Langsam und mit großer Mühe öffne ich meine Augenlider, die sich so schwer anfühlen wie Blei. Nach ein paarmal blinzeln hatten sich meine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnt und ich betrachte verwirrt den nahezu leeren Raum, in dem ich mich befinde. Früher mochte ich die Dunkelheit, sie war mein bester Freund, ein Vertrauter, doch jetzt wirkt sie irgendwie bedrohlich, ich fühle mich einsam und verwundbar. Mir fehlt jegliche Erinnerung daran, wie ich hierhergekommen bin, oder wo ,,hier" überhaupt ist. Aufgrund des modrigen Geruchs und des kalt-nassen Bodens schlussfolgere ich, dass ich mich wahrscheinlich in einem Keller befinde. Ich wage einen Versuch auszustehen, der jedoch kläglich scheitert, da ich sofort wieder zu Boden falle. Einerseits wegen des, mich plötzlich überkommenden Schwindels, andererseits wegen eines schweren Gegenstands, der ein lautes Klirren erzeugt, während er mich nach unten zieht. Erschrocken drehe ich meinen Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und erblicke eine dicke Stahlkette, die sich schwer um meinen rechten Fuß schlingt. Panisch zerre ich daran und zapple wie wild herum, doch es erscheint mir aussichtslos die Kette jemals loszuwerden. Ich spüre wie sich eine Welle von Angst und Verzweiflung anbahnt und mir tausende von Fragen durch den Kopf schießen. Was ist passiert? Wurde ich entführt? Warum ausgerechnet ich? Und wenn ja, welcher Mensch wäre dazu imstande so etwas grausames zu tun? Sucht mich jemand? Bemerken sie überhaupt, dass ich weg bin? Mich würde sowieso niemand vermissen. Fragen über Fragen, doch niemand ist da, um mir Antworten zu geben. Verzweifelt liege ich beinahe leblos auf dem feuchten Untergrund. Auf einmal fällt mein Blick auf die Eisentür am anderen Ende des Raumes, deren Präsenz ich bisher nicht wahrgenommen hatte. Als ich mich genauer darauf konzentriere fällt mir ein Lichtstrahl, der durch einen kleinen Spalt am Rande der Tür scheint ins Auge. Der kleine Funken Licht gibt den Lichtschalter nahe dieser zu erkennen. Ich verspüre ein wenig Hoffnung, dass es vielleicht doch noch so etwas wie Rettung für mich gibt. Wenn ich doch nur den Schalter erreichen könnte, doch es scheint mir unmöglich, weil die Kette einfach zu schwer ist. Ich wünsche mir, dass jemand kommen würde, um ihn umzulegen, und wieder Licht in mein Leben bringt. Als mich auf einmal ein höllischer Schmerz aus meinen Gedanken reißt, fällt mir auf, dass sich die Kette mittlerweile in mein Fleisch gebohrt hatte, und etwas Blut von dieser Stelle an meinem Fuß auf den Boden tropft. Ich will einfach nichtmehr in der Dunkelheit sein, dachte ich. Aus dem Augenwinkel erblicke ich im schwachen Lichtschein einen kleinen spitzen Gegenstand, den ich nicht genau identifizieren kann. Könnte das ein Weg sein mich zu befreien? Einen Versuch ist es zumindest wert. Ich ignoriere die rote Flüssigkeit, welche sich langsam auf dem Boden verteilt und krieche -da es mir unmöglich erscheint aufzustehen- in Richtung des Gegenstands. Ich merke, dass die Kette immer kürzer wird und befürchte, dass sie nicht lang genug ist um das Objekt, das sich bei näherem Betrachten als Stein entpuppt zu erreichen. Zentimeter für Zentimeter nähere ich mich diesem, und strecke mit letzter Kraft meinen rechten Arm in Richtung des Steins aus. „komm schon, du schaffst das, nur noch ein kleines Stück" flüstere ich mir zu. Kurz darauf bin ich endlich an dem Stein angelangt und wickle meine kalten Finger darum. Erschöpft atme ich aus und liege für einen kurzen Moment auf dem dreckigen Boden. Sobald ich wieder etwas Energie gesammelt hatte, setzte ich mich vorsichtig auf und lehnte mich an die Wand hinter mir, um einen Versuch zu wagen mich zu befreien. Ich umklammere den Felsbrocken, der gerade so in meine Hand passt, hole aus und schmettere ihn einige Male gegen die stählerne Fessel, die sich um meinen Fuß schlingt. Nach einer gefühlten Ewigkeit löst sich die Kette plötzlich und fällt mit einem lauten, dumpfen Geräusch zu Boden.
Mich überkommt ein kurzer Schwall von Erleichterung und Hoffnung, der jedoch nicht lange anhält, da kurz darauf ein stechender Schmerz mein Bein durchzuckt. Mein Blick schweift zu der Stelle, an der sich vor Kurzem noch die Kette befunden hatte und ich stelle mit Erschrecken fest, dass das, bis gerade eben noch abgeschnürte Blut nun freie Bahn hat, und aus meinem Fuß quillt. Hektisch reiße ich mein dreckiges T-Shirt in Fetzten und binde es panisch um die Wunde, um die Blutung etwas zu stoppen, doch mir wird dabei bewusst, dass es nicht lange halten wird, und ich mich beeilen muss, wenn ich hier lebend rauskommen will. Eine Mischung aus Freude, Neugier und Angst macht sich in mir breit. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und rapple mich vorsichtig auf. Meine Beine zittern. Wie lange bin ich hier gelegen? Mehrere Tage, Wochen oder sogar Monate? Das Licht zieht mich in seinen Bann wie eine Motte, meine nackten Füße bewegen sich langsam in Richtung Freiheit. Meine langen, ungekämmten Haare fallen über meine Schulter, während ich mich Schritt für Schritt dem Ausgang nähere. Als ich diesen erreicht habe, strecke ich meine Hand danach aus, drücke die Türklinke nach unten, und öffne sie zögerlich, wobei ich mir meine Hand vors Gesicht halten muss, um meine Augen vor dem grellen Licht zu schützen. Jetzt stehe ich in einem Flur, der die Möglichkeit bietet, nach links oder rechts zu gehen. Ich kann erkennen, dass sich an beiden Seiten jeweils eine Tür befindet. Die zu meiner Rechten ist komplett in Dunkelheit gehüllt und strahlt irgendwie etwas vertrautes und Angenehmes aus, so als wären all meine Probleme gelöst, wenn ich durch sie hindurch gehen würde, und all meine Schmerzen ein Ende haben würden. Jedoch übermittelt sie auch ein Gefühl des Aufgebens, ist das wirklich das, was ich will? Hinter der zu meiner Linken liegt die Quelle des Lichts, sie gibt mir ein Gefühl von Schmerzen, Leid und Einsamkeit, aber auf der anderen Seite auch Liebe, Geborgenheit und Hoffnung. Mir wird klar, dass es nicht einfach für mich wird, wenn ich diese öffne. Ich bin hin- und hergerissen welchen weg ich wählen soll. Es wäre so leicht, jetzt einfach aufzugeben und dem Schmerz ein Ende zu bereiten. Ich habe einfach keine Kraft mehr weiterzumachen. Jedoch habe ich das Gefühl, dass hier noch nicht alles enden soll, und es sich lohnen wird, diese eine letzte Chance zu ergreifen. Entschlossen gehe ich dieser Tür entgegen. Als ich direkt vor ihr stehe, zögere ich kurz, nehme noch einen letzten, tiefen Atemzug, und schiebe sie mit schwitzigen, zitternden Händen auf. Während ich durch diese hindurch gehe muss ich mir erneut die Hand vor meine Augen halten, da das Licht mir dieses Mal direkt entgegen strahlt. Ich spüre, wie der Boden langsam von Wasser bedeckt wird, das nach und nach immer höher steigt, woraufhin meine, noch ziemlich frische Wunde zu brennen beginnt. Der Raum fängt an, sich komplett mit der nassen Substanz zu füllen, und mit wird bewusst, dass bald keine Luft mehr zum Atmen da sein wird. Das Gewässer reicht nun bis zur Decke, und mein Körper ist vollständig in der Flüssigkeit versunken. Kurz bevor mir der Sauerstoff ausgeht und ich bewusstlos werde, sehe ich wieder dieses blendende Licht, das diesmal stärker ist als je zuvor. Dann wird alles schwarz.
Das nächste, das ich wahrnehme ist ein lautes, konstantes Piepen, welches einen höllischen Schmerz in meinen Ohren verursacht, und ein paar Stimmen, die neben mir reden. Ich liege in etwas, dessen Komfort darauf schließen lässt, dass es ein Bett ist. Ich versuche meine Augen zu öffnen, jedoch werde ich von einer extremen Helligkeit, die frontal in mein Gesicht scheint, angestrahlt, weshalb ich gezwungen bin, sie unmittelbar wieder zu schließen. Nach einigen Sekunden starte ich einen erneuten Versuch, diesmal jedoch etwas vorsichtiger, um mich an die ungewohnte Beleuchtung zu gewöhnen. Vor mir stehen mehrere Personen, unter anderem eine Frau mittleren Alters, die -wahrscheinlich vor Freude- zu weinen beginnt. Ein Mann, der etwas älter als die Frau aussieht, lächelt mich erleichtert an, und reicht der Frau ein Taschentuch. Ein anderer junger Mann, der einen weißen Kittel trägt, sieht mich zufrieden an. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre ich gegen eine Wand gelaufen, und mein Hals brennt. Abrupt beginne ich zu husten und spucke etwas Wasser auf die auf mir liegende Decke. Als ich versuche meinen Mund zu öffnen, um etwas zu sagen, kommt zuerst nur ein klägliches Krächzen heraus, doch mit etwas Konzentration und viel Anstrengung bringe ich nach einiger Zeit ein halbwegs verständliches „W-w-wo b-b-in i-ich? Und w-was mache i-ich hier?" heraus. Meine Stimme kommt mir so fremd vor, dass ich glaubte, sie gehörte jemand anderem, aber da die Worte ja aus meinem Mund kamen, musste es meine sein. Der Mann in weiß zögert etwas, wirft mir dann einen mitleidigen Blick zu und antwortet schließlich: „Sie sind im Seattle International Hospital, Miss Black. Sie haben letzte Nacht versucht sich zu ertränken."
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In The Dark
Short Story!TRIGGER WARNUNG! "Früher mochte ich die Dunkelheit, sie war mein bester Freund, ein Vertrauter, doch jetzt wirkt sie irgendwie bedrohlich." Als Clara wieder zu Bewusstsein kommt, stellt sie mit Erschrecken fest, dass sie sich an einem, ihr völlig u...