Ein Moment Ruhe...

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Es war ruhig. Ruhig und friedlich. Wasser gurgelte und flüsterte leise. Tarek stand auf einer kleinen Brücke, die sich über einen Bach spannte. Er hatte sich auf den eisernen Handlauf gestützt und blickte auf das Wasser unter ihm. Lauschte dem friedlichen Plätschern des Wassers. Atmete die frische Abendluft. Ließ Gedanken wie Blick wandern und blieb mit beidem schließlich am Firmament hängen. Die Sonne war längst untergegangen, doch noch hing eine verblassende Erinnerung von ihr am Horizont. Der Himmel war wolkenlos und ging langsam von einem tiefen Graublau in ein schlichtes Schwarz über. Ein letzter Vogel, der den Weg noch nicht in sein Bett gefunden hatte, sang noch vergnügt und Tarek lauschte ihm sanft lächelnd. Er blickte geradeaus, den Bach entlang. Er war hier recht breit und floss daher eher langsam. Über den Bach beugten sich von beiden Seiten alte Bäume, deren Äste sich über Tareks Kopf fast zu einem dünnen Dach schlossen. Eine kleine Lücke fehlte noch. "Wie eine Allee aus Wasser", dachte er. Auf dem Wasser tanzte seicht das Kerzenlicht der Laternen und ließ es glitzern.

Ein Weg führte am Bach entlang. Auf diesem Weg ging ein junger Mann. Sein dunkler Umhang wehte sanft hinter ihm her und seine Stiefel knirschten auf dem Kies. Er hatte schulterlange, dunkle Haare und trug einen kurzen Bart. Die helle Kleidung unter seinem Mantel schien sanft zu leuchten. Als er näher kam sah Tarek, dass er lächelte. Was auch sonst? Tarek konnte sich nicht daran erinnern Masah jemals schlecht gelaunt erlebt zu haben.
Masah erreichte schließlich die Brücke und das Knirschen wurde zu einem hohlen Klopfen auf den Holzplanken. Neben Tarek blieb er stehen und stützte sich ohne ein Wort zu sagen auf den Handlauf. Schweigend blickten sie gemeinsam auf den Bach. Eine kleine Fledermaus huschte lautlos durch die Nacht.
Die Stille zwischen ihnen war angenehm und friedlich. Beide genossen einfach die Gegenwart des anderen und es brauchte keine Worte.
Ein kleiner Fisch hüpfte aus dem Wasser und fiel mit einem Platschen wieder zurück in das gemütliche Nass.

Schließlich brach Masah das Schweigen: "Vater liebt dich." Tarek freute sich über diese Worte. Er wusste, dass Masah die Wahrheit sprach. Tarek lächelte glücklich. Er wollte Masah fragen wie es ihm ginge, doch eigentlich war die Frage albern. Masah ging es immer gut. Natürlich war er manchmal traurig oder wütend, er war schließlich ein Mensch, aber diese Launen hielten ihn nie lange davon ab fröhlich zu sein.
"Frag ruhig.", sagte Masah, als hätte er Tareks Gedanken gelesen. Tarek sah den jungen Mann an und grinste amüsiert. "Wie geht's dir?", fragte er. Es war wie zu einem Spiel zwischen ihnen geworden. Masah sah einen Augenblick in die Sterne. "Gut.", antwortete er dann wie üblich, "Sehr gut sogar.". Er grinste. "Ich genieße es einfach hier mit dir zu stehen und die Schöpfung zu betrachten."
Tarek wusste, dass er darauf nichts antworten musste und so schwiegen sie erneut. Er genoss die Zeit mit Masah genauso.

"Dein Stern hat schonmal heller geleuchtet.", stellte Masah nach einer Weile fest. "Ich weiß.", antwortete Tarek traurig und schlug seinen Blick nieder. "Sollen wir das wieder gerade biegen?", fragte Masah mit einem gutmütigen Lächeln auf dem Gesicht.
"Aber... ich bin doch selbst daran schuld, dass er nicht leuchtet.". Tarek klang enttäuscht und eine Spur Verzweiflung mischte sich in seine Stimme, "Ich hätte doch mehr-". "Shh", unterbrach Masah ihn, und zog eine rote Kerze aus seinem Gewand. "Zeig mir mal deine Shumie, das kriegen wir schon wieder hin." Noch immer lächelte er offenherzig. Tarek zögerte. Masahs Kerze entzündete sich und ein warmes gelb-rotes Licht ergoss sich auf den Handlauf, tropfte von der Brücke auf das Wasser und sprang glitzernd in die Nacht. Warm legte es sich auf Tareks Gesicht. Masah blickte ihn ermutigend an, lächelte, sagte aber nichts.
Noch immer zögerlich zog Tarek schließlich seine eigene Kerze hervor. Sie sah genauso aus wie die von Masah, war jedoch etwas kleiner. Unsicher hielt er sie sich vor die Brust. Traute sich nicht sie an Masahs Kerze zu entflammen. "Darf ich?", fragte dieser, seine Stimme fast noch wärmer als das Licht der Kerze. Beschämt nickte Tarek und hielt ihm seine Kerze hin. Sie war ein wenig zerdrückt und der Docht war abgeknickt. Das rote Wachs mit dunklen Flecken angelaufen. Masah hielt die Flamme seiner schönen, leuchtenden Kerze an Tareks Docht, aber es dauerte einen Moment, bis dieser wieder Feuer fing.

