Von hinten

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Magnus

„Bitte, bitte, bitte!"

Mit verschränkten Armen sieht Lydia aus meinem Körper auf mich herunter und sieht wirklich ein wenig einschüchternd aus. Wieso kann ich das nicht?

„Er hat schon zugesagt. Und ich brauche die Zeichnung, ich habe nur noch bin Montag Zeit und habe einfach niemanden gefunden, der Modell sitzen würde."

Ich habe keinen blassen Schimmer, wie es so leicht sein konnte, Alexander am gestrigen Nachmittag zu überreden, nach diesem atemberaubenden Kuss und dem unangenehmen Gespräch danach. Aber der Zeitdruck und die Tatsache, dass niemand anderes zur Verfügung steht, scheinen ganz einfach sein Herz erweicht zu haben.

„Wieso macht deine Clary das nicht? Sie studiert doch mit dir, da kann sie sich sicher mal kurz für dich hinsetzen."

Ich verdrehe die Augen. „Clary ist meine Freundin. Es wäre schon ein wenig komisch, wenn sie sich vor mir ausziehen würde. Das könnte ich nicht verlangen." Eine unangenehme Situation: Bei dem Seminar zu Aktzeichnungen, zu dem Professor Garroway eine Tänzerin als Modell engagiert hatte, habe ich mit Grippe im Bett gelegen. Um nicht noch ein Semester länger zu brauchen, habe ich versprochen, das Projekt in Heimarbeit zu erledigen und mir selbst jemanden zu suchen, den ich zeichnen kann. Natürlich habe ich das ewig vor mir hergeschoben, und bald ist die Abgabe fällig.

„Alec ist auch dein Freund.", widerspricht Lydia. Da hat sie natürlich Recht. „Das ist was komplett anderes. Er ist ein Mann. Wenn er sein Shirt auszieht, ist das bei Weitem nicht so verfänglich."

Mit erhobener Augenbraue mustert sie mich. Ich wusste gar nicht, dass sie sich unabhängig voneinander bewegen lassen, das ist mir nie gelungen.

„Nur das Shirt?", hakt sie nach, und ich weiß, ich habe sie so weit.

Ich zucke die Schultern. „Ich schätze, den Rest kann ich mir zusammenreimen." Ich grinse sie frech an. „Oder vielleicht ein kurzer Blick, von hinten?"

Aus verengten Augen schießt sie Blitze auf mich ab. „Wieso von hinten?"

Ich schüttele den Kopf, weil sie etwas Maßgebliches nicht verstanden hat.

„Okay, also du bist eine Anfängerin, deswegen nehme ich dir das nicht übel. Ich will die Muskeln auf seinem Rücken haben. Die Schultern, angedeuteter Kontrapost, das Gesicht im Profil... Das ist geheimnisvoll, sexy."

Lydia überbrückt die Distanz zwischen uns und boxt mir auf den Arm. Dann überrascht sie mich mit einem Lachen. „Du hast das von Anfang an geplant!", beschwert sie sich. Ich grinse zurück. „Und er ist in zwanzig Minuten hier."

Nun ist sie doch wieder erschrocken. „Aber ich bin du. Und ich kann vielleicht ein wenig zeichnen, aber wenn du mein Bild abgibst, musst du den Kurs doch nochmal wiederholen."

Ich nicke verstehend, lege beruhigend meine Hand an ihre Schulter. Andersherum. Ihre Hand an meine Schulter. Ich muss ein Kichern unterdrücken. Seit dem Kuss gestern kann ich nicht aufhören, zu grinsen. Ja, ich weiß, er hat sie geküsst, nicht wirklich mich, aber ich werde niemals näher an ihn herankommen als das und es war viel besser, als ich es mir so oft erträumt habe. Wie es wohl wäre, ihn noch einmal mit meinen eigenen Lippen zu schmecken? Ob es noch so wäre wie vor fast zehn Jahren?

„Deswegen habe ich gesagt, ich hätte dir mal versprochen, dir ein paar Zeichentricks zu zeigen. Und dass wir das als Gelegenheit nutzen können. Wir zeichnen ihn beide, tauschen die Bilder, und er kriegt nichts davon mit."

Wenig später steht Alexander unbeholfen in meiner Wohnung und betrachtet Lydia mit einem flehenden Blick. Sie ist ich, also muss sie ihm eine Einweisung geben.

Unum ad Unum - MalecWo Geschichten leben. Entdecke jetzt