Kapitel 4: Die Sache mit dem Platz einnehmen - Teil 3

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Seit der Gruppensitzung am Donnerstag hatte das kleine Häufchen Elend viel Zeit damit verbracht, über das Thema Wichtigkeit nachzudenken. Nun war Dienstag und das kleine Häufchen Elend hatte einen Entschluss gefasst. Zwar war es immer noch nicht ganz von seiner Wichtigkeit überzeugt, aber es fühlte sich schon etwas zur Gruppe zugehörig und verbrachte mehr Zeit mit den anderen. Von daher wäre es, rein aus pragmatischen Gründen, vielleicht gar nicht so schlecht diese Namens-Sache mal auszutesten. „Kleines Häufchen Elend" war halt doch schon sehr lang und umständlich zu sagen oder zu rufen und so hatte es entschieden, dass die anderen es von nun aus Kai nennen durften. Kurz und schmerzlos, leicht zu behalten und einfach zu schreiben.

In der Morgenrunde verkündete es stolz seinen Entschluss. „Über die Beweggründe müssen wir nochmal reden, schließlich ging es ja eigentlich darum, dass du dich wichtig genug nimmst Kai, und nicht darum, den anderen das Leben einfacher zu machen", sagte Frau Spring, „aber trotzdem sehe ich, dass du viel nachgedacht hast nach der Gruppensitzung von Donnerstag. Das finde ich sehr lobenswert. Die Motivation, auch außerhalb der Sitzungen über das Besprochene weiter nachzudenken und Dinge zu üben ist ein wichtiger Grundbestandteil einer Therapie."

Frau Brandflinte war der gleichen Meinung, doch auch sie bestand darauf, das Thema Wichtigkeit, Selbstwert und Selbstrespekt weiter zu vertiefen. Die Gruppe sah ein, dass das definitiv für alle eine gute Idee war und so wurde über mehrere weitere Sitzungen hinweg dieses Thema besprochen, diskutiert, reflektiert, geübt und mehr und mehr verinnerlicht, so gut es eben für jeden einzelnen ging. Dem kleinen Häufchen Elend – äh, Kai natürlich!! – fiel das sehr schwer. Er verstand die ganze Sache in der Theorie und fand auch, dass die anderen das unbedingt bei sich anwenden sollten und endlich sehen sollten, wie wertvoll sie waren und wie viel Liebe und Respekt sie verdienten. Nur bei sich selbst konnte er sich das einfach überhaupt nicht vorstellen, dass er, das kleine nichtsnutzige Häufchen Elend, die gleiche Wertschätzung verdiente wie seine neuen Freunde.

Als Kai das einmal in Gegenwart von Frau Held erwähnte, stutzte diese. Ihr war das Wort „nichtsnutzig" in den Ohren hängen geblieben. „Also erstens, mein lieber Kai, bist du keinesfalls nichtsnutzig! Du hast viele Talente und beeindruckende Fähigkeiten! Und zweitens, ganz egal wie erfolgreich du bist, wie viel Leistung du erbringst oder wie nützlich du anderen sein kannst, du verdienst immer Respekt. Respekt und Zuwendung sind nicht an Leistung gebunden. Du bist gut so, wie du bist. Und zwar weil du du bist und nicht, weil du für andere nützlich bist oder außerordentliche Leistungen erzielst." In Frau Helds Stimme klang ein Hauch von Wut mit. Kai spürte jedoch, dass diese Wut nicht gegen ihn gerichtet war, sondern sich eher für ihn einbrachte. Er fühlte sich davon gestärkt. Gleichzeitig war ihm aber auch mulmig zumute. In seinem Kopf herrschte ein einziges Chaos – also noch mehr als sonst. Frau Held bemerkte das und ließ ihm eine Weile Zeit, etwas zur Ruhe zu kommen. Dann erklärte sie ihm, dass jeder sich mit der Zeit gewisse Verhaltens- und Denkmuster aneignet. Diese haben zum jeweiligen Zeitpunkt der Aneignung auch immer einen Sinn und Zweck, später jedoch nicht mehr unbedingt. Dann können sie sogar schädlich sein oder einen zumindest in der Entfaltung seines Selbsts bremsen. Genau das versucht man oft mit Hilfe einer Therapie zu ändern. Sein Verhalten und seine Denkweisen, die man meist über Jahre hinweg so angewandt hat, kann man jedoch nur mit viel Übung ändern. Das funktioniert ganz bestimmt nicht über Nacht. Selbst wenn man in der Theorie verstanden hat, welches Verhalten oder Denken für einen hilfreicher wäre, kann man es nicht unbedingt direkt anwenden. Das ist dann oft sehr verwirrend, weil man noch im alten Muster hängt und auch öfters wieder ein Stück hinein fallen wird, und gleichzeitig versucht ein neues Muster aufzubauen, was auch im krassen Gegensatz zu dem vorherigen stehen kann. „Natürlich ist das nicht einfach und kann zu Gedanken- und Gefühlschaos führen, das ist völlig normal.", beruhigte ihn Frau Held. Kai freute sich über diese logische und nachvollziehbare Erklärung. Trotzdem ärgerte er sich darüber, dass er, obwohl er wusste, dass es nicht gut ist, weiterhin am alten Muster festhielt. Auch wenn er das nicht mit Absicht, sondern eben aus Gewohnheit machte, wurde er ziemlich sauer auf sich. Er wollte immer alles verstehen und dann auch direkt schaffen. Er stellte sich damit selbst unter einen hohen Druck, den er anderen wohl kaum zugemutet hätte, bei sich selbst aber durchaus als gerechtfertigt empfand. Wie ihr seht, war es bis zum Selbstrespekt also noch ein weiter Weg. Zum Glück musste Kai diesen jedoch jetzt nicht mehr alleine gehen. Das war wirklich gut so und sollte auch so sein, denn jeder, der Hilfe braucht, sollte Hilfe fragen dürfen und auch bekommen.

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⏰ Last updated: Mar 31, 2020 ⏰

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Das kleine Häufchen Elend - Band 3: Das kleine Häufchen Elend macht TherapieWhere stories live. Discover now