Martín hätte nie gedacht, dass er diesen Plan einmal umsetzen würde. Schon gar nicht ohne Andrés. Doch nun stand er hier, an dem Ort, an dem alles angefangen hatte, mit den Menschen, die ihren Anführer Berlín im Haus des Geldes zurückgelassen hatten.
Er war sich nicht mal sicher, wieso er Sergio damals nicht einfach weggeschickt hatte, als er in seiner kleinen Wohnung aufgetaucht war.
Martín sah auf den Drink in seiner Hand und betrachtete sein Spiegelbild in der braunen Flüssigkeit, während er auf der Terrasse stand und der Sonne beim Untergehen zusah. An Tagen wie diesen fiel es ihm besonders schwer, an dem Plan festzuhalten. An seinem und Andrés' Plan, der nun dafür missbraucht werden sollte, um einen Jungen aus dem Gefängnis zu holen, weil er blind vor Liebe war.
„Hey, Palermo!", rief plötzlich die unverkennbar starke Stimme von Nairobi. „Was machst du denn, wir wollen noch ein paar Details besprechen, der Professor wartet!"
„Der Professor...", murmelte Martín, schnaubte abfällig durch die Nase und trank den restlichen Inhalt seines Glases in einem Zug aus. Nairobi sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
„Ja, der Professor!", sagte sie, als wäre Palermo schwer von Begriff. „Du bist ein Teil unseres Planes, also bewege deinen Arsch."
Nun lachte Martín laut auf. „Unseres Planes?"
Er trat näher auf Nairobi zu und sie verzog das Gesicht, als sein Atem sie traf. Kein Wunder, er hatte seit Tagen nur Whiskey und Wein getrunken. Seine Fahne konnten wahrscheinlich sogar die gottverdammten Mönche riechen.
„Du meinst wohl meinen Plan? Meinen und Berlins Plan!"
Nairobi sah noch verwirrter aus. „ Ja meinetwegen, dann eben euer Plan."
„Du verstehst echt gar nix."
„Was willst du eigentlich?"
Und das war der Zeitpunkt, als Palermo der Kragen platzte.
„Du scheiß Schlampe hast doch keine Ahnung! Keiner von euch hat das! Dieser Plan war mein ganzes Leben! Er war Berlins Leben! Und nun soll er für euch Idioten herhalten, damit ihr den kleinen Hurensohn befreien könnt, der zu dämlich war, sich ordentlich zu verstecken! Für den selben Wichser, der aus dem verschissenen Tunnel geflohen ist... und BERLIN ZURÜCKGELASSEN HAT! IHR ALLE HABT IHN DAGELASSEN!"
Martín hatte sein leeres Glas gegen die Hauswand geworfen und die Scherben glänzten nun auf dem Boden. Nairobi bewegt sich nicht, sie sah Martín nur mit großen Augen und offenem Mund an.
„Scheiße.. Palermo, was soll der Mist?!", fragte sie schließlich, ihre Stimme nun auch lauter.
Martín stemmte die Hände in die Hüfte und lachte wie ein Verrückter. Niemand würde he verstehen, was dieser Plan ihm bedeutete.
„Warum hast du zugestimmt, hä? Warum? Wenn wir alle nur Idioten sind, die deinen ach so tollen Plan missbrauchen?!"
„Keine Ahnung! Nairobi, keine Ahnung!"
Wahrscheinlich hörte man ihr Geschrei bis zum Ende des Klosters und Martín fragte sich bereits, wann Sergio oder Raquel hier auftauchen würden. Nairobis Gesichtszüge entspannten sich wieder, als sie sah, wie Palermo schwer atmete. Sie stieg vorsichtig über die Scherben am Boden und kam näher an Martín heran.
„Hey, ich weiß er war dein bester Freund...", sagte sie vorsichtig und Martíns Augen wurden glasig. „Wir haben ihn dort drin gelassen, Palermo, das tut mir leid. Aber Berlin wollte nicht gehen."
„Scheiß drauf. Ihr wart ein Team, Nairobi."
„Ja! Und Berlin der Anführer. Er hat diese Entscheidung getroffen. Er hat sich für uns geopfert, und das werden wir nie wieder gut machen können... aber wir können es nicht umsonst gewesen lassen sein. Wir können Rio retten."
Martín spürte nun die Tränen seine Wangen hinunterkullern und Nairobi konnte nicht anders, als ihn in die Arme zu schließen.
Sie spürte, wie ihr Shirt an ihrer Schulter nass wurde, als Palermo hinein schluchzte.
„Er war mein bester Freund..."
„Ich weiß, Herzchen. Und ich will, dass du weißt, dass ich ihn da raus geholt hätte... aber du kennst Berlin... er ist stur, wie ein Esel."
Der Ausdruck ließ Martín kurz auflachen.
„Er hätte dabei sein sollen. Bei dem Plan."
„Ja, das hätte er. Genau wie Moskau und Oslo. Wir alle."
„Scheiß auf die... er war der wichtigste Mensch in meinem Leben."
Nairobi sagte nix, auch wenn sie seinen Ausdruck harsch fand, sie verstand seine Gefühle. Es war offensichtlich, dass Andrés mehr als ein Freund für Martín gewesen war. Auch wenn sie sich sicher war, dass er unmöglich das gleiche empfunden haben konnte. Zumindest nicht in dem Maß. Sie schwieg jedoch.
„Na komm", meinte Nairobi nach einer Weile. „Wir sollten gehen. Der Professor wartet."
Martín nickte.
„Eins noch, Palermo", sagte sie, als sie mit ihm in Richtung des Klassenzimmers lief. „Wenn du aussteigen willst, dann tu es. Aber wenn du da rein gehst, bist du Teil des Teams. Und das Team hält zusammen. Du kannst uns hassen, wenn wir mit Rio da raus sind, aber wenn wir da drin sind, musst du mit uns zusammenarbeiten."
„Ich weiß. Du musst dir keine Sorgen machen."
„Oh doch. Deswegen will ich, dass du es sagst."
Martín sah sie fest an. Er mochte Nairobi, ihre Entschlossenheit und ihr Teamgeist gefiel ihm.
„Ich werde mit euch zusammenarbeiten. Wir werden Rio da raus holen. Ich verspreche es."
Nairobi lächelte zufrieden. „Gut!"
Fröhlich hüpfend lief sie den Korridor entlang und winkte Martín hinter sich her. „Na los, mach schon! Heute sezieren wir ein Schwein!"
