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Seit Stunden prasselte der Regen nun schon gegen die Fenster des alten Arbeitszimmers und auch der Wind hatte sich kein bisschen beruhigt - wenn nicht sogar das Gegenteil.

Bereits den ganzen Abend tobte dieser Sturm über Suris, viel zu stark, um auch nur annähernd das Haus zu verlassen. Zumindest fand das Ammron Merodyn.

Seufzend blickte er von dem ganzen Papierkram auf seinem Schreibtisch auf. Es fühlte sich immer noch so falsch an, hier an diesem Platz zu sitzen – am Platz des Lords von Suris.

Selbst ein Jahr nach dem Tod seiner Eltern kam es ihm so schrecklich seltsam vor. Als würde er seinen Vater, Agyn Merodyn, betrügen. Dabei war dieser Platz seit seiner Geburt für ihn vorherbestimmt.

Ein Krieger mit Herz. So hatte ihn Agyn immer genannt. Ammron schnaubte. Früher hatte er daran geglaubt. Regelrecht daran festgehalten. Er wollte immer so sein wie sein Vater. Stark, klug und mutig. Doch das konnte er nicht. Nicht nach all dem.

Langsam lies Ammron den Blick durch den Raum schweifen.

Er hatte nie etwas an der Einrichtung geändert, aus Angst auch das letzte Bisschen seines Vaters zu verdrängen. Der große Schreibtisch, die Kommode in der Ecke, ja sogar die uralten Gemälde. Alles war an seinem Platz – und doch war es anders. Wegen dir.

Seine Schwester Seyla hatte darüber gelacht und ihn für dumm erklärt. Doch sie verstand nicht, wie es ihm damit ging. Wie es war, von einem Tag auf den anderen über eine ganze Stadt zu herrschen. Die Verantwortung für tausende von Bürgern zu tragen.

Seyla war in ihrer grauen Welt gefangen, unfähig das Leben und die Menschen um sie herum wahrzunehmen. Keiner wusste was damals in der Kutsche passiert war, doch es hatte seine Schwester verändert. Grundlegend.

Früher war sie einmal wild und lebensfroh gewesen. Eine Naturgewalt. Ein Sturm, der nicht aufzuhalten war. Jetzt war sie eine Hülle die existierte, ohne wirklich zu leben.

Nein, auf sie konnte er nicht zählen. Nicht mehr.

Ammrons Rücken schmerzte, als er vom Schreibtisch aufstand und zum Fenster ging. Der Wind wehte immer noch wie verrückt, doch der Regen war weniger geworden.

Stöhnend streckte er die Wirbelsäule durch. Wie lange hatte er heute schon gearbeitet? Seinem dröhnenden Kopf nach zu urteilen länger als es gut war.

Draußen war die Nacht längst angebrochen und der schimmernde Vollmond leuchtete hell durch die wenigen Wolken, die noch am Himmel waren.

Von dem Turm aus, in dem sein Arbeitszimmer lag, konnte er die gesamte Stadt überblicken. Da waren die prunkvollen Villen der reichen Kaufleute, der Marktplatz und das Armenviertel hinter der Stadtmauer. Die Festung selbst befand sich auf einer Anhöhe. Sie war das Zentrum der Stadt.

Dieser Ort gehörte ihm. Allein.

Er wollte das nicht.

Ja, es war ihm seit seiner Geburt vorherbestimmt gewesen einmal Lord zu werden, doch das hatte er nie gewollt. Dreiundzwanzig Jahre wurde er auf den Tag vorbereitet, an dem er sein Erbe antreten sollte. Doch selbst ein Jahr nach diesem verdammten Tag fühlte es sich falsch an. Weil dein Vater noch leben sollte.

Seufzend lehnte er sich auf die breite Fensterbank und dachte an all diese Jahre. Als noch alles normal war. Seyla hätte es besser gemacht, das Herrschen. Sie wäre stark, klug und mutig. 

Das Lachen drang ihm bitter aus der Kehle. Ja, das würde sie - Wenn sie kein Wrack wäre.

