eins - der Schicksalstag

5.4K 186 39
                                    

Camille McNewson

Hätte ich geahnt, was mich an diesem Tag erwarten würde, wäre ich wohl im Bett geblieben.

Aber da ich das natürlich nicht getan hatte, führte meine Familie gerade die größte Diskussion meines Lebens. Ja, sie stimmten über mein Leben ab.

Als meine große Schwester Fyjona vor ein paar Stunden mit einem Brief in die Küche gekommen war, hatten wir sie alle fragend angestarrt, da sie so ein Grinsen auf dem Gesicht gehabt hatte. Was genau in diesem Brief stand, wollte ich gar nicht mehr wissen, nachdem auch meine Mutter einen aufgeregten Gesichtsausdruck aufsetzte und mich anstarrte. Doch ihre triumphierende Stimme machte es unmöglich, wegzuhören.

„Sehr geehrte Familie McNewson, unser geschätzte Kronprinz hat vor kurzem sein 20. Lebensjahr erreicht und ist nun bereit für den Trohn. Um diesen ehrenvoll zu besteigen, fehlt im eine Gemahlin an seiner Seite. Da wir diese Tradition schon seit Jahrhunderten führen, wird es auch bei diesem Mal eine Selection geben", Mom legte eine kurze Pause an und sah mich vielsagend an, „Die jüngste Volkszählungen haben ergeben, dass in ihrer Familie eine ledige Jungfrau im Alter von 18-21 Jahren befindet. Diese Tochter, Schwester oder Cousine des Hauses ist hiermit herzlich dazu eingeladen sich für das diesjährige Casting, in dem sie mit 34 anderen jungen Damen um den Prinzen wirbt, anzumelden. In diesem Jahr wird das Casting etwas anders verlaufen: Vier junge Männer werden zusammen mit den Ladys in dem Palast leben und sie kennenlernen. Bei einem von diesem handelt es sich um unseren Kronprinzen. Diese Maßnahme wurde getroffen, damit sichergestellt wird, dass es sich bei einer möglichen Heirat nur um Liebe handelt und diese nicht aus Gier geschieht. Weitere Informationen können Sie dem beiliegenden Anmeldeformular entnehmen. Mit freundlichen Grüßen, Ihre Königsfamilie."

Alle hielten die Luft an und schauten erwartungsvoll zu mir. Ich war vor vier Monaten 18 geworden und damit die einzige meiner Geschwister in dem angegebenen Altersraum. Abgesehen natürlich von meinem Zwillingsbruder Ashton.

Fyjona war bereits 23 und verlobt, sodass sie bald ausziehen würde und Lacy, meine kleine Halbschwester war erst 9. Sie war die Tochter von Piet, meinem Stiefvater, und meiner Mutter.

Mein Vater war vor vier Jahren verstorben, doch meine Eltern waren bereits vor seinem Tod getrennt gewesen. Obwohl mein Dad schon fünf Jahre vor seinem Tod bei uns ausgezogen war, hatte er mich tief getroffen. Noch heute vermisste ich ihn, wenn mich etwas an ihn erinnerte. Dennoch mochte ich Piet. Er war fröhlich und Lacy ein sehr guter Vater. Außerdem machte er meine Mutter glücklich und das war das Wichtigste.

„Jetzt ergibt es auch einen Sinn, dass der Prinz nie im Fernsehen gezeigt wurde", Fyjona durchbrach die Stille, „Ich dachte immer, es wäre einfach, um ihn zu schützen."

Meine Mutter nickte meiner Schwester zu. „Das dachten wir wohl alle..", doch sie durchborhte mich mit ihren Augen, sodass ich wusste, was sie eigentlich sagen wollte.

„Du bist gemeint!", entfuhr es Lacy und sie strahlte mich an, als wäre sie sehr stolz auf ihren genialen Einfall. Mom nickte zustimmend und grinste ebenfalls vom einen Ohr aufs andere.

Fyjona lachte, wobei sie die Begeisterung der anderen beiden nicht wirklich teilte. Piet sah ebenfalls ein wenig so aus, als wüsste er nicht, wie ihm geschah.

Ashton hingegen starrte ein wenig verdrossen drein. Er gratulierte mir zwar, aber ich konnte spüren, dass dieser Brief ihm insgeheim ungelegen kam. Er war immerhin mein Zwillingsbruder und wir unternahmen alles gemeinsam. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, wie es sein würde, mehrere Monate von ihm getrennt sein.

Ich warf ihm einen langen Blick zu und unterbrach schließlich den Jubel der anderen. „Hey Leute, seid bitte mal ruhig. Ich..ich mache nicht mit. Ich mache nicht mit, okay? Also schlagt es euch gleich aus dem Kopf", sagte ich bestimmt und sah Mom fest in die Augen, die micch fassungslos anstarrte.

