Writing Prompt
"Bring me to your leader."
"You're talking to her."◤━━━━━━━━━━━━━━━━━━━━◥
Die Nacht hatte ihre Schwingen über der Stadt entfaltet, tauchte die alten Gassen in tiefe Schwärze und brodelnde Finsternis, einen Schleier, der das heitere Flackern der kleinen Flammen in die Kästen ihrer alten Straßenlampen sperrte und keinen ihrer hoffnungsvollen Lichtschimmer entweichen ließ. Sie ergoss sich über die Pflastersteine, zerfloss spielerisch an den Fensterscheiben und legte sich wie ein zweiter Umhang über die wenigen Gestalten, die unter dem sternenbestickten Himmelszelt wandelten.
Mit klammen Fingern griff Tanith nach dem dicken Stoff ihres Mantels, zog sich die Kaputze tiefer in ihr von Dunkelheit umhülltes Gesicht und drückte ihren Körper weiter in die Schatten, die lebhaft um ihre Beine tanzten, aufstoben, wenn sie weiterging und verharrten, wenn sie die verbleichten Straßenschilder zu lesen versuchte.
Tonlos erklang die kalte Winterluft, zeichnete blasse Bilder in Taniths Atem, der in ihren Ohren viel zu laut wiederhallte, ein Echo des gebrochenen Versprechens, dass sie in kleinen Scherben mit sich trug.Gläserne, zerbrechliche Fragmente, die sich mit jedem Schritt tiefer in ihre Seele gruben, sie zerrissen und in den Abgrund des Splittermeeres zogen, dessen Brandung seit dem plötzlichen Ableben des Königs immer stärker tobte. Ein Wirbelwind aus Trauer und Sorge, der mit jeder Stunde wuchs, um welche die Sonnenwende sich näherte, jener Tag, der Tanith alles entreißen könnte, dass ihr lieb und teuer war.
Marzena war eine Kerze in der Dunkelheit - eine sanfte Blume der Güte, gewachsen in einem Land, dass ihr Licht erlöschen sehen wollte. In Aspos diktierte Stärke, besetzte den Thron und vergab das Recht auf die Krone.
Eine Krone geschmiedet in Hass und Blut, eine Krone, die Marzena erst kürzlich durch ihr Erbe in die Hände gefallen war - die nun ein jeder versuchen würde, ihren erkaltenden Fingern zu entreißen.Tanith könnte es nicht ertragen, konnte nicht zulassen, dass jemand Marzenas Flamme erstickte - der Gedanke allein genügte schon, um ihr Blut gefrieren zu lassen, einen Schwall der Kälte über ihre Gestalt zu ergießen und heiße Schauer über ihren Rücken zu jagen. Ohne die Wärme und Offenherzigkeit ihrer Schwester wäre Tanith verloren.
Mit zittriger Unsicherheit schloss sich ihre Hand um die kleine, goldene Brosche, die Tanith in ihrer Manteltasche mit sich trug, klammerte sich trostsuchend an das stetige Pochen, das Echo eines ihr so vertrauten Herzschlages. Ruhig, gleichmäßig, lebendig - Marzena schien zu schlafen, wie sie es sollte, wie Tanith es geplant hatte, in seeliger Unwissenheit über den gebrochenen Schwur.Leise hallten ihre Schritte zwischen den Häuserwänden wieder, sanfte Töne die alsbald in der Luft verwehten, ein Takt, der eine ganz neue Symphonie anspielte und die Schatten in zierliche Bilder formte, mit welchen sie sich näher an ihren Körper schmiegten - Tanith war dankbar für ihre Präsenz und ihren Schutz, dankbar, sich in ihnen verbergen und vor den harschen Worten verstecken zu können, die ihr sonst entgegenwehten.
'Thoura' nannten die Menschen sie, Dämon, denn es gab keine Bezeichnung für das, was sie war, für die Dunkelheit, die in ihrem Herzen hauste, für die Macht, die in ihrem Blut pulsierte, um deren Willen Tanith gleichermaßen gefürchtet und beneidet wurde.Es gab nicht viele Leute, die wie sie waren, verlorene Irrlichter in der endlosen Weite der Nacht, kleine Sternensplitter, die aus dem Himmelsnest gefallen und zersprungen waren, fehlerhaft, gebrochen, verdammt - gebrandmarkt mit dem bleichen, geisterhaften Grau der Augen, die Tanith misstrauisch durch den feinen Türspalt ihres Zielortes entgegenblickten, ein schwammiges Spiegelbild ihrer Eigenen.
,,Bringt mich zu eurem Anführer", entwich es ihr wie eine Selbstverständlichkeit und es überraschte Tanith selbst wie klar und sicher ihre Stimme klang, obgleich ihr Herz nervös in ihrem Brustkorb tänzelte und jede Spur der Vernunft ihr entgegenschie, wieder zu verschwinden.
Es war ein Seilakt, ein Risiko, dass sie hier einging, nicht wissend, welches Ass ihr Gegenüber im Ärmel trug. Jede Sekunde, die tonlos verstrich lastete schwerer auf ihren Schultern, versuchte sie zu verführen, in sich zusammenzusacken, zeichnete ein deutliches Bild des stummen Kampfes zwischen ihnen, des Kräftemessens ihrer Willensstärken.