Es war Sommer, als ich ihn das erste Mal traf. Ich war gerade neunzehn geworden und hatte ziemlich große Erwartungen an mein neues Leben. Meine Mutter war vor kurzer Zeit mal wieder in die Entzugsklinik eingewiesen worden und mein Vater lebte fast ausschließlich für seine Arbeit. So war es schon immer gewesen. Ich war froh, nach der Highschool endlich rauszukommen. Wie konnte ich auch ahnen, dass nicht alles so rosig bleiben würde, wie es anfangs schien.
Mit einem vollbepackten Wagen stand ich vor einem bereits ziemlich heruntergekommenen Wohnblock. Misstrauisch, aber zuversichtlich ließ ich meinen Blick über die Umgebung schweifen, bis ein Hupen mich aufschrecken ließ. „Onkel!", rief ich freudig, als ich den schwarzen Jeep erkannte, aus dem ein schlanker, bärtiger Mann mittleren Alters ausstieg. Er überquerte die Straße und schloss mich in eine liebevolle Umarmung. „Nochmals danke, dass du mir mit dem Umzug hilfst." Er lächelte und löste sich aus der Umarmung. „Natürlich Liebes. Ich kann dich ja unmöglich diese ganzen Kartons alleine in den vierten Stock schleppen lassen."
Die Stunden vergingen und der Wagen wurde leerer, bis wir schließlich gegen Spätnachmittag erschöpft auf die kleine Couch meiner frisch eingerichteten Wohnung fielen. Von innen sah es glücklicherweise viel ansehnlicher aus als von außen. Küche und Wohnzimmer waren im selben Raum, während sich am Ende des Flurs noch das Bad, mein Schlafzimmer und eine kleine Abstellkammer befanden. Es war wie gesagt nicht sehr groß, geschweige denn modern, für eine Studentenwohnung jedoch völlig ausreichend. Außerdem war die Wohnung nur eine viertel Stunde von der Uni entfernt.
Ein leises Magenknurren riss mich aus meinen Gedanken. Ich seufzte. Meine letzte Mahlzeit war schon ziemlich lange her und in der Wohnung befand sich noch nichts Essbares. Ich erhob mich lächelnd und schnappte mir die Schlüssel von der Küchenablage. „Onkel James, soll ich uns kurz was vom Chinesen holen?", fragte ich, während ich bereits meine Weste überstreifte. Kopfschüttelnd stand er nun ebenfalls auf. „Nein danke, geh nur in Ruhe einkaufen. Ich muss jetzt sowieso los." Wir gingen gemeinsam die Treppe hinunter und ich verabschiedete ihn dankbar. Ich hatte Glück, dass er hier in der Nähe wohnte. Irgendwie erschien mir die Stadt dadurch nicht ganz so fremd.
Ich machte mich auf dem Weg zum nächsten Supermarkt, um ein paar grundlegende Lebensmittel zu kaufen und erlaubte es mir ebenfalls etwas beim Chinesen um die Ecke zu holen. Zurück in der Wohnung machte ich mir es mit meinem dampfenden Essen auf der Couch bequem und schaute zufrieden irgendeine TV-Sendung.
Ein ohrenbetäubendes Klingeln riss mich am nächsten Morgen aus meinem Schlaf. Stöhnend ließ ich den Wecker mit einem Handgriff verstummen, schlug meine Bettdecke zurück und schleppte mich ins Badezimmer. Dank des kalten Wassers, welches sanft auf meine Haut prasselte, wurde ich endlich wach. Ich stieg aus der Dusche und wickelte meinen nassen Körper in ein frisches Handtuch. Heute begann das neue Semester. Ich war glücklich, einen Studienplatz ergattert zu haben, denn Architektur war schließlich nicht ganz unbeliebt. Nachdem ich meine Zähne geputzt hatte, zog ich eine dunkle Jeans aus dem Schrank, welche ich mit einer hellblauen, hochgeschlossen Bluse mit Rüschen kombinierte.
Eine halbe Stunde später befand ich mich auf dem Campusgelände. Unzählige Menschen tummelten sich vor den großen Gebäuden. Etwas nervös umklammerte ich meine Tasche und atmete tief durch. Der Vorhof leerte sich allmählich und ich begann entschlossen auf das graue Hauptgebäude zuzugehen. Gerade als ich Glastür aufziehen wollte, wurde diese jedoch von innen kraftvoll aufgestoßen, sodass ich mit großer Wucht zurück gestoßen wurde und auf dem harten Boden landete.
Erschrocken sah ich auf, nur um gerade noch einen großen, sommersprossigen Jungen mit dunkelblondem Haar aus der Tür stürmen zu sehen. Er rief mir im Umdrehen lediglich ein kurzes „Sorry" zu, ehe er seinen Weg eilig fortsetzte. Genervt verkniff ich mir einen giftigen Kommentar und rieb mit schmerzverzogenem Gesicht meine Hände. „Hey, alles okay bei dir?", ertönte eine helle Stimmer hinter mir. Ich sah auf und blickte in die freundlichen Augen eines dunkelhaarigen Mädchens.
Sie streckte mir die Hand entgegen, welche ich dankend annahm. „Ich bin Hazel, und von dem da", sie deutete in die Richtung des Blondhaarigen, welcher nun im gegenüberliegenden Gebäude verschwand, „hast du ja sicher schon gehört", sagte sie kichernd. Ich klopfte mir den Staub von meiner Jeans und wendete mich an Hazel. „Hey", erwiderte ich zögernd, „und nein, ich kenne ihn nicht." Den verächtlichen Unterton konnte ich nicht vermeiden. Das Mädchen – Hazel – sah mich mit großen Augen an. „Du kennst ihn nicht? Das ist Isaac Black!" Ihre Stimme klang aufgeregt, als sie fortfuhr. „Ich dachte mir ja schon, dass du nicht von hier bist, aber dass du Scrum nicht kennst..."
Kopfschüttelnd stieg sie mit mir gemeinsam die Treppen des Gebäudes hinauf. „Scrum ist eine Band, die sind hier in der Stadt echt 'ne große Nummer, haben schon in so ziemlich allen Bars gespielt und zwei der Mitglieder studieren hier! Krass oder? Ja, also jedenfalls ist Isaac der Schlagzeuger und natürlich super heiß, falls es dir entgangen sein sollte– äh wie heißt du eigentlich?", unterbrach sie sich selbst und sah zu mir. Ich musste schmunzeln. Hazel war mir auf Anhieb sympathisch, selbst wenn sie das Gespräch so gut wie alleine führte. „Ich bin Emma", antwortete ich also lächelnd, ehe sie erneut begann von dem Blonden und seiner komischen Band zu schwärmen.
DU LIEST GERADE
gefangen.
General FictionLiebe und Schmerz, eine Kombination die mächtiger und qualvoller nicht sein könnte. Emma weiß das. Sie wusste von Anfang an, dass der junge Musiker nicht gut für sie sein wird, als sie ihn bei einer wilden Partynacht mit ihren Freunden kennenlernte...