1. Halbzeit

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Hatte ich nochmal gesagt, dass ich Paris in Grund und Boden rammen wollte? Sie hatten schon nach den ersten zehn Sekunden den Spieß umgedreht. 

Schon geschlagene 40 Minuten dominierten sie das Spiel und wenn wir einmal zufällig einen Ball geschenkt bekamen, verloren wir ihn nach fünf Metern hoffnungslosem Dribbeln. Bürki hatte bereits, durch ein unnötiges Foul von Can einen ziemlich gut positionierten, Freistoß ins Netz bekommen. Unsere Fans waren ziemlich sauer und die Gesänge hatten schon nach der Fünfzehnten Minute nachgelassen.

Wieder einmal standen alle Schwarz-Gelben in ihrer eigenen Hälfte. Die Pariser schoben sich gemächlich den Ball zu und ich versuchte möglichst Druck aufzubauen, aber bringen tat es nicht wirklich was.

„Gio, geh noch in die Viererkette rein! Mittelfeld stärken!", rief unser Trainer. Sein Name reichte, um bei mir einen kleinen Moment der Unaufmerksamkeit zu erreichen. Sofort wurde ein Steilpass vor meiner Nase abgeschossen und ich gaffte wie eine dumme  Gans ins Leere. „Shit!", schrie ich mich selbst an. Ich war so ein Trottel. Vor nicht mal einer Stunde hatte ich mir gesagt, dass ich meine Gefühle unterdrücken musste. Jetzt konnte ich nur hören, wie mich meine eigenen Fans auspfiffen. 

Der Ball landete perfekt vor Mauro Icardi, der mit dem Leder nur noch hinter die Abwehr laufen musste, während die PSG Spieler ganz entspannt nachrückten. Dortmund war wie ein Haufen aufgescheuchter Hühner, wir hatten keinen Plan, was wir machen sollten, obwohl wir das jahrelang geübt hatten. 

Mauro lief in die Ecke, um zu einer Flanke anzusetzen, als plötzlich Can angestürmt kam. Icardi dribbelte, täuschte an und setzt an Can vorbei. Doch Emre wäre nicht Emre, wenn er sich jetzt geschlagen geben würde. Nur leider hatte er mal wieder die falsche Art ausgewählt zu versuchen, den Ball am Weiterkommen zu verhindern. Als wäre es Alltag rutschte er "aus Versehen" aus und grätschte von hinten mitten in Icardis Beine hinein. Die TSG Fans schrien auf und auch unsere Fans murrten. Icardi brüllte auf, als Cans Stollen gegen seine Waden traten. Blitzschnell lag er auf dem Rasen und wälzte sich fluchend umher. Der Schiri pfiff, zückte ohne zu zögern die Rote Karte und deutete gleichzeitig auf den Elfmeterpunkt. Nun schrie das ganze Stadion. Ich klatschte mir meine Hand stumpf gegen die Stirn. Das hat uns gerade noch gefehlt. 

Sofort rannten die Sanitäter der Pariser auf den Platz, Can raffte sich schwerfällig auf und wurde sofort vom Schiedsrichter, der ein ziemlich wütend-enttäuschte Miene zog, mit Zurechtweisungen überhäuft. Ich machte mir nicht mal mehr die Mühe weiter als zum Strafraum zu laufen, stemmte meine Arme in die Hüften und schnaufte auf. Die Sanitäter sahen sich kurz beim Gefoulten die Haut unter den Stutzen an, kühlten mit Wasser, gaben etwas Kühlspray drauf und dann stand er schon wieder. 

Mbappé legte sich bereits das Leder zurecht. Die letzten Spieler schlenderten zusammen und positionierten sich, aber jeder wusste, dass Mbappé niemals nur "fast" traf. Kylian spuckte einmal auf den Boden, dann schluckte er und fokussierte sich. Das waren bestimmt tolle Großaufnahmen fürs Fernsehen, dachte ich belustigt, aber mein Körper konnte sich nicht dazu durchringen, ironisch den Mundwinkel hochzuziehen. Eigentlich tat ich das ziemlich oft, fiel mir auf. Aber einen Mundwinkel hochzuziehen war eine gute Art zu zeigen, dass man etwas nur halb verstanden oder ernst gemeint hatte, oder dass man gerade nicht ganz bei der Sache war. 

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Kylian anlief. Alles war still, jeder bangte um den weiteren Stand des Spieles. Er lief zwei, drei, vier Schritte und holte aus. Roman warf sich in die rechte Ecke. Mbappé ließ seinen Fuß nach unten sausen...und ging noch einen fünften Schritt. Dann schoss er mit dem linken Fuß die Kugel in die andere Ecke ins Netz. Ich ließ den Kopf in der Sekunde entmutigt hängen, in der das Gejohle der Franzosen los ging.

Ich sah es nicht genau, aber sogar vor meinem inneren Auge konnte ich mir vorstellen, wie das gesamte Team in der PSGler Fankurve feierte. Ich ließ meine Arme wieder hängen und schlurfte Richtung Anstoßpunkt. Dort stand auch schon der Schiedsrichter und ich hörte, wie er sich über Funk mit dem VAR unterhielt. „30 Sekunden Nachspielzeit, verstanden!" Sofort kamen auch unsere Gegner nach. Wahrscheinlich wollten sie noch probieren, das schnellste Tor in der Geschichte des Fußballs zu schießen. Wir waren so oder so schon durch. 

Wir positionierten uns neu, aber keiner aus meinem Team sah wirklich motiviert aus. „Erling! Lauf!", rief mir Marco zu. Danke dir, ohne deinen Kommentar hätte ich gar nicht gewusst wozu ich auf dem Platz stehe!, dachte ich grimmig und joggte los, sobald Marcos Fuß den Ball berührte. Doch dann kapierte ich erst, was er vorhatte. Er drosch das Leder nach einem Doppelpass mit Mats nach vorne. Lauf!, hallte es in meinem Kopf wieder. 30 Sekunden an Zeit waren übrig. Sofort sprintete ich los. 

Ich spürte, wie meine Füße den Boden für eine Millisekunde berührten, die Ballen sich abrollten und die Zehen sich sofort wieder abstießen. Wie der leichte Gegenwind an meinem Trikot zerrte. Wie die Fans um mich rum Hoffnung bekamen und sich aufrichteten. Wie sich das Adrenalin in meinen Adern verteilte. Ich spürte, wie ich meine Zähne zusammenbiss und an meine Grenzen ging. Der Ball kam circa fünf Meter vor mir auf. Ich sprintete weiter, bis ich ihn an meinem Fuß spürte und mich orientieren konnte. Ich stand in der perfekten Position. Die Rufe der Fans brannten sich in meinen Gehörgang ein. Ich dribbelte los, versuchte so wenig an Geschwindigkeit zu verlieren wie es ging. Hinter mir trommelten die Füße der näherkommenden Pariser über die Erde. Die letzten beiden Spieler, die mich von dem Tor trennten, stürzten sich auf mich. Ich war so im Rausch, dass ich nicht einmal mehr ihre Namen abrufen konnte. Einen tunnelte ich gekonnt, die Gelbe Wand in meinem Nacken schrie auf. Den anderen täuschte ich schnell rechts an, dribbelte so schnell ich konnte, aber er biss sich hartnäckig fest. Dann fiel mir die letzte riskante Idee ein, die jeder schon aus der E-Jugend kannte. Mit dem Außenriss spielte ich den Ball rechts an ihm vorbei, ich lief links an ihm herum. Als ich den Ball wieder aufnahm und er sich nur noch überrascht zu mir umdrehen konnte, war ich so verdattert, dass ich einen Moment zu lange zögerte zu schießen.

Spieltag ~ Haaland X ReynaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt