Unerwartete Emotionen

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Ich gehe heute Abend aus", sagte Jake, als ich aus meinem Zimmer kam. Ich hatte das Meerwasser abgewaschen und mich umgezogen. Es hatte etwas gedauert, bis ich das System der amerikanischen Dusche verstand. So hatte ich erst nackig in der Dusche gestanden und auf die Armaturen gestarrt, hier gedrückt, dort gezogen und schließlich einen Hebel umgelegt, woraufhin zu meiner Erleichterung Wasser aus der Dusche kam. Puh, wäre ganz schön peinlich gewesen, Jake um Hilfe zu bitten.

Jetzt stand ich bei den beiden auf der Terrasse, die von der Küche abging. Sie saßen am Tisch, Luke hatte einen Teller mit Nudeln vor sich stehen und eine Gabel in der Hand. „I don't want her!", schrie Luke, als er die Ankündigung seines Vaters hörte. Er hatte Tränen in den Augen. Jake sah mich an. Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung was jetzt los ist", meinte er. „Sonst habe ich auch immer einen Babysitter, der auf ihn aufpasst, wenn ich mal weggehe." Er wandte sich seinem weinenden Sohn zu und erklärte ihm, dass er ja bald wiederkommen werde. Alles sei gut. Ich würde ja gut auf ihn aufpassen. Irgendwie fühle ich mich plötzlich fehl am Platz, wusste nicht wohin mit mir. Sollte ich mich dazusetzen? Wohlmöglich noch mehr Tränen und noch mehr Geschrei provozieren? Ich ging in mein Zimmer und setzte mich aufs Bett. So schnell auf Ablehnung zu stoßen, damit hatte ich nicht gerechnet. Zuhause war ich immer gut mit Kindern klargekommen, mochte mit ihnen spielen oder malen. Ich hielt mich sogar für ganz gut darin, mit Kindern Zeit zu verbringen. Als Babysitter bei Bekannten meiner Eltern hatte ich stundenlang Gesellschaftsspiele gespielt und war immer freudig begrüßt worden. Dass Luke sehr verwöhnt war und Jake ihm kaum etwas abschlagen konnte, war mir schon aufgefallen. Erst beim Frühstück im Hotel, später hier im Haus. Wollte Jake nicht mit seinem Sohn spielen, quengelte, heulte und zupfte der Vierjährige so lange an ihm herum, bis sein Vater weich wurde und dem Willen seines Sohnes klein beigab. Und Jake behielt dabei die Ruhe, schimpfte nicht und streichelte Luke über den Kopf.

Ich beobachtete die Eichhörnchen, die auf dem Rasen hinter dem Haus jagen spielten. Sie waren grau – nicht rot wie bei uns zuhause. Auch waren sie größer, kräftiger und hatten keinerlei Probleme damit, ihre Kontrahenten zu verprügeln und fortzujagen. Mit wippendem Schwanz hüpfte das erfolgreiche Squirrelüber den Rasen, steckte die Nase ins Gras und suchte offensichtlich nach Futter. Es klopfte an der Tür. Ich stand vom Bett auf und öffnete sie.

„Willst du Autos spielen", frage Luke, wobei er allerdings nicht so aussah, als würde er große Freude bei dieser Frage empfinden. Er hatte die Augenbraunen zusammengezogen, der kleine Mund war leicht zusammengepresst und auf den braunen Augen lag immer noch ein leichter Tränenschleier. „Sehr gerne", sage ich und folge dem Kind ins Wohnzimmer. Wir schoben die Autos über den Spielteppich. Tatütata, Tatütata – der Großeinsatz der Feuerwehr, bei dem zahlreiche Autos ineinander gefahren waren, verlangte unsere ganze Aufmerksamkeit. „Not like thaaat, Anna!", musste ich mir zwar öfter anhören, aber ich spiele lieber nach seinen Regeln, als ihn wieder zum Weinen zu bringen.

Jake duschte in der Zwischenzeit und zog sich um. Umgeben von einer massiven Wolke Eau de Toilette tauchte er schließlich wieder auf. Er trug beigefarbene Chinos, ein weißes Polo-Hemd und hatte die noch feuchten Haare streng nach hinten gekämmt.

„So, ich fahre dann mal." Er lächelte mir zu.

„Was mache ich denn, wenn Luke wieder weint?", frage ich. Ein bisschen Angst hatte ich jetzt dann doch.

„Das passiert schon nicht", war die Antwort meines neuen Chefs. Beruhigen tat mich das nicht. Er ging zu Luke und gab ihm einen Kuss. „Bis nachher." Der Kleine reagiert nur mit einem leichten Schulterzucken und schob weiter die Feuerwehr über die Straßen. Diesmal allerdings ohne Martinshorn-Geräusch.

Kaum war Jake aus der Tür forderte Luke: „Ich will einen Film gucken", sprang auf und rannte zum Regal, in dem die Armada an Videokassetten stramm stand. Die meisten Titel kannte ich nicht. War ja aber auch nicht schlimm, Luke wusste genau was er wollte und zog eine Hülle heraus, auf der ein riesiger, lilafarbener Dino aus Plüsch prangte. Barney hieß das überdimensionale Kuscheltier wohl. Ich schob die Kassette in das Abspielgerät, schaltete den Fernseher ein und wir setzten uns. Luke rechts in die Ecke des weißen Rattansofas, ich links. Dieser Barney hätte zwischen uns garantiert noch Platz gehabt. Aber ich ließ Luke in Ruhe, wollte ihn nicht drängen. Er spürte wohl, dass ich nicht der übliche ich-bleib-zwei-Stunden-Babysitter war. Ich war das erste Au-Pair für Luke und Jake. Für ein vierjähriges Kind musste die Situation schwer einzuordnen sein. Wie hätte er das auch können sollen? Ich war 15 Jahre älter, aber wusste im Grunde auch nicht, was wir noch erleben würden. Die Realität hatte mich erreicht und ich war darauf nicht vorbereitet. Denn von Kindern, die uns mit Ablehnung begegneten, hatten die Betreuer uns in den zwei Tagen in New York City nichts erzählt.

Wo das Herz zuhause istWhere stories live. Discover now