Kapitel 1

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I'm weaker than you know
burried just below
screaming out with concrete sounds,
I'm losing all control
and I could be the fire inside of
your collapsing home
I could be the storm that tears down
everything you hold

(-Anachronism by Crywolf)

Es war ein kühler Tag Anfang Juli im Jahre 1996. Große Regentropfen prasselten gegen die Fensterscheiben und dichte, graue Wolken zogen sich zäh wie endlose Schleier über den Himmel. Das trübe Wetter spiegelte die Stimmung des Mannes wieder, der schon seit geraumer Zeit aus dem Fenster starrte. Der Tee in der Tasse vor ihm war schon lange abgekühlt. Der Mann schien nichts zu merken. Wie versteinert saß er da; sein Blick leer.

Tonks hatte einen Moment lang im Türrahmen zur Küche stehen geblieben, um ihren besten Freund zu beobachten.
Remus war in einem schwierigen Zustand momentan. Heute war es genau zwei Wochen her, seit Sirius gestorben war. Remus hatte sich sehr verändert. Er zuvor schon immer ein sehr ruhiger und in sich gekehrter Mensch gewesen, der einige Zeit brauchte, um Vertrauen zu fassen - doch jetzt verschloss er sich völlig. Nicht einmal Tonks, die eigentlich einen sehr guten Draht zu ihm hatte, konnte seine Mauer der Isolation durchbrechen.
Sie vermutete, dass er sich so verschloss, um niemanden mit seiner Trauer zu belasten. Niemals hatten sie sich über Sirius' Tod unterhalten, Remus war davon zurückgescheut - dennoch wusste Tonks, dass er trauerte. Sie sah es in seinen Augen. Remus' haselnussbraune Augen, ein wenig honigstichig, einst voller Wärme, waren nun leer.
Tonks machte ihm keine Vorwürfe, er tat ihr nur unfassbar leid. Remus hatte seinen besten Freund verloren und musste sich schrecklich allein fühlen. Wenn er sich ihr doch nur wieder öffnen würde...
Tonks konnte sich noch genau an den Tag exakt eine Woche vor Sirius' Tod erinnern. Sie war mit Remus auf einer Mission gewesen, hatte Sirius beiläufig erwähnt und Remus hatte plötzlich angemerkt, dass sie sich wohl in Sirius verliebt hatte. Tonks, völlig fassungslos, hatte ihm verärgert klargemacht, dass er derjenige war, in den sie sich verliebt hatte. Remus war zuerst ungläubig gewesen, dann überglücklich. Sie hätten sich beinahe geküsst, als ihn irgendeine Erkenntnis getroffen hatte wie ein Blitz.
Remus kam eben nicht heraus aus seiner Haut. Jahrelang war er allein dagestanden, war von seinen Mitmenschen größtenteils verabscheut worden, hatte niemals Liebe erfahren - er konnte ihre Liebe für ihn nicht einfach annehmen, das war ihr mittlerweile bewusst. Remus hatte sich nach dem Beinahe-Kuss von ihr distanziert. Er war immer höflich gewesen, aber er hatte sich etwas distanziert.
Dann passierte jene schicksalsreiche Nacht: der Kampf in der Mysteriumsabteilung.
Sirius war gestorben, Tonks war von Bellatrix für zwei ganze Tage ausgeknockt worden. Sie war in St. Mungo aufgewacht, Remus an ihrer Seite. Sie konnte sich nicht mehr an alles erinnern, aber was sie definitiv noch wusste, war, dass er in Tränen der Erleichterung ausgebrochen war, sobald sie aufgewacht war.
Tonks hatte zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, was geschehen war. Sie wusste nicht, dass der Mann, der sie weinend in seine Arme gezogen hatte, vor 48 Stunden seinen besten Freund verloren hatte. Sie hatte nicht die leistete Ahnung gehabt, dass sie nun so ziemlich alles war, was er noch hatte.
Gerade deshalb schien er sie nun noch mehr zu meiden. Tonks hatte die Vermutung, dass er im Glauben war, er würde jeden verlieren, den er lieb gewann.
Aber er würde sie nicht verlieren, das hatte sich Tonks geschworen.
Oft hatte sie in letzter Zeit über Remus nachgedacht. Über Remus, und ihr Verhältnis zu ihm. Sie liebte Remus, darin war sie sich sicher. Remus schien ihre Gefühle zu erwidern - jedenfalls bevor all dem, was vor zwei Wochen passiert war. In seinem aktuellen Zustand wurde nicht einmal Tonks mehr schlau aus ihm.
Was sie wusste, war, dass sie nun sanfter mit ihm sein musste denn je. Remus verschloss sich in einem Glashaus, dachte sie immer, und er schlug eigenhändig Steine durch die Fenster, weil er sich keinem anvertraute. Remus mochte sich selbst als Einzelkämpfer ansehen, aber davon war in Wirklichkeit so weit entfernt.
Tonks kannte ihn. Remus war niemand, der allein sein wollte. Er machte sich selbst etwas vor, um den Schmerz und die Isolation, die ihm das Schicksal auferlegt hatte, zu verhindern. Doch Remus sehnte sich so sehr nach Liebe und Sicherheit, wie Tonks sonst keinen kannte.
Doch wie sollte sie diesem gebrochenen Mann helfen, wenn er sie nicht ließ? Sie hatte versucht mit ihm zu sprechen, doch hatte nie durchdringen können. Auch Molly Weasley hatte es natürlich versucht, jedoch erfolglos. Mittlerweile war die rothaarige Frau der Meinung, dass es Remus besser ging.
Wenn man ihn nicht so gut kannte wie Tonks, machte das durchaus den Eindruck. Remus nahm wieder an den Ordenstreffen teil, ging auf Missionen und war beim Abendessen wieder anwesend. Er unterhielt sich mit den anderen, lächelte ab und an leicht. Doch sein Lächeln hatte seit Sirius' Tod nie seine Augen erreicht.
Die fehlende Wärme in seinen Augen war es, die zeigte, dass er seine Trauer nicht überwältigt, sondern nur verdrängt hatte. In Anwesenheit des Ordens hielt er seine Maske wunderbar aufrecht, doch wenn er allein war, war es anders. Tonks hatte ihn in den letzten Tag des öfteren allein am Küchentisch sitzen sehen. Es war herzzerreißend - als würde er darauf warten, dass Sirius sich zu ihm an den Tisch setzte. Doch Sirius kam nicht, er würde nie wieder kommen. Remus würde ab jetzt allein an dem Tisch sitzen.

Tonks biss sich auf die Lippe. Auch nach zwei Wochen konnte sie den Anblick des gebrochenen Mannes nicht ertragen. Er war so einsam...
Der eigentliche Grund, warum sie ihn aufgesucht hatte, kam ihr wieder in den Sinn. Dumbledore hatte eine Eule geschickt, in der er ankündigte, dass in zehn Minuten eine spontane Versammlung einberufen würde. Sie wollte eigentlich nur Remus darüber informieren. Jetzt stand sie hier und überlegte fieberhaft, wie sie auf ihn zugehen sollte. Sanft, dachte sie und atmete kurz durch.
Leise ging sie auf Remus zu. Er saß mit dem Rücken zu ihr und schien sie nicht einmal zu hören.
Früher hätte sich Tonks niemals so unbemerkt an ihn anschleichen können. Jetzt schien es ihr, als hätte sie die halbe Kücheneinrichtung zu Boden reißen können und er hätte es nicht bemerkt.
Langsam, um ihn nicht zu erschrecken, streifte sie in einer fahrigen Bewegung ihre Hand über seine Schulter und setzte sich neben ihn. Remus zuckte zusammen, sah aber nicht auf.
„Was willst du, Tonks?”, fragte er leise.
Tonks hatte er sie genannt. Die junge Aurorin fand es selbst unglaublich, aber sie fühlte sich verletzt, weil er sie nicht Nymphadora nannte. Zuvor hatte er sie, wenn sie allein waren, immer Nymphadora genannt. Tonks verabscheute ihren Namen, aber die Art, wie er ihn aussprach, - so zärtlich und wertschätzend - war einfach wundervoll. Jetzt war sie wieder nur Tonks für ihn. Vermutlich konnte er sie nicht Nymphadora nennen, weil sonst seine Fassade bröckeln würde. Er hatte eine Schwäche für ihren Namen. Es war etwas besonderes, dass er sie so nennen durfte, dem waren sich beide bewusst.
„Dumbledore hat gerade eine Eule geschickt”, sagte sie, ihre Kehle auf einmal ziemlich trocken. „In zehn Minuten findet eine Versammlung statt.”
Remus sah sie an - er war wahrscheinlich zu überrascht, um dies richtig zu realisieren. „Warum? Ist etwas passiert?”
„Ich weiß nicht”, sagte Tonks schulterzuckend. Als sich Remus' Augen vor Scheck weiteten, fügte sie hastig hinzu: „Hörte sich nicht so an, als wäre etwas Schlimmes passiert.”
Remus starrte sie an. Sein Kopf musste rattern. Tonks vermutete, dass er den heutigen Missionsplan durchgang, um sicherzugehen, dass gerade niemand in Gefahr war. Irgendwann nickte er knapp.
„Remus”, sagte Tonks sanft und berührte seinen Arm, „du solltest -”
Remus spannte such an, sprang dann auf und setzte ein Lächeln auf. „Hättest du gerne eine Tasse Tee, Tonks?”
Tonks sah ihn entgeistert an. „Nein, schon gut... danke.”
Bevor Tonks erneut das Gespräch mit Remus suchen konnte, schwang die Küchentür auf und Mad-Eye humpelte herein. „Tag, ihr zwei”, knurrte er und setzte sich an den Tisch.
„Hallo”, murmelte Tonks.
„Guten Abend, Alastor”, sagte Remus freundlich. „Tee?”
Mad-Eye lehnte ab. Tonks bemerkte, dass sein magisches Auge auf sie gepinnt war. Sein echtes, dunkles Auge sah zu Remus.
„Du weißt auch nicht, weshalb Dumbledore uns jetzt alle hier sehen will?”, fragte Remus. Mad-Eye verneinte.

