich entschied mich dazu nochmal meine Zähne zu putzen, für den Fall der Fälle. Meine Haare ließ ich offen und legte zum Abschluss noch ein wenig Parfüm auf.
Als ich im Bad fertig war packte ich nur noch Kleinigkeiten in meine Handtasche, Handy, Portemonnaie, Kaugummi und meinen Schlüssel. Fertig eingeräumt lief ich die Treppen hinunter Richtung Haustür.
„Ich geh' nochmal raus, bin 22 Uhr wieder da", sagte ich zu meinen Eltern und verlies mit diesen Worten das Haus.
Wie bereits heute Morgen lief „Riptide" aus den Kopfhörern meines Handys, und wieder musste ich mir Mühe geben nicht mit zu singen, nur gelang mir es dieses Mal.
Was mache ich eigentlich, wenn Matthew nur ein Vergewaltiger ist? Oder mich sogar entführen will?
Traue nie einem Fremden, die lieblings Worte meiner Oma hallten mir durch den Kopf. Aufgrund dieser Absurden Gedanken konnte ich mir ein grinsen nicht vergleichen, wieso sollte mir jemand unbekanntes was antun wollen? Verrückter Kopf.
Im Park angekommen setzte ich mich auf die Bank von heute Vormittag. 18.53 Uhr, verriet mir mein Handy, typisch deutsch wieder – überpünktlich.
„Grace!", hörte ich hinter mir jemanden sagen. Nicht nur jemanden, sondern Matthew. Ich drehte mich zu ihm um und wir begrüßten uns mit einer kleinen Umarmung. Er trug eine schwarze Jeans, dazu ein weißes Hemd. Seine dunkelbraunen Locken schienen nicht gestylt zu sein, trotzdem sahen sie perfekt aus. Er hatte grüne Augen, sie strahlten etwas von Wärme aus, aber auch Furcht und Dunkelheit. Ich wollte wissen was sich dahinter befindet. Wer ist Matthew?
„Toll siehst du aus!", sprach er zu mir, ich merkte sofort wie mir das Blut in mein Gesicht schoss und meine Wangen rot wurden, ich konnte mir nach diesem Kompliment kein schmunzeln verkneifen, gab mir aber etwas Mühe es nicht zu auffällig wirken zu lassen.
„Magst du Pizza? Ich hoffe du magst Pizza! Ich hoffe noch viel mehr du isst KEINE", was er besonders betonte, „Ananas auf deiner Pizza!". Ich grinste nur vor mich hin und gab ihm als Antwort zu wissen, dass Pizza mein Lieblingsessen ist, und Obst sich in meiner Welt nicht auf eine Pizza gehörte.
„Perfekt, ich kenne hier in der Nähe den besten Italiener", sagte er, nahm meine Hand in seine und zog mich in Richtung Restaurant.
Bis zu dem mir unbekannten Ort liefen wir 15 Minuten, er ließ kein einziges Mal meine Hand los, was meinen weiblichen Verstand regelrecht verrückt machte.
Von außen machte der Italiener tatsächlich der Beste in der Umgebung zu sein. Vor dem kleinen Laden standen ein paar Tische, um in der warmen Jahreszeit, so wie heute, draußen essen zu können.
„Also Grace, wie alt bist du? Von wo kommst du? Hast du Geschwister?", fragte er mich aus und lies seinen Blick dabei keine Sekunde von mir.
„Ich bin 19, wohne schon immer hier in Leipzig und bin stolzes Einzelkind, wie sieht es bei dir aus?" „Über mich brauchen wir nicht reden! Du bist viel interessanter, Schönheit", sprach er, und wollte sofort weiterreden, wurde aber vom Kellner unterbrochen. „Grace!" „Tom!", erkannte ich meinen besten Freund und nahm ihn kurzer Hand in den Arm. „Was machst du hier und wer ist das?", fragte der Rotschopf mich skeptisch. „Wir sind Essen, Tom Matthew, Matthew Tom", stellte ich die beiden untereinander vor. Matt's Blick war kühl, fast ein wenig unsicher, was hatte das zu bedeuten?
Tommy nahm die Getränke und das Essen auf, wir beide bestellten eine Cola sowie eine Salami Pizza, gibt es etwas leckereres?
Als wir die Bestellung abgegeben hatten, tippte Matthew etwas auf seinem Handy rum und hatte dabei weiterhin diesen verunsicherten Blick drauf.
„Alles gut?", fragt ich ihn vorsichtig. Er zuckte kurz zusammen und packte sein Handy schnell wieder in die Hosentasche. „Ja na klar! Was sollte denn sein?", antwortete er und zog eine gespielt normale Miene auf. „Wir waren bei dir stehen geblieben, was machen deine Eltern beruflich?" „Meine Eltern? Also, meine Mutter, Silke, ist Grundschullehrerin, mein Vater, Lorenz, leitet eine Elektronik-Firma", antwortete ich und ehe ich meinen Satz ausgesprochen hatte, setzte er wieder eine unerklärliche Miene auf, was hatte das nur zu bedeuten? Wäre es zu komisch ihn konkret darauf anzusprechen? Ich glaube schon.
„Das klingt doch vielversprechend was?". Wie so oft heute schon schmunzelte ich, war mir aber dennoch über seine Mimik unsicher.
Es dauerte keine 10 Minuten bis unser Essen an den Tisch gebracht wurde. Während wir die Pizzen aßen, redeten wir ununterbrochen. So erfuhr ich beispielsweise das er schwedischer Abstammung ist, 5 Geschwister hat und sein ganzes Leben dem Fußball gewidmet hatte.
Schätzungsweise brauchten wir für unser Essen eine Dreiviertelstunde, oder noch länger? Ich hatte kein Zeitgefühl mehr. Irgendwann wurden wir fertig, er bezahlte die Rechnung und gab Tom sogar 5€ Trinkgeld.
Hand in Hand liefen wir wieder Richtung Park, ließen uns aber mehr als genug Zeit. Ein Blick auf mein Handy verriet mir nichts Gutes, 7 verpasste Anrufe meiner Eltern und einige meiner Freunde. Aber was für eine Verabredung wäre ich, wenn ich jetzt telefonieren würde?
Es war kurz vor 9 und so allmählich wurde es dunkel und mir dazu kalt.
Matthew's Sicht
Ich spürte ihr zittern mehr als deutlich an meiner Hand, es brauchte keine 2 Sekunden bis ich meine Jacke ausgezogen hatte und sie ihr über die Schultern legte.
Mir wurde übel bei dem Gedanken was den Abend noch passieren würde, aber hatte ich eine Wahl? Nein.
Grace ist großartig, ihre Art ist besonders, ihr Lachen zaubert mir ein lächeln in mein Gesicht und von ihrem traumhaften Aussehen möchte ich gar nicht erst reden. Verdammt Matthew. In was hast du dich da reingeritten? Fuck.
Ich blieb stehen und zog sie mit wenig mühe frontal zu mir. Ihr überraschter Blick brachte mich zum Grinsen, doch es wurde sofort von meinen negativen Gedanken vernichtet.
„Du bist toll, weißt du das?", fragte ich sie. Sofort stieg ihr die röte in die Wangen, man sah ihr an wie sehr sie sich das Lächeln verkniff.
Das Blut pumpte kräftig durch meine Adern, so stark, dass ich beide Halsschlagadern pochen hörte. „Und du musst wissen, liebe Grace, alles Schlechtes auf der Welt was ich mache und getan habe, ist freiwillig. Verzeih mir bitte", sprach ich an sie gewandt, und hielt meine Stimme so ruhig wo möglich.
Ihr Gesichtsausdruck wurde von einem verkniffenen Lächeln, zu einem unsicheren, geschockten Blick, sie wich sofort einen Schritt zurück von mir.
Ich sah sie mit einem entschuldigten Blick an, und in derselben Sekunde kam Leon mit dem in Chloroform getauchten Tuch in der Hand aus dem Gebüsch.
YOU ARE READING
Stockholm-Syndrom | mrsswhatever
Mystery / Thriller-- Das Stockholm-Syndrom beschreibt einen psychologischen Effekt, in dessen Rahmen Opfer von z.B. Geiselnahmen positive emotionale Gefühle zu ihren Entführern aufbauen. -- Wieso verschwinden immer mehr Jugendliche in Leipzig? Wieso spricht sie der...