One fucked up summer

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„...Ich glaube, unser Leben kann für immer so weiter gehen, was meinst du...?"
Ilyas hob den Blick und legte den Kopf nachdenklich schief. Auf seinen aufgesprungenen Lippen bildete sich ein Lächeln. „Jah, glaube ich auch... Oh man, das wär toll, oder nicht?"
Aiolos liess seine Hand träge durchs Wasser unter ihm gleiten. Auch seine sommersprossigen Wangen wurden von einem breiten Grinsen verzogen. Sie lagen auf einem Steg, an einem kleinen See. Inzwischen war es schon spät und die Sonne machte sich langsam auf den Weg nach unten. Irgendwo zirpten Grillen und im Gras raschelte eine Maus. Frösche quakten leise im Ufergebüsch.
„ Lass uns ein Foto machen, okay? Als Vertrag. Wir lassen uns von niemandem unser Leben nehmen, okay? Na komm her!"
Ilyas nickte aufgeregt und kuschelte sich neben seinen Bruder, Vater und besten Freund, der einen Arm um ihn legte. Aio schlug nicht oft ein Foto vor, denn die Filme für seine Polaroidkamera waren teuer und das Geld war ja irgendwie immer knapp. Umso mehr freute er sich, wenn es dann doch mal passierte. Entspannt legte er den bunten Kopf auf die schwarze Schulter.
„Hey, weisst du noch, das mit den Hühnern heute morgen...?"
Die Erinnerung traf ihn so unerwartet, dass er ganz automatisch zu kichern begann. Noch im selben Moment klickte der Auslöser und Ilyas begriff, dass er ausgetrickst worden war. Aber wirklich böse konnte er ihm ja nicht sein, also schnippte er ihm spielerisch gegen die Schulter und verzog die Lippen zu einem Schmollmund.
„Du bist so fies, Lolo!"
„Hey, du bist nicht viel besser. Ich hab dir gesagt du sollst mich nicht so nennen!"
Ilyas schmollte weiter. Aber lang konnte er das nicht aufrecht erhalten. Er war schrecklich müde. Der Tag war voll gewesen mit schönen Dingen, über die er Träumen wollte und wo konnte man das besser tun als im Arm eines wichtigen Menschen? Er angelte nach seinem hellblauen Rucksack, der schon so einiges mitgemacht hatte, und schob ihn sich unter den Kopf. „Ich geh schlafen, Lolo, okay..?", murmelte er leise. Sein Freund nickte nur leicht.  Er wusste, dass er Ilyas so oder so nicht mehr davon abhalten konnte. Ausserdem passte es ihm ganz gut in den Kram. Kaum war sein Ziehsohn eingeschlafen, holte er eine lange Kette aus seiner Manteltasche, an der ein breites Medallion baumelte, das mit hübschen Rosen verziert war. Es war schon alt und das Silber war inzwischen angelaufen, aber das war ihm egal. Er öffnete es und klemmte das Foto hinein. Wieder musste er Lächeln. Sie sahen wirklich gut aus. Ilyas sah neben ihm, in seiner dunklen Gothtracht, noch viel bunter und abgedrehter aus und hatte die Augen beim Lachen wie immer zusammen gekniffen. Er schloss das Schmuckstück und legte es um den schlanken Hals des anderen. Dann kam er auf die Beine.
„Ich werd dir noch was zu Essen holen..."
Ilyas nickte nur träge und winkte ihm hinterher, ehe er sich fest zusammen rollte und tiefer im Traumland versank.
Leise kichernd machte Aio sich auf den Weg in den angrenzenden Wald, bewaffnet mit selbstgeschnitzten Pfeilen und einem Bogen aus Eibenholz, den er vor Jahren von einer Krämerin....geliehen hatte. Er wusste, dass Ilyas schon ein paar Tage nichts  mehr gehabt hatte und langsam zeigte sich das. Also wurde er etwas ernster, um die Tiere nicht zu verscheuchen.
Aber das war Sekunden später sowieso verlorene Liebesmüh, denn ein Schrei zerschnitt die Luft.
Ilyas Schrei.
Binnen Sekunden stürmte Aiolos zurück zum See und zum Steg. Doch Ilyas war weg. Die einzige Familie, die er je gehabt hatte, war wie vom Erdboden verschluckt. Nicht mal sein Rucksack war noch hier. Es sah aus, als hätte er nie existiert.

Aiolos suchte drei Monate nach ihm. Dann akzeptierte er langsam, dass er den Jungen, den er vor fünfzehn Jahren als hilfloses Kleinkind aus dem Müll gefischt hatte, nicht mehr wieder sehen würde. An dem Tag hatte die Kleine Stadt, in der sie gelebt hatten, einiges an Farbe verloren...

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