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„Schoko oder Karamell?“, fragt mich mein Lieblingskommissar schmatzend. Grinsend lehne ich ab und sehe Tom dabei zu, wie er achselzuckend die Keksschachtel beiseite legt und sich zu mir auf den Boden setzt. „Also, da wären wir wieder!“, stellt er fest, kratzt sich am Hinterkopf und lächelt mich an. „Wie war es gestern noch so?“, will er wissen und ich ziehe abschätzig eine Augenbraue nach oben. „Du meinst bei den ganzen Irren?“, scherze ich, aber Tom sieht mich nur ernst an. „Also ich sehe das so, Spencer: Die würden dich nicht zu den ganzen Psychos stecken, wenn mit dir alles in Ordnung wäre“, meint er und legt seinen Kopf schief. Empört seufze ich auf. „Ich bin also irre?“, möchte ich mich vergewissern, doch Tom schüttelt heftig den Kopf. „Ach Quatsch! Ich wollte damit lediglich sagen, dass du eine schwere Zeit hinter dir hattest“, redet er sich heraus. Gerade, als ich etwas erwidern will, wendet er sich ab, schnappt sich das Notizbuch von gestern und kritzelt das Datum von heute in die rechte, oberste Ecke einer weißen Seite. Kurz darauf wirft er mir einen geduldigen Blick zu und nickt, um mir zu bedeuten, dass ich anfangen könne, zu reden. Einmal schlucke ich noch laut, bevor ich dort ansetze, wo wir gestern aufgehört hatten: „Isaac starrte mich belustigt an. Er fand es ganz offensichtlich witzig, wie ich mich an die Wand quetschte, einfach nur, um weit genug von ihm entfernt zu sein. Steven betrachtete mich gründlich, ehe er ein dreckiges Grinsen aufsetzte. „Du sagtest ja, sie ist schön, aber das sie so verboten gut aussieht, hast du nicht erwähnt!“, schnurrte er dem Mann vor ihm zu und leckt sich über die Lippen. „Das einzig Verbotene hier ist meine Entführung!“, knurrte ich wütend und laut. Ich war nur laut, um meine Panik und Verzweiflung zu überspielen. Adrenalin schoss durch jede einzelne Vene meines Körpers. „Will da jemand frech werden?“, fragte Isaac lachend. Steven lachte ebenfalls, doch ich senkte einfach nur meinen Blick. Plötzlich packte jemand meinen Knöchel und zog mich nach draußen. Sonnenstrahlen blendeten mich, aber Isaacs Kopf schob sich rasch vor meinen. „Hör mir mal zu, Miststück! Du hast gefälligst die Fresse zu halten, verstanden?“, schrie er mich an und ich zuckte zusammen. Meinen ganzen Mut gesammelt entgegnete ich leise: „Du hast mir überhaupt nichts zu sagen!“ Binnen weniger Sekunden landete Stevens flache Hand auf meiner Wange. Es ertönte ein riesiger Knall und mein Kopf wurde dank des Aufpralls zur Seite geschleudert. Keuchend lag ich auf dem dreckigen Boden und hielt mir die schmerzende Stelle. „Du hast kein Recht so mit Mr. Parker zu reden, du kleine Schlampe!“, bellte Isaacs Schoßhündchen und erntete dafür viel Lob von seinem Herrchen. Ich biss mir in die Zunge, um nicht an den stechenden Schmerz in meinem Gesicht denken zu müssen. „Mir gefällt, wie du mit ihr umgehst, Steven. Du hast verstanden, worum es geht. Du bist nicht so ein Feigling, wie James!“, sagte Isaac und ich war mir nicht sicher, ob ich in diesem Moment lachen oder weinen wollte, also tat ich nichts davon. Still drehte ich mich auf den Rücken, jedoch war ich unfähig, mich aufzusetzen, denn augenblicklich drückte mich Stevens Fuß auf den Boden. Schwer atmend sah ich zu ihm herauf. Keinerlei Gefühle spiegelten sich in seinem Blick oder seinem allgemeinen Auftreten wieder. Er wollte Isaac gefallen und nicht weniger. „Sie gehört dir“, trällerte dieser und klopfte seinem Hund anerkennend auf die Schulter. „Fessel sie, sperre sie weg, schlage sie.. Ist mir alles total egal! Hauptsache sie bleibt am Leben. Brot und Wasser nur bevor sie wirklich ernsthaft zu Schaden kommen könnte. Denn du weißt – Ohne Mädchen keine Belohnung!“, informiert er Steven, sieht dabei aber nur mich an. Er sprach laut und unmissverständlich. Einen kurzen Augenblick später verzog er qualvoll das Gesicht und spuckte mich an, empört schnappte ich nach Luft. Es schien ihm zu gefallen. Meine Panik, mein Schmerz, mein Ekel – all das war seine Leidenschaft und Steven sorgte stets dafür, dass Isaac alles bekam, was er wollte. Das Hündchen packte mich also grob an den Handgelenken und schleifte mich zurück in die Hütte. Schwungvoll steckte er mich dort rein und verschloss die Tür. Schritte waren zu hören und ich atmete erleichtert auf. Es kam mir vor wie zwei Stunden, es wurde langsam dunkel, als ich ein Auto hörte. Hoffnungsvoll krabbelte ich zur kleinen Holztür, rüttelte daran und schrie nach Hilfe. „Halt deine verdammte Schnauze!“, brüllte mich jemand vom Auto aus an. Steven. „Was willst du schon dagegen tun, huh?“, rief ich zurück. Wenn die beiden mich fertig machen wollten, dann würde das alles sowieso ein rasches Ende nehmen, also konnte ich wenigstens mutig sein und versuchen, mich zu wehren. „Hast du ein Glück, dass ich dich nicht umbringen darf! Du würdest schon längst kopfüber mit aufgeschlitztem Körper an irgendeinem Baum am Wegrand hängen und dich von Maden zerfressen lassen, wenn es nach mir ginge!“, blökte er aufbrausend. „Was für ein Glück für mich, dass es nicht nach dir geht, Steven! Aber was soll das Schoßhündchen vom ‚Boss‘ mir schon groß antun? Es ist echt lächerlich jemanden, wie dich, auf mich anzusetzen!“, provozierte ich den Blondschopf aus dem sicheren Inneren meiner Hütte. Durch ein paar Ritzen erkannte ich Steven, welcher mit knallrotem Kopf in meine Richtung gesprintet kam. Krachend riss er die Tür auf, griff mein Bein, bevor ich reagieren konnte, zog mich zu sich und schlug mir mehrmals mit der flachen Hand ins Gesicht, ehe er mir ein paar Hiebe mit der Faust in den Magen verpasste. Vor Schmerzen halb ohnmächtig sah ich ihm in die hellen Augen, welche vor Anspannung ganz glasig wirkten. „Du elendes Drecksstück!“, war das letzte was ich noch hörte, bevor ich zusammenklappte“, erzähle ich und starre dabei ununterbrochen auf die dunkelrote Keksschachtel von Tom. Ich erhebe mich und nehme mir ein Glas Wasser vom Tisch. Nachdem ich meinen trockenen Hals damit geflutet habe, wende ich mich an den Kommissar in dunkler Dienstkleidung. „Auch eins?“, frage ich. Irritiert blickt er kurz von seinem Buch hoch und schüttelt dann lächelnd den Kopf. Gleich danach macht er sich weiter irgendwelche Notizen. „Schreibst du eigentlich auch so einen Müll auf, wie: Patientin 007 hat ein Glas Wasser getrunken?“, will ich von ihm wissen und grinse ihn breit an. Er legt lachend das Notizbuch weg und sieht mich an. „Zu aller erst bist du gar nicht Patientin 007! Du bist ein Opfer, wenn du bei uns bist und hier steht dein vollständiger Name Mrs. Spencer Jane Sofia Arndt. Zweitens schreibe ich sogar auf, wie oft du mit deinen Füßen wackelst, während du erzählst! Ist nämlich ein Anzeichen für Nervosität und so“, meint er locker und beobachtet mich belustigt, als ich geschockt die Augen aufreiße. „Ernsthaft?“, flüstere ich, aber sein Lachen ist Antwort genug. „Du bist doch bescheuert! Hah! Na also, da haben wir es ja: Du bist irre, nicht ich! Du gehst ab jetzt für mich in die Psychiatrie!“, erkläre ich Tom und strecke ihm dann meine Zunge entgegen. „So gerne ich auch deinen Platz dort einnehmen würde, Spencer, aber ich werde hier leider gebraucht!“, beteuert er und wirft mir einen gespielt traurigen Blick zu. „Ja klar! Wer bäckt sonst die Kekse?“, frage ich und zwinkere ihm zu, woraufhin er wieder einmal lacht. Auf einmal wird die riesige Tür aufgerissen. „Mr. Davids? Die Zeit ist um. Wir müssen Mrs. Arndt zurück in die Psychiatrie bringen!“, informiert uns mein Pfleger. Ich hasse ihn. Also ich hasse den Fakt, dass er ständig und überall erwähnen muss, dass ich verrückt bin. „Verstanden, Sir. Spen- Mrs. Arndt wir sehen uns dann am Donnerstag wieder, um 16Uhr, wenn ich bitten darf“, erwidert Tom und ich bin von seiner Förmlichkeit verwirrt, aber er ist schließlich immer noch Kommissar. „Donnerstag? Das ist ja erst nächste Woche“, stelle ich fest und Tom nickt. „Ich habe ab morgen frei, deshalb können wir uns erst am Donnerstag wieder sehen. Bis dann“, verabschiedet er sich höflich, doch im Vorbeigehen zwinkert er mir noch kurz zu und ich schenke ihm ein ehrliches Lächeln.

Stockholm SyndromWo Geschichten leben. Entdecke jetzt