1|Langschläfer und Pünktlichkommer

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"Wenn es noch länger dauert, dann können wir auch einfach zuhause bleiben, Rey!"

Ein energisches Klopfen ertönte kurz darauf und schien die Dringlichkeit hinter den Worten noch einmal zu verdeutlichen. Doch Rey, die gerade dabei war, ihre blonden Haare zu einem Zopf zu flechten, ließ sich davon nicht beirren. Statt auf ihre beste Freundin zu hören und sich zu beeilen, schlüpfte sie in aller Ruhe in ein paar Chucks und griff nach ihrer Handtasche.

"Ich bin gleich fertig!", rief sie grinsend, ganz genau wissend, dass Sasha auf der anderen Seite der Tür womöglich kurz davor war, zu platzen. Sie hasste es, warten zu müssen und hatte in dieser Sache ganz eindeutig keinen Jackpot mit Rey als Mitbewohnerin gemacht. Denn während Sasha immer pünktlich sein wollte und eigentlich auch immer war, hatte Rey die Angewohnheit, grundsätzlich ein paar sympathische Minuten zu spät zu sein.
"Das sagst du schon seit einer halben Stunde. Wenn du nicht langsam zur Sache kommst, fahre ich einfach ohne dich!"

Rey, die ganz genau wusste, dass das nicht passieren würde, verdrehte belustigt die Augen, entschied aber nach einem kurzen Blick in den Spiegel, dass sie ihre Freundin nicht noch länger auf die Folter spannen würde. Als sie den Raum verließ und an Sasha vorbeimarschierte, warf die ihr einen giftigen Blick zu.

"Na endlich! Ich kann nicht fassen, dass du so trödelst! Ausgerechnet du, die heute die größte Chance ihres Lebens hat!"

Rey verstandgenau, wovon das dunkelhäutige Mädchen sprach und schmunzelte auf die Aussagehin. Irgendwann in den letzten zwei Tagen hatte sie aufgehört, mitzuzählen, wie oft das Thema Soulmates von Sasha angesprochen wurde.

Dass gerade in ihrer Stadt eine der größten Tattoo Conventions des Jahres stattfand, hatte das Feuer in Sasha nochmal richtig entfacht. Und Rey war diejenige gewesen, die sich täglich, manchmal sogar stündlich, Sashas aufgeregte Monologe zur wahren Liebe anhören musste.

"Die Convention geht das ganze Wochenende. Ich denke, wenn wir zwei Stunden nach der Eröffnung auftauchen, wird die Welt auch nicht untergehen." Sasha, deren wilder Afro wie eine stolze Krone um ihr Gesicht thronte, starrte Rey fassungslos an.
"Wie kannst du sowas sagen? Dein Soulmate könnte nur wenige Kilometer von dir entfernt sein und du bist die Ruhe in Person! Was ist, wenn ihr euch verpasst, nur weil du solange gebraucht hast, dich fertig zu machen?"

Das blonde Mädchen zuckte mit den Schultern, während sie einen dünnen Schal von der Garderobe zog und ihn um ihren Hals legte.
"Du sagst doch schon die ganze Zeit, dass ich dazu bestimmt bin, diese eine Person zu finden. Ich fasse das so auf, dass es genau dann passiert, wenn es passieren soll. Und wenn heute der Tag ist, an dem ich meinen Soulmate finden soll, dann wird das nicht verhindert, weil ich heute zu lange geschlafen habe."

Als Rey wieder zu ihrer Freundin schaute, schien die gar nicht mehr an Reys Worten interessiert zu sein. Stattdessen war ihr Blick entgeistert auf das Kleidungsstück um ihren Hals gewandert.
"Wieso zur Hölle trägst du einen Schal? Und einen Pullover? Und lange Hosen?"

Rey schnaufte verwirrt. Sasha war normalerweise nicht die Art Mensch, die sich über Reys Kleidungswahl beschwerte. Allgemein war sie eher der Vertreter von 'Lass jeden das machen, was er will und kümmre dich nicht um die anderen.' Umso komischer machte es diesen Kommentar.

"Du weißt doch, dass ich seit ein paar Tagen Halsschmerzen habe. Ich werde nicht riskieren, krank zu werden, nur damit ich ober-stylisch aussehen kann. Es wird eh niemanden interessieren, was ich anhabe. Die Leute gehen zur InkCon um Tattoos zu sehen."

"Ganz genau! Sie wollen Haut sehen! Bestochene Haut! Und das bedeutet, dass bedeckende Kleidung, wie Pulli und Jeans nicht das richtige für heute sind!"

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