Später stellte sich heraus, dass nur etwa ein Drittel des Ordens von Dumbledore herbestellt worden war: Remus, Tonks, Mad-Eye, Kingsley, Emmeline, Hestia, Elphias und Dädalus.
„Ihr fragt euch sicher, warum ich gerade euch herbestellt habe”, sagte Dumbledore. Er wirkte etwas seltsam heute, beinahe nervös. „Ich fasse mich kurz: wir haben einen Hinweis bekommen. Mundungus hat mir zukommen lassen, dass er vorhin im Eberkopf zwei Männer, vermutlich Todesser, über wichtige Dokumente und ihr alternatives Hauptquartier sprechen hören hat. Er hat uns einen Stadtteil außerhalb von London genannt. Die Dokumente sollen sich in einem unauffälligen, halb verfallenen Haus befinden, welches ebenfalls als alternatives Hauptquartier und Versteck für die Todesser gilt. Ich konnte fünf Häuser ausmachen, die diesem Zweck ziemlich sicher dienen könnten. Sie liegen alle in der Nähe eines Orts names Coldharbour.”
Dumbledore machte eine kurze Pause und ließ seinen Blick über die Runde schweifen. Niemand sprach ein Wort, alle sahen zu Dumbledore.
„Nun kommt ihr ins Spiel”, fuhr er schließlich fort, „ihr acht gehört zu meinen besten Zauberern und Hexen, nicht zuletzt im Bereich der dunklen Künste. Ich möchte, dass ihr jeweils in Zweiergruppen zu einem der Häuser reist und diese auf Informationen untersucht, die uns nützlich sein könnten. Jedes Detail zählt. Ich werde das fünfte Haus übernehmen. Noch Fragen?”
Jeder schüttelte den Kopf.
„Dann werde ich jetzt die Gruppen einteilen. Elphias und Emmeline, Dädalus und Hestia, Kingsley und Alastor, Nymphadora und Remus.”
Tonks sah nervös zu Remus. Sie war erleichtert, mit ihm auf die Mission gehen zu können. Dennoch wusste sie auch, womit Remus momentan zu kämpfen hatte. Das machte die Sache nicht gerade leicht für sie.
„Ein Wort der Warnung”, sprach Dumbledore und sah jeden einzelnen eindringlich an, „wir wissen nicht, was uns genau erwartet. Dunkle Magie, das mit Sicherheit. Gebt aufeinander Acht.”

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