Ein kleines Flämmchen, zart zunächst, begann zögerlich an Tareks Docht zu lecken und Tarek liefen Tränen über die Wangen. Das Licht von Masahs Kerze, welches vorher an seiner Haut abgeprallt war, strahlte nun tief in ihn hinein und drang bis in die tiefsten Ecken seines Herzens. Die Wärme erfüllte ihn von oben bis unten und Tarek fragte sich, wie er nur zögern hatte können sie anzunehmen.
Auch seine Kerze veränderte sich. Die schwarzen Flecken verschwanden langsam, als würden sie auftauen. Die Dellen und Kratzer füllten sich neu mit Wachs, ja selbst ein wenig des abgebrannten Wachses füllte sich wieder auf und die Kerze wuchs in die Höhe. Der abgeknickte Docht richtete sich wieder auf und ließ eine schöne, gerade Flamme tanzen. Ihr Licht vermischte sich mit Masahs Kerze und ein goldener Lichtkranz umgab die beiden.

"Es tut mir Leid Masah.", sagte Tarek schwermütig, "Ich hab' wieder versucht es alleine zu schaffen." Masah schenkte ihm ein mitleidiges Lächeln und stellte seine Kerze auf den Handlauf, sagte aber nichts. "Ich weiß, dass ich das eigentlich nicht muss.", fuhr Tarek fort, "Ich kann es ja auch gar nicht.". Er klang verzweifelt. "Aber ich hab' mich einfach nicht getraut zu fragen. Ich...". Er brach ab. "Hey.", sagte Masah mit liebevoller Stimme. Tarek sah hoch. Masah stand mit offenen Armen vor ihm und lächelte ihn erwartungsvoll an.

Ohne zu zögern fiel Tarek in Masahs Umarmung und begann hemmungslos zu weinen. Eine riesige Last fiel von seinen Schultern. Es tat ihm gut einfach mal alles loslassen zu können und an nichts festhalten zu müssen. Masah hatte seine Arme um ihn gelegt und hielt ihn fest im Arm. Gab ihm die Sicherheit, die er brauchte. Sein Umhang floss wie ein Wasserfall über Masahs Schultern und legte sich um Tarek, wie die Flügel einer Henne um ihre Küken.

Eine ganze Weile standen sie so da und Tarek weinte sich allen Schmerz und alle Enttäuschung von der Seele. Irgendwann kehrte langsam wieder Frieden in ihn ein. Tiefer, echter Frieden. Tief atmete er durch. Dann löste er sich ein Stück von Masah. Dieser legte Tarek die Hände auf die Schultern und blickte ihm in die Augen. Als sich dabei Masahs Umhang um Tarek öffnete, blitzte ein helles Funkeln auf. Der Stern auf Tareks Umhang leuchtete wieder in voller Kraft und sandte ein glitzerndes, helles Licht von seiner Position zwischen Tareks Schulterblättern in die Dunkelheit hinaus. "Du bist vollkommen gerecht.", sagte Masah und bei seinen Worten pulsierte Tareks Stern noch einmal heller auf. Tarek lachte überwältigt. Verheult und mit verklebten Augen und doch Ausdruck einer Tiefen Freude und tiefen Glücks.
"Taschentuch gefällig?", fuhr Masah fort und zauberte eines aus seinen Gewändern hervor. Tarek kicherte erneut, nahm das Taschentuch und schnäuzte ausgiebig. Dann schloss er die Augen und atmete tief die frische Nachtluft ein.

Sanft spürte er das warme Licht der beiden Kerzen und nahm das seichte Tanzen der Flammen auch durch seine geschlossenen Lider wahr. "Danke.", flüsterte er, "Danke Masah." Und tief in seinem Herzen konnte er Masahs Lächeln spüren, ohne dass er es sah.

"Lass uns zu Vater gehen!", sagte Masah.

Ein Moment Ruhe...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt