Violet
Ich stützte meine Hände an dem Waschbeckenrand ab und starrte in den Spiegel. Wer bin ich? Was ich sah, gefiel mir überhaupt nicht. Meine Haut sah blasser als sonst aus, kein Wunder, ich fühlte mich echt schlecht. Ich brauche Aspirin. Aber dafür muss ich zu ihnen gehen und sie geben mir sicher keine Medikamente. Ich wandte meinem Spiegelbild wieder den Rücken zu und ging schnell in mein Zimmer zurück. Eigentlich war es gar nicht mein Zimmer, ich musste es mit einem anderen Mädchen teilen. Sie war eine echte Psychopathin. Jeden Abend veranstaltete sie irgendwelche Hokuspokus Spielchen und wollte damit Geister beschwören. Doch jetzt saß sie, mit zusammengefalteten Händen in ihrem Schoß, auf dem Bett und beobachtete mich. „Was ist?“, fragte ich gereizt. Ohne auf meine Frage einzugehen antwortete sie mit einer ungewohnten ruhigen Stimme: „Wir sollten zum Frühstück gehen. Es ist schon spät.“ „Ich muss in die Stadt.“ „Sie werden dich bestrafen!“ „Ich bin in einer Stunde wieder zurück. Sag ihnen mir geht es nicht gut und ich bin am Zimmer geblieben.“ Sie schüttelte den Kopf und sagte: „Du lernst auch gar nichts dazu, was?“ Normalerweise hätte ich bei so einer Aussage geschmunzelt, aber heute war mir einfach nicht danach. Schnell griff ich nach meiner Tasche, welche auf dem Bett lag und sah hinein. Handy, Geldbörse, Schminke, Kopfhörer und Sonnenbrille, alles war da. Perfekt. Ich warf mir meine Tasche über die Schulter und ging auf das Fenster zu. Zum Glück befand sich unser Zimmer im Erdgeschoß, so war es kein Problem, hinauszuklettern. Keine Minute später stand ich mit beiden Beinen im Gras des Gartens und setzte meine Sonnenbrille auf. Anschließend verdeckte ich mit der Kapuze meines Sweatshirts meine Haare. Wie eine Verbrecherin rannte ich auf die Hecke zu. Ich wusste genau wohin. Es war kaum zu sehen, es gab ein Loch zwischen zwei Zypressen und ich schlüpfte hindurch. Warum ich genau wusste wohin ich gehen musste? Weil ich schon oft genug abgehauen war.
Hinter der Hecke war es wie in einer ganz anderen Welt. Es gab viele Autos auf der Straße und massenhaft Leute, die sich unterhielten. In diese Welt passe ich nicht hinein. Alle sagen, ich sei eine Kriminelle. Wahrscheinlich ist dem auch so, sonst wäre ich nicht hier. Meine Füße steuerten Richtung Supermarkt, wo ich mir meine Sachen besorgen wollte. Vielleicht hatten sie auch irgendwelche Medikamente ohne Rezept. Ich dröhnte mich gerne zu, um die wahre Welt zu vergessen. Wahrscheinlich war das auch ein Grund, weshalb sie mich herschickten. Meine schnellen Schritte hallten auf dem betonierten Boden wieder. Ich spürte die seltsamen Blicke der Menschen auf mir. Man sieht hier anscheinend nicht jeden Tag ein Mädchen mit dunkler Sonnenbrille und Kapuze im Gesicht. Mir fiel auf, dass heute mehr Polizisten als sonst unterwegs waren, aber ich dachte mir nichts weiter dabei. Sollen sie mich doch verhaften. Trotzdem beschleunigte ich mein Tempo und sah schon von weitem die leuchtenden Schriftzüge des Supermarkts. Schnell blickte ich noch auf mein Handy. Es verriet mir, dass ich eine neue Nachricht hatte. Doch bevor ich nachsehen konnte, knallte ich mit jemandem zusammen. Die ältere Frau stieß einen spitzen Schrei aus und ließ ihre Einkaufstaschen fallen. Ein paar Lebensmittel rollten heraus und verteilten sich über dem Asphalt. Ich atmete tief durch und ging einfach weiter, ohne auf die schimpfenden Worte der Frau zu achten. Ja, ich war kein Sonnenschein in Person.