Seine Schwester war schon immer die Stärkere von ihnen, dabei war sie vier Jahre jünger als er. Doch das half ihm jetzt auch nicht mehr weiter.

Plötzlich hielt Ammron inne. Sein Blick war zu den Bergen hinter Suris gewandt. Dort, auf der kleinen Klippe über der Stadt, da war doch jemand!

Im fahlen Mondlicht konnte man die Umrisse einer jungen Frau erkennen. Sie hatte langes, dunkles Haar und ihre Kleidung zeugte von einer höheren Herkunft. Neugierig drückte der junge Lord sein Gesicht an die dünne Fensterscheibe. Wie lange stand sie dort schon? Etwa den ganzen Abend?

Ihr Haar wehte wild im Wind, als sie sich immer weiter dem Rand näherte. Ammrons Herz stockte. Sie wollte doch nicht etwa springen, oder?

Hinter der Frau trat etwas aus dem Schatten. Das Tier, es war ein Greif, schmiegte sich sanft an seine Besitzerin. Es wirkte so harmonisch, wie ein Leib und eine Seele. Dieser Anblick, er erinnerte ihn so sehr an Neash und seine ... Warte, nein!

Auf einmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Nein, das konnte nicht stimmen. Die Frau dort oben konnte nicht Seyla! Götter, lasst es nicht Seyla sein!

Ammrons Herz klopfte wie wild, als er beobachtete, wie sie auf den Greif stieg. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass das seine Schwester war.

Etwas in seinemInneren zog sich schmerzhaft zusammen. Seyla durfte nicht wegfliegen. Sie war zwar stur und hart und was sonst noch alles, doch sie war seine Schwester! Das einzige, das ihm von seiner verfluchten Familie noch geblieben war. Er konnte doch nicht zulassen, dass sie ihn auch noch verließ!

Wie vom Blitz getroffen stürmte Ammron aus dem Raum, die Treppen der Festung hinunter durch die unzähligen Gänge.

Es kümmerte ihn nicht, dass die Leute um ihn herum ihm etwas zuriefen, dass sie ihn so sahen. Aufgebracht. Verzweifelt.

Seine Beine wurden von Angst getrieben. Die Angst davor, auch noch das letzte, das ihm lieb war, zu verlieren.

Nicht Seyla. Bitte nicht auch noch Seyla.

Der Weg durch die Festung fühlte sich viel zu lange an. Es waren viel zu viele Treppen und Gänge. Viel zu viele Menschen, die ihm im Weg waren.

Verdammt, Seyla! Lass du mich nicht auch noch im Stich! Warum hatte sie ihm nie gesagt, dass sie weg wollte?

Noch im Rennen stieß er mit klopfendem Herzen die Tür zu ihren Gemächern auf und stürzte hinein. Leer. Die Räume seiner Schwester waren leer.

Seyla war gegangen. Sie war weg.

Etwas in seinem Herzen zerbrach. Ein Riss neben dem, den der Tod ihrer Eltern verursacht hatte. Seyla, meine Seyla.

Sie hatte sich nicht verabschiedet. War einfach gegangen, ohne ein letztes Wort.

Der Kloß in seinem Hals wurde immer größer und größer. Warum? Warum war diese Familie so dazu verdammt zerbrochen zu werden? Und warum war er immer der Einzige, der übrig blieb? Wie sollte er eine ganze Stadt regieren, wo er doch selbst nur noch ein Wrack war?

Ammron bemerkte kaum, wie er auf die Knie fiel. Wie ihm die Tränen die Wangen hinunterliefen. Toll. Jetzt war er nicht nur ein Mann ohne Familie und ein Herrscher ohne Herrscherinstinkt.

Er war einsam.  


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Warum quäle ich eigentlich so gerne meine Charaktere? 

Naja, egal... 

Wie hat euch die Geschichte aus der Sicht von Ammron gefallen? Wie wirkt er bisher auf euch? (Ist er zu langweilig??? O.o)

Über Feedback usw. würde ich mich wie immer riesig freuen ^^

Habt einen schönen Tag 
LG Katy (:

Legend of a QueenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt