Bloody Gisela (Fortsetzung)

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Pov. Jan

Ich machte mir Vorwürfe. Mehr denn je. Tim lag neben mir auf einer Pritsche, die Augen geschlossen. Seine rechte Schulter war dick einbandagiert, die Blutung hatte gestillt werden können. Es war knapp gewesen, Tim wäre beinahe verblutet, wenn er nicht gefunden geworden wäre. Aber einen Verlust gab es; Patrick hatte es nicht geschafft, er war wohl schon tot gewesen, als die anderen Männer eintrafen. Ich war schuld. An Patricks Tod und an Tims Verletzungen. Wenn ich aufgepasst hätte, wenn ich diesen Typen, der die Granate geworfen hatte, erwischt hätte, dann...
Es war schlimm. Seit nun schon 2 Tagen schlief Tim und es war nicht klar, ob und wann er aufwachte.

In diesen Tagen wich ich ihm nicht von der Seite, ich aß und schlief bei ihm, hielt seine Hand, erzählte ihm, was passierte, auch, wenn die meisten Ereignisse von denen ich erzählte, uns erst in diese Situation gebracht hatten, weil das das einzige war, dass mich ablenkte und das ich zu erzählen hatte.
Erstaunlicherweise blieb Gisela in diesen Tagen ruhig; keine Schimpftiraden, Beleidigungen oder sonstige verbale Äußerungen. Hier und da mal ein Mittelfinger, aber keine komplexen motorischen Ticks wie der 'Skispringer'. Bei diesem Namen musste ich grinsen. Den hatte Tim sich ausgedacht, als ich diesen Tick das erste Mal ausübte. Augenblicklich verging mir das Lächeln wieder. Egal, woran ich dachte, am Ende kam ich immer und immer wieder bei Tim an. Ihn so sehen zu müssen, so schwach und hilflos, es war die reinste Qual. Immerhin musste er nicht mehr künstlich beatmet werden, jetzt wartete man nur noch darauf, dass er aufwachte. Wir hatten Glück. durch Tims Verletzung durfte er nach Hause und da ich nicht gerade zuverlässig und kompetent war, was das Schießen anging, oder das generelle Kampfgeschehen, durfte ich mit ihm zurück nach Köln. Das war so mit das einzig positive an seiner Verletzung.

Es vergingen weitere Stunden, die sich wie Tage anfühlten und Tage, die sich wie Wochen anfühlten, in denen ich bei Tim blieb, seine Hand hielt und mit ihm sprach. Ein Tag glich dem anderen; aufstehen, Tim einen Guten-Morgen-Kuss auf die Stirn drücken, anziehen, Kaffee und ein Brötchen besorgen, zurück zu Tim, ihm beim Schlafen anstarren, gegen Mittag wieder was zu Trinken holen, nach der aktuellen Lage fragen, zu Tim, es ihm erzählen, am Abend schlafen gehen. Manchmal wurde er nachmittags untersucht oder sein Verband wurde gewechselt, sonst blieb alles so. Mit jedem Tag schwand meine und die Hoffnung der Ärzte dahin, was das Aufwachen von Tim anging. Mittlerweile waren es 8 Tage, die er schon schlief. Und er machte nicht die leiseste Anstalt, in naher Zukunft auf zu wachen. Doch wie schon so oft übertraf Tim mal wieder alle Erwartungen.

Ich war gerade unterwegs mir einen Kaffee zu besorgen, als mir der nette Arzt namens John entgegen gerannt kam und rief: "Er ist wach! Er ist aufgewacht!" Wie von der Tarantel gestochen ließ ich den Pappbecher, indem sich das braune Heißgetränk befand, fallen und rannte an John vorbei zu Tims Zimmer. Fast wäre ich noch durch die geschlossene Tür gerannt, konnte mich aber gerade noch zügeln, denn Tim würde ein hysterischer Besucher nicht gerade zur Besserung verhelfen, auch wenn dieser sein fester Freund war. Ich klopfte also leise an und nach einem Murren auf der anderen Seite betrat ich dann doch endlich das kleine Zimmer. In dem Bett lag Tim, wie immer eigentlich, mit dem kleinen aber doch so bedeutenden Unterschied, dass seine Augen geöffnet waren. Genau diese suchten den Raum ab und als sie auf mich trafen, weiteten sie sich und wurden wässrig. Schnell lief ich an sein Bett und ließ mich auf diesen unbequemen Stuhl fallen. Sofort nahm ich seine Hand.

"Alles gut Schatz! Ich bin ja hier. Oh Gott, ich habe mir so Sorgen gemacht! Wie geht's dir? Hast du Schmerzen? Oh Gott, sag doch was!" Aufgebracht sah ich ihn an, doch als ich in sein unverwechselbares Lächeln blickte, welches ich so sehr liebte, wurde ich ruhiger. "Dornröschen ist auch mal wieder aufgewacht! Du Wichser! Der liebe Jan ist fast verreckt!" So viel zum Thema Gisela. Augenblicklich verzog sich mein Gesicht unkontrolliert und mein rechter Arm schoss wie ein Blitz in die Höhe. Neben mir konnte ich ein raues Lachen vernehmen. Ich wandte meinen Kopf in die Richtung meines Freundes, nur um zu sehen, wie dieser nach wenigen Augenblicken schmerzvoll das Gesicht verzog. Sofort hielten sowohl Gisela als auch ich inne. Neben mich trat John und schob mich sanft zur Seite. Er stellte sich Tim vor, erklärte ihm die medizinische Situation und was als nächstes folgen würde. Er meinte auch, dass er eine Schwester schicken würde, die Tim Schmerzmittel verabreichen könnte, vorausgesetzt dieser wollte es.

Es wurden Untersuchungen gemacht, Röntgenbilder aufgenommen und so weiter. Erst am frühen Abend durfte ich wieder zu ihm, mit zwei Bechern, einer mit Kakao, der andere mit Kaffee, machte ich mich auf den Weg zu Tims Zimmer. Leise klopfte ich an, wenig später sagte jemand leise: "Herein" Vorsichtig öffnete ich die Tür mit meinem Ellenbogen, bedacht darauf, möglichst keines der beiden Heißgetränke zu verschütten. Erst als ich die Tür hinter mir schloss, sah ich zu Tim, der mir während der Prozedur grinsend zugeschaut hatte. Eilig trat ich neben ihn. "Ich hab dir einen Kakao mitgebracht, die Ärzte meinten, du dürftest noch kein Koffein zu dir nehmen, deshalb." "Du bist echt ein Engel, Jan" Das wars. Diese wenigen Worte lösten etwas in mir aus, fragt mich nicht was, aber etwas passierte. Vielleicht lag es daran, dass ich Tims Stimme nun schon seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr hatte hören können, oder die Erleichterung, dass es ihm offenkundig schon besser ging, überkam mich. Auf jeden Fall fand ich mich in Tims Armen wieder, die Wangen tränennass und am ganzen Leib zitternd.

„Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein! Du kannst doch nicht einfach wegrennen! Ich bin vor Sorge fast gestorben. Und als sie dann noch sagten, du wärst verletzt da hab ich vor Freude geheult!” War ja klar das Gisela mir dazwischen quatschen musste. Mehrere Minuten lang schwiegen wir und jeder war einfach nur froh, den anderen wieder zu haben. Ich wusste aber immer noch nicht, wie ich Tim beibringen sollte, dass Patrick es nicht geschafft hatte. Am besten würde ich das Thema so lange meiden wie es nur ging. Und wenn er mich direkt darauf ansprach?
Doch das tat er nicht. Als wären die letzten Minuten vor dem Eintreten der Bewusstlosigkeit wie ausgelöscht. Vielleicht spürte er aber auch, dass Patrick nicht mehr unter uns weilte. Es hieß ja, dass man soetwas bei Nahestehenden fühlen konnte. Die nächsten Tage waren nicht einfach; Tims Zustand verbesserte sich zwar zunehmend, doch seine Schulter bereitete ihm mehr Probleme als gedacht. Auch wenn er langsam beginnen sollte, ihn zu bewegen, schränkten ihn die Schmerzen doch sehr ein. Zudem kam es, dass es nahezu keine Schmerzmittel mehr gab, da es fast unmöglich war, in unser derzeitiges Gebiet zu fliegen. Doch sobald Tim laufen konnte, ohne nach wenigen Metern Pause machen zu müssen, durften wir nach Hause.

Nicht mal eine Woche später war es soweit; wir durften nach Hause. Am Mittag sollte unser Helikopter kommen. Doch einen Haken gab es dennoch. Zum Landeplatz waren es noch gute 2km Fußmarsch, sodass wir unser Gepäck noch ein gutes Stück schleppen mussten. Tim kam erstaunlich gut klar, wir mussten nur einmal kurz pausieren, damit er wieder Luft bekam. Wer konnte es ihm verübeln, nach fast zwei Wochen im Koma mussten seine Muskeln erstmal wieder funktionieren und arbeiten. Mit uns liefen drei weitere Soldaten, die Medikamente und Waffenmunition entgegen nehmen sollten, die unsere Mitfluggelegenheit mitbrachte. Wir sahen den Landeplatz schon, als wir in der Ferne Schüsse hörten. Der Helikopter stand schon dort. Schüsse waren hier nicht ungewöhnlich, doch als sie immer lauter wurden, überkam mich eine Unruhe, die sofort auf Tim und unsere Begleiter überschlug. Wir griffen nach unseren Waffen, die wir bei uns trugen, egal was war.

Mittlerweile rannten wir. Die Schüsse näherten sich in einem beunruhigenden Tempo. Doch wir schossen nicht zurück, um nicht unnötig die Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. „Jan? Ich kann nicht mehr! Bitte. Ich kann nicht mehr...” Tims Stimme wurden immer leiser und als ich mich zu ihm umwandte, konnte ich ihn noch gerade so auffangen, bevor er den Boden geküsst hätte. „Nichtmal laufen kann er richtig!” ,beschwerte sich Gisela, während ich Tim mit mir schleppte. Hinter uns vernahm ich Rufe. Verstehen konnte ich sie nicht, ob es an einer anderen Sprache oder dem Lärm des Kampfgeschehens lag, wusste ich nicht. Es waren nur noch wenige Meter bis zum Helikopter und während ich Tim mit mir schleppte, schossen die anderen zurück.

An Details erinnere ich mich nicht mehr, das einzige was in diesem Moment für mich zählte, war, dass ich Tim sicher in diesen fliegenden Metallhaufen bekam. Und das schaffte ich auch. Das Adrenalin hatte mir und Tim wortwörtlich den Arsch gerettet, denn kaum war die Tür hinter mir ins Schloss gefallen, traf eine Kugel genau die Stelle, an der ich vorher gehockt hatte.

Ein halbes Jahr später

Aufgeregt rückte ich meinen Anzug ein letztes mal zurecht. Gleich war es soweit. Nach fast fünf Jahren Beziehung hatte Tim mich gefragt, ob ich ihn zum Mann nehmen wollte. Unser doch eher kurzer aber dennoch ausreichender Aufenthalt im ”Urlaub” wie wir es nannten, hatte ihn zu dieser Entscheidung bewegt. Wir wollten sowohl seelisch als auch amtlich endlich unzertrennbar sein. Und in guten fünf Minuten sollte diese Vorstellung Realität werden. Im Stillen dankte ich wem auch immer, dass Tim es wieder gut ging und wir uns in dieser kaputten Welt gefunden hatten.
Ende

Hallo, nach einer gefühlten Ewigkeit melde ich mich aus dem Urlaub mit der Fortsetzung und gleichzeitig dem letzten Teil von diesem Oneshot. Ich hoffe die Fortsetzung hat euch gut gefallen. Lasst mir eure Meinung gerne durch die Kommentare zu kommen.
Bis hoffentlich bald, eure lima0080!

Oneshots📚✍️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt