missglücktes Treffen

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Kapitel 1

Seraphin

Sie war nicht gut darin, zu flirten. Warum sie es dennoch tat oder besser irgendwie versuchte, war wohl ihrer Verzweiflung darüber geschuldet, immer noch nicht verpartnert zu sein, und das, obwohl sie sich einmal geschworen hatte, sich davon nicht unter Druck setzen zu lassen.

Als Frau aus gutem Hause und mit dem Spiegelbild, das ihr jeden Morgen entgegenstarrte, sollte sie sich darüber eigentlich keine Sorgen machen müssen. Einen Mann oder mehrere zu finden, die ihr Leben mit ihr verbringen wollten, sollte nicht so mühsam sein, nicht so verzweifelt.

Aber weder ihr Familienname noch ihr perfektes Aussehen konnten darüber hinwegtäuschen, dass Seraphin McLoo einfach unerträglich zu sein schien. Dabei war sie das nicht mit Absicht. Wirklich nicht.

Ihre Eltern hatten ein Dutzend Psychologen zu Rate gezogen, sich stets geduldig und hingebungsvoll gezeigt, aber nichts von alldem hatte Seraphin wirklich dabei helfen können, ihr Temperament zu zügeln. Sie war buchstäblich unkontrollierbar, für sich und ihre Mitmenschen.

Wie oft hatte sie herumgeschrien, obwohl sie wusste, dass es vollkommen übertrieben war? Wie oft hatte sie Streitigkeiten vom Zaun gebrochen, die keinen Grund hatten? Und wie oft hatte sie nur Sekunden nach diesem Ausbruch alles bereut, sich geschämt und sich noch mehr gehasst, als ihr unabsichtliches Wutopfer es jemals fertigbringen konnte?

Zu oft.

Doch sie konnte es nicht beherrschen. Das Kochen in ihr, die Wut, gerade wenn sie Ungerechtigkeiten gegenüberstand, ihr Temperament. Auch jetzt wusste sie, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie auch diese Situation wieder durch ihr hitziges Gemüt versaute. Innerlich zählte die gehässige Stimme in ihr bereits die Sekunden.

Ein zum Scheitern verurteiltes Date.

Dass Seraphin sich nicht leiden konnte, war kein Geheimnis. Jeder der hoch bezahlten Therapeuten hatte ihr das diagnostiziert, und dennoch hatte sich daran nichts geändert. Obwohl das irgendwie auch der Kern ihres Problems zu sein schien. Doch so sehr sie auch versuchte, sich mehr zu akzeptieren, konnte sie ihren eigenen Anblick kaum ertragen.

Dabei hatte sie doch eine ganze Liste an Eigenschaften, die sie als gut einstufen würde. Sie war wunderschön. Das war keine Eitelkeit, sondern eine schlichte Tatsache, die ihr tatsächlich ziemlich wenig bedeutete, abgesehen davon, dass es ihr dabei half, doch immer mal wieder Männer anzulocken. Dann war da natürlich ihre Intelligenz, die sie bestrebt war auszubauen und jeden Fortschritt ihres Wissensstandes penibel überprüfte. Und natürlich mochte sie auch die wenigen ruhigen Momente, die sie hatte, nachdem sie so richtig Dampf abgelassen hatte.

Die Momente, in denen sie sich ausgelaugt und im Einklang mit der Welt empfand. Die Momente, in denen sie vor Erschöpfung zusammenbrach und einfach mal nichts fühlte. Diese liebte sie besonders und leider waren es auch diese wenigen gestohlenen Augenblicke, die sie sich regelrecht von sich selbst erkämpfen musste. Ein Kampf, der sie immer irgendwie zur Verliererin machen würde.

Aber sie hatte ihre Tricks. Sport war eine ihrer bewährtesten Arten, in diesen Zustand der wundervollen Erschöpfung zu kommen, am liebsten eine Sportart, bei der sie auf etwas einschlagen konnte. Leider hielt so was nur kurz an. Am einfachsten und nachhaltigsten war dieser Zustand durch stundenlanges lernen, recherchieren und analysieren von hochkomplexen politischen Themen zu erreichen.

Das war etwas, was sie gut konnte.

Doch ihre Unfähigkeit, einen Mann zu finden, war schwerer zu beseitigen. Sie hasste es, ausgerechnet darin zu versagen. Sie hasste es, dass es etwas gab, wofür sie nicht einfach eine Formel auswendig lernen konnte und bei dem es tatsächlich nur auf ihre größte Schwäche ankam. Ihren Charakter.

Seraphin - Woman's World - LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt