Alles um Martín begann sich zu drehen und er fühlte sich, als würde er in ein tiefes Loch hineinfallen. Er konnte sich nicht daraus befreien, seine Hände und Füße wollten ihm nicht gehorchen und zogen ihn unentwegt hinab ins Schwarz. Er schrie, doch kein Ton kam aus seinem Mund...
Doch dann, ganz plötzlich, wurde er langsamer. Martín spürte seine Gliedmaßen wieder, er war wieder Herr über seinen eigenen Körper, als er landete.
„Martín...", sagte jemand an seinem Ohr, doch keiner war zu sehen.
„Andrés...?"
Er wusste nicht, wieso er sich so sicher war, dass es die Stimme von Andrés war, doch sein tiefstes Inneres rief eben diesen Namen.
Martín spürte wie er schwer atmete und sich Tränen in seinen Augen bildeten.
„Komm zu mir."
Dann sah Martín ein Licht und lief ohne zu zögern darauf zu. Überall hin, nur nicht in der Dunkelheit bleiben.
Er fragte sich, ob es das Licht am Ende des Tunnels war, von dem alle sprachen, wenn es an der Zeit war diese Welt zu verlassen, doch es fühlte sich nicht so an.
Martín fand sich in einem prunkvollen Saal wieder. Es sah aus wie in einer Barocken Kirche und überall hingen Kerzen an den Wänden. Menschen in langen Abendkleidern und Smokings schwebten über das Parkett und in der Ecke spielten ein paar Musiker ihre Klänge auf wunderschönen Instrumenten. Keines der Gesichter in dem Raum kam Martín bekannt vor, bis...
„Martín, da bist du ja!"
Martín drehte sich herum und sah in das Gesicht von Sergio, der ihn aus funkelnden Augen anlächelte, Raquel an seiner Seite.
„Sergio, was-"
„Lass ihn besser nicht warten, er wartet auf euren Tanz."
Martín sah ihn nur mit großen Augen an, er hatte nicht die geringste Ahnung, was Sergio meinte. Dann bemerkte er, dass auch er selbst einen Anzug trug. Schwarz und bequem,wie er es mochte. „Da hinten."
Raquel deutete mit einem Finger über Martíns Schulter und er drehte sich um.
Zwischen den tanzenden Menschen entdeckte Martín Andrés. Er lächelte ihn an, die Hände in den Taschen seines wunderschönen, eleganten Smokings, der einfach wie die Faust aufs Auge zu Andrés de Fonollosa passte.
Martín lief auf ihn zu, seine Füße trugen ihn ganz automatisch. Andrés hielt ihm seine Hand hin, sein Blick verließ jedoch nie das Gesicht des Anderen.
„Andrés... was... wo sind wir hier?", fragte Martín verwirrt.
„Tanz mit mir, cariño."
Andrés nahm Martíns Hand und zog ihn nah an sich heran. Mit einer Hand auf Andrés' Schulter und der anderen in seiner begannen nun auch sie zu tanzen.
Martín war verwirrt, doch gleichzeitig war er noch nie so glücklich in seinem Leben gewesen.
„Du hast mich warten lassen. Ich dachte, das hier wäre dir wichtig" sagte Andrés mit gespielt beleidigter Mine.
„Es tut mir leid...", murmelte Martín nur und eine Träne lief seine Wange hinunter. Er wusste nicht, ob aus Freude oder Traurigkeit, aber Andrés wischte sie mit seinem Daumen weg. „Das ist ein Traum, nicht wahr?"
„Hm hm", stimmte Andrés zu und wippte weiterhin zu dem Lied. Martíns ließ den Blick sinken.
„Bin ich tot?"
„Nein."
„Andrés ich vermisse dich so sehr..."
Die Tränen liefen nun in Strömen über Martíns Gesicht, es fühlte sich an wie in der Kapelle vor all den Jahren, als er Andrés das letzte Mal gesehen hatte.
Andrés lehnte seine Stirn an die von Martín und versuchte ihn zu beruhigen.
„Ich vermisse dich auch, cariño. Du glaubst gar nicht, wie sehr."
„Warum bist du gegangen? Warum hast du mich allein gelassen? Du hast mein Herz gebrochen..."
„Das musste ich. Es ging nicht anders. Wir waren immer Diebe, Martín. Und unsere Liebe durfte den Plan nicht gefährden."
„Scheiß auf den Plan."
Andrés lachte. Es war ein trauriges Lachen.
„Du verstehst nicht... es wäre mir nie möglich gewesen, zu gehen. Nicht mit dem Gedanken, dass du da draußen bist und auf mich wartest."
„Ich habe immer auf dich gewartet. Das hat nichts daran geändert."
Andrés nickte und ließ seine Hand in Martíns Nacken gleiten, er spielte mit den Haaren dort und Martín wurde weich.
„Der Plan hätte nicht funktioniert, wenn ich dich nicht verlassen hätte. Du weißt ja, persönliche Beziehungen... du warst mein Schwachpunkt, Martín..."
Martín sah Andrés aus großen Augen an.
„Es war leichter zu gehen, mit dem Wissen, dass du mich hasst."
„Ich könnte dich nie hassen..."
Martín legte beide Hände an Andrés' Wangen und zog ihn zu sich. Zärtlich legte er seine Lippen auf die seines Freundes. Der Kuss dauerte nur ein paar Sekunden, doch er sagte so viel.
„Es tut mit leid, Martín."
„Ist schon gut, Andrés. Ich verzeihe dir."
Nun küsste Andrés ihn und Martín fühlte sich wie im Himmel. Die Welt hätte hier und jetzt untergehen können und Martín wäre glücklicher, als je zuvor gewesen. Sie küssten sich innig, hielten einander fest im Arm und blendeten alles um sie herum aus.
„Ich liebe dich, Martín."
„Ich liebe dich, Andrés."
Die Musik stoppte und Andrés löste sich mit einem traurigen Lächeln von Martín.
„Wo willst du hin?", fragte dieser verwirrt.
„Dein Traum ist gleich vorbei." Andrés deutete auf den Raum und tatsächlich verließen die Leute den Saal. Ein paar der Kerzen gingen von selbst aus, als Martín Raquel und Sergio Hand in Hand aus einer der großen Türen gehen sah.
„Nein...", murmelte Martín und warf sich Andrés erneut in die Arme. „Geh nicht, ich liebe dich! Ich liebe dich!" Er roch so vertraut und sein Körper war warm und vermittelte Martín ein Gefühl von Geborgenheit.
„Wir werden uns wieder sehen, mein lieber Martín", sagte Andrés und küsste ihn noch einmal kurz auf die Lippen. „Aber dein Leben ist noch nicht vorbei."
„Doch, es ist nichts wert ohne dich."
„Martín, wenn der Tag gekommen ist, werde ich auf der anderen Seite warten. Aber bis dahin, will ich, dass du mir etwas versprichst."
Martín spürte wieder Tränen auf seinen Wangen. „Und was ist das?", schluchzte er, während er Andrés weiter festhielt.
Sie waren nun alleine in dem Saal, die Musik war aus und nur noch ein paar Kerzen leuchteten in ihren Halterungen an der Wand neben einer Tür.
„Lebe dein Leben in vollen Zügen. Sei fröhlich, liebe, lache. Es ist lebenswert, glaub mir. Und wenn es soweit ist, werden wir uns wiedersehen. Aber das ist nicht heute, nicht morgen und nicht in ein paar Jahren, sondern wenn du alt und runzlig bist. Dann werde ich zu dir kommen, mein liebster Martín."
„Geh nicht weg, Andrés, bitte..."
Andrés löste sich ein weiteres Mal von Martín und plötzlich war dieser wieder bewegungsunfähig. So sehr er sich auch bemühte, sein Körper konnte Andrés nicht folgen. Nur seine Tränen liefen unentwegt.
„Du bist mein Seelenverwandter, Martín. Wir hätten zusammen weggehen sollen... es tut mir leid, dass wir nie die Chance dazu hatten."
„Und deine Mini Mitochondrien?", fragte Martín nun scherzhaft, doch sein Herz schmerzte. Andrés bewegte sich immer weiter auf die Tür zu.
„Was kann ein Prozent schon ausrichten, gegen 99?"
Martín lachte, doch ihm war nach schreien zumute. „Ich liebe dich Andrés."
„Und ich liebe dich, Martín Berrote."
„Früher oder später wird uns die Zeit wieder zusammenführen...", sagte nun Martín.
„Später... wie abgemacht."
Mit diesen Worten ging Andrés aus der Tür, den Blick nicht von Martín nehmend. Dann wurde alles wieder schwarz.Martín erwachte mit getrockneten Tränen auf seinen Wangen in seinem Bett. Es war tiefste Nacht. Neben ihm schlief Helsinki tief und fest.
Martín wischte sich die letzen Tropfen aus seinem Auge.
„Palermo...", nuschelte Helsinki und strich Martín über den Arm. Offenbar schlief er doch nicht so tief und fest.
„Ja?"
„Es tut mit leid, was mit Berlín passiert ist."
„Schon gut, mein Großer.", sagte Pamermo mit einem Lächeln. „Früher oder- nein- später, wird die Zeit uns wieder zusammenführen... wie abgemacht."