Erleichtert verschwand ich hinter der Eingangstür des Geschäfts. Die kühlere Luft des Innenraums schlug mir entgegen und ich setzte meine Sonnenbrille und Kapuze ab. Immerhin wollte ich doch nicht zu viel Aufsehen erregen. Sofort ging ich in die Abteilung mit dem Alkohol. Natürlich war ich noch keine 21, davon war ich noch weit entfernt. Aber ich hatte schon früh angefangen zu trinken und es beruhigte mich irgendwie. Schnell stopfte ich ein paar kleine Flaschen in meine Tasche und hoffte, dass es niemand bemerkt hatte. Danach marschierte ich in die Apothekenabteilung und blickte dem freundlichen Gesicht einer jungen Frau entgegen. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“ „Ich habe solche Kopfschmerzen. Haben Sie Aspirin?“ „Ja, aber nur mit Rezept.“ Natürlich! Wie konnte ich nur so dumm sein? „Aber es gibt gleich um die Ecke einen Arzt. Er kann Ihnen ein Rezept ausstellen.“ „Nein, passt schon.“ Verärgert machte ich kehrt und steuerte auf den Ausgang des Supermarkts zu. Dann beschaff ich mir die Medikamente eben wo anders. Ein Security-Mann beäugte mich komisch und hielt mich zurück. „Miss? Kann ich kurz in Ihre Tasche sehen?“ Scheiße. Doch dazu kam es nicht, denn auf einmal gab es einen lauten Knall und der Boden bebte. „Runter!“, schrie der rundliche Mann und zückte seine Waffe. Ich ließ mich mit anderen Leuten gleichzeitig zu Boden gleiten. Glas splitterte und Menschen schrien durcheinander. Sicher nur ein verwirrter Irrer. Es fielen Schüsse und ein seltsamer Nebel zog auf. Es war Rauch. Der Security-Mann verschwand in der grauen Luft und es erfolgte wieder ein Schuss. Ich konnte schemenhaft erkennen wie ein Körper zu Boden ging. Fuck. Doch schlimmer als ich dachte. Mir wurde ganz mulmig zu Mute, ich wusste nicht, was gerade vor sich ging. Wurde der Mann wirklich erschossen? Wahrscheinlich ein Überfall. Das sieht diese Stadt wahrscheinlich auch nicht oft. Mich brachte nichts so vieles aus der Fassung. Viele meinen ich sei emotionslos. Das wurde mir aber immerhin über die Jahre beigebracht. Ohne Gefühle kommt man im Leben weiter.
Die Menschen, welche sich gerade im Geschäft befanden, standen auf und liefen wild umher. Ich beschloss, mich ihnen anzuschließen. Immerhin wollte ich wissen, was genau gerade los war. Irgendwie kam mir alles wie in einem Actionfilm vor. Dann hörte ich auch schon die ersten Sirenen, welche aber aus irgendeinem unerklärbaren Grund wieder verstummten. Es gab noch einen Knall, diesmal klang es aber eher nach einer Explosion. Ich weiß schon, was die nächsten Wochen in den Zeitungen stehen wird. Ich heftete mich an einen jungen Mann und gemeinsam wollten wir nachsehen gehen. Schließlich wurden wir auch von dem Nebel verschlungen. Gleich darauf kamen drei Männer auf uns zugestürzt. Sie hatten eine Militäruniform an und Maschinengewehre in ihren Händen. Sie sahen nicht aus, als würden sie aus der Gegend kommen. Die Männer schrien uns an und deuteten mit den Gewehren auf uns. Der Mann, mit dem ich das Geschäft verlassen hatte, ging auf die drei zu und redete auf sie ein. Doch weit kam er nicht, denn ihm wurde sein Gehirn weggeblasen. Ich wurde mit einem Schwall Blut überschüttet und stürzte zu Boden. Ich spürte die warme Flüssigkeit auf meinem Körper und musste automatisch würgen. Die Männer waren sich anscheinend unschlüssig was sie nun mit mir machen sollten. Der eine richtete sein Gewehr auf mich und hatte den Finger schon am Abzug, doch der andere hinderte ihn daran, abzudrücken. Schließlich hockte der eine sich neben mich hin und starrte mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten konnte. Dann holte er mit seinem Gewehr aus und schlug mir in mein Gesicht.
DU LIEST GERADE
Dead End
HorrorDer Boden ist mit Blut übersäht. Überall liegen die Leichen von Menschen herum. Vielleicht sind es Verwandte, Geliebte, Bekannte, oder einfach nur irgendwelche Menschen. Doch eines haben sie gemeinsam, sie alle sind tot. Sie wurden brutal ermordet...