„Was?", fragte sie verblüfft, „Camille, du musst mitmachen. Das ist eine riesige Chance für dich! Für uns alle. Was meinst du, was wir für Möglichkeiten hätten.."

Viel mehr musste meine Mutter nicht sagen, sondern mich nur mit einem niedergeschlagenen Blick anschauen, um mir ein schlechtes Gewissen zu bereiten. Auch Lacy bettelte nun weiter.

„Camy, bitte! Denk nur dran, wie cool das Casting ist! Ich könnte jede Woche meine große Schwester im Fernsehen sehen! Und dann auch noch in dem Palast! Vielleicht verliebst du dich sogar in ihn und ihr werdet heiraten und bis an euer Lebensende glücklich sein..", schwärmte Lacy. Dieses Mädchen hatte definitiv zu viele Märchen gelesen.

Ich seufzte und kniete mich vor Lacy hin. „Weißt du, Lace. Manchmal tut ein Mensch Dinge, die keinen Sinn ergeben und vollkommen unvernünftig sind. Und trotzdem tut er sie. Und genau das werde ich jetzt auch tun. Ich möchte mich nicht anmelden, auch wenn du das vielleicht nicht nachvollziehen kannst. Weil ich euch, meine Familie, nicht alleine lassen kann und will. Ich liebe euch mehr als alles andere und deswegen ist jede einzelne Minute mit euch kostbar. Ist es nicht viel schöner, wenn wir uns jeden Tag persönlich sehen, als nur jede Woche im Fernsehen?"

Lacy verzog ihren Mund, nickte aber langsam. „Ich liebe dich auch, Camy. Aber trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass du dich anmeldest."

Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und stand dann auf, um mich meiner Mom zuzuwenden. „Mom?"

Sie sah auf. „Ich verstehe dich einfach nicht, Camille. Wirklich nicht. Du musst doch nur ein Formular ausfüllen. Was ist schon groß dabei? Selbst wenn du nicht genommen wirst, würdest du immerhin im Nachhinein nicht bereuen, dich nicht angemeldet zu haben. Eine solche Chance kommt nur einmal im Leben! Und wenn du tatsächlich genommen würdest, würde das jegliche unserer Probleme in Luft auflösen. Wenn du sagst, dass du deine Familie liebst, tust du es anscheinend nicht genug, um dich dort anzumelden."

„Das ist nun wirklich gemein, Mom", meinte Fyjona entschieden, „Nur weil du ihre Entscheidung nicht nachvollziehen kannst, solltest du nicht so unfair ihr gegenüber sein. Camille liebt uns alle, das steht ja wohl fest."

Ich sah sie dankbar an und wollte gerade etwas sagen, da stand Ashton auf einmal auf. „Es ist schon in Ordnung, Cam. Melde dich an. Ich will nicht in dem Wissen leben, dass du dir meinetwegen eine solche Chance hast entgehen lassen. Mom und Lace haben recht."

Ich wollte widersprechen, doch Ashton wusste ganz genau, dass er der Grund war, weswegen ich zögerte. Obwohl mein Bruder ein absoluter Mädchenschwarm war, der nach aupen hin taff wirkte, wusste ich doch, dass er einen weichen Kern hatte und ich hatte das Gefühl, ih beschützen zu müssen. Ich war zwar nur sieben Minuten älter als er, aber dennoch war ich die große Schwester.

„Ash...", setzte ich an, doch er schüttelte den Kopf und schob mir das beiliegende Formular hin.

Schließlich nickte ich langsam. „In Ordnung, ich werde das Formular ausfüllen. Aber macht euch bitte keine Hoffnungen", fügte ich schnell hinzu, als ich Lacys leuchtende Augen sah.

„Meine Schwester wird eine Prinzessin! Meine Schwester wird eine Prinzessin!", schrie sie dennoch und hüpfte aufgeregt im Wohnzimmer herum.

Fyjona lachte. „Wenn Camille Königin wird, werden wir beiden Prinzessinnen, Süße." Lacys Augen strahlten noch mehr, was uns alle zum Lachen brachte.

„Ich werde mein Bestes geben, meine holden Damen", meinte ich spielerisch und deutete einen Knicks an.

Nun lachte auch Piet und während Mom, Fyjona und Lacy sich darüber austauschten, welches Outfit ich für das Bewerbungsfoto tragen würde, musste ich anfangen zu grinsen. Ich konnte mich wirklich glücklich schätzen, meine Familie zu haben. Ich würde sie auf keinen Fall enttäuschen.

The Selection - never give upWo Geschichten leben. Entdecke jetzt