Schlaflos um 02:48 Uhr

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Ich liege im Bett. Kann nicht Schlafen. Warum? Hab nicht gekifft. Den ganzen Tag schon nicht. Nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Ich hab nur nichts gefunden. Passiert öfter im Alltag eines Kiffers, aber man weiß sich ja zu helfen. Stichwort: Pollumfach. Also der abnehmbare Boden unten am Cruncher, der den Staub der zerkleinerten Blüte auffängt. Ist für Notfälle gedacht. Aber heute war es leer. Schon bei einem anderen Notfall aufgebraucht und vergessen es aufzufüllen.

Irgendwie seltsam ...

Kraut, dass mich schlafen lässt wie ein Baby, wenn ich es rauche und mich paradoxerweise hyperaktiv werden lässt wenn nicht.

Ja, gut. So seltsam ist das nicht. Ich weiß genau was los ist. Es ist der Affe der mich wach hält. Er randaliert in meinem Kopf.

Er will Chillen.

Er will Gras.

Aber ich hab kein Gras.

Also chillt er nicht.

Und ich auch nicht...

Was hilft?

Ablenken. Nachdenken. Reflektieren.

Wenn ich versuche mich daran zu erinnern wann ich das erste mal an einem Joint gezogen habe, muss ich mit bedauern feststellen, dass dieses Kraut wahnsinnig vergesslich macht. Ich weiß nur, dass ich meinen ersten Joint vor meiner ersten Zigarette geraucht habe. Bei der war ich 14 Jahre alt.

Kiffen ist für heranwachsende Junge Menschen wohl sehr verführerisch. Knapp jeder 4te Jugendliche kifft. Sei es wegen der ständigen Präsenz in Film und Fernsehen oder der Promis die sich dazu bekennen gerne zu Kiffen.

Eigentlich kann alles und jeder einen animieren Gras zu rauchen.

Mein Grund heißt Alex. Einer meiner besten Freunde - bis heute. Von ihm habe ich auch meine erste kippe bekommen. Mit ihm war ich auch das erste mal Saufen.

Das heißt also: Wenn ich ihn damals nicht kennengelernt hätte, würde ich jetzt in Ruhe schlafe...

Ne, vergessen wir das.

Mein Grund hätte auch Snoop Dogg heißen können.

Oder einfach Neugier.

Unser erstes mal ist sieben Jahre her. Die ersten vier Jahre führten wir eine on-off-Beziehung. Ich und Marihuana - ich nenne sie liebevoll Marie-Joana . Wir hatten vieles gemeinsam. Irgendwann auch den Freundeskreis. Alle haben sich gut mit ihr vertragen. Selbst die aufgedrehten aus der Clique wurden angenehm ruhig wenn sie da war. Nach und nach gefiel mir Marie-Joana so sehr, dass ich mich auch alleine mit ihr treffen wollte. Ein Date mit Eistee & kino.to - damals kannte ich Netflix nicht.

Wir haben uns immer besser verstanden, aus Liebe wurde Abhängigkeit. Ich konnte nicht mehr ohne sie einschlafen.

In den vergangenen drei Jahren wurde es ernster mit uns. Sie beschloss zu mir zu ziehen, damit wir uns täglich sehen konnten. Wir konnten es nie abwarten allein zu sein. Ich konnte die Finger nicht von ihr lassen. Das kribbeln im Bauch, wie am ersten Tag, kam bei jedem Treffen aufs neue zum Vorschein. Nur dass bei mir die Synapsen kribbelten.

Klingt blöd aber ich dachte ich liebe sie.

Mit ihr war die Welt bunter. Sie hat mir vieles beigebracht. Zum Beispiel Situationen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, indem ich völlig entspannt an die Dinge herangehe und meinen Blick von Oben auf den Alltag werfe. Um eine gewisse Objektivität zu erlangen. Diese Objektivität ist aber in einer Beziehung mit Marie-Joana leider auch gleichzusetzen mit allgemeiner Gleichgültigkeit. Fast schon Desinteresse. Denn mein Interesse galt nur ihr.

Es heißt gute Charaktereigenschaften färben ab. Die schlechten aber auch. Und Marie-Joana hat davon eine ganze Menge. Sie ist oft faul, verantwortungslos, vergesslich, orientierungslos, lustlos und vor allem langsam.

Das heißt für mich: Eine Menge verpasster Partys und Bekanntschaften. Termine, Aufgaben und Pläne werden auf den nächsten Tag verschoben. Dann auf die nächste Woche. Vielleicht noch auf den nächsten Monat. Aber dann ist es auch schon wieder vergessen.

Ich sollte mich bei meinem Zukunfts-Ich entschuldigen. Dafür, dass ich es in all den Jahren nicht geschafft habe die Wüste zu sehen. Dafür, dass ich bis heute kein einziges Mal mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug gesprungen bin. Dafür, dass ich nie gelernt habe ein Instrument zu spielen. Und vor allem dafür, dass ich meine Träume aufgegeben habe. Nur, um meine Komfortzone nicht verlassen zu müssen. Nur, um sich den Luxus leisten zu können, sich keine Gedanken machen zu müssen. Den Luxus, tagelang auf der Couch im Schoß von Marie-Joana zu dösen. Alles langsam angehen und bloß kein Stress. Klingt nach einem schönen Leben.

Irgendwann aber gelangt man an den Punkt, an dem man sich nicht mehr wohlfühlt in seiner Beziehung und sich schlaflos im Bett wälzend fragen muss: Hat sich die Welt schon immer so schnell um mich herum gedreht oder bin es ich, der zu langsam ist ?

Ich habe die Befürchtung, dass ich irgendwann etwas sehr wichtiges verpassen werde wenn ich weiterhin so langsam an der Seite meiner Liebe durchs Leben laufe.

Ich muss mich entscheiden.

Liebe oder Verstand.

Da ich gerade kein Gras habe, wähle ich heute den Verstand.

Schlaflos um 02:48 UhrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt