Vor dem Spiel

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Mich bereits voll auf das Spiel fokussierend stieg ich aus dem Bus. Die letzten Klänge von Neffex ertönten, dann verstummten meine Kopfhörer und die Musik wurde durch den brummenden Motor unseres Manschaftsbusses und die Gespräche der vielen Fans, die noch an der Einfahrt standen, um vielleicht noch einen Blick auf die Spieler zu erhaschen, abgelöst. Trotzdem ließ ich sie vorerst drin, damit niemand dachte, mich ansprechen zu können und ging die letzten Meter zum Kabineneingang. Hinter mir war der Letzte, der aus dem schwarz-gelben Fahrzeug sprang, Witsel, der nicht gut drauf zu sein schien, denn schon den ganzen Nachmittag zog er dieses finstere Gesicht.

Stumm stapften alle hintereinander durch den noch leeren Interviewbereich, dann bogen wir nach rechts ab und liefen noch an einigen Türen vorbei, bis wir in die Kabine gingen und uns auf unseren Plätzen niederließen. Ich zog mir die Kopfhörer raus und steckte sie in meine Hose. Sofort wurde ich angequatscht. 

Marco stupste mich mit dem Ellbogen an. „Na?", meinte er und grinste leicht. Ich zog einen Mundwinkel hoch. „Gutes Gefühl heute?", fragte er. Ich blies meine Backen auf und ließ die Luft daraus zischend entweichen. „Geht so...", ich wog meinen Kopf hin und her, dann wandte ich meinen Blick weg und zog mir währenddessen mein T-Shirt über den Kopf. Jetzt schien er verstanden zu haben, dass ich keine Lust auf Konversationen hatte, denn als ich wieder was sah, hatte er sich bereits zu seiner Linken gedreht und tratschte jetzt mit Mario weiter. 

Während des ganzen Vorbereitungsprozesses war es erstaunlich ruhig, nur enge Freunde redeten leise ein paar Sätze miteinander. Als ich auf der Liege lag und der Physiotherapeut sich nochmal mein Knie ansah, hörte ich, wie Bürki sich mit seinem Masseur unterhielt. Wahrscheinlich war es nicht von ihm geplant, dass ich es hörte und eigentlich hätte ich nun aus Solidarität meinen Gehörgang abgeschaltet, aber als mein Name fiel, spitzte ich unbewusst die Ohren. 

„Keine Ahnung, was heute mit der Mannschaft los ist. Ich glaube es liegt an Erling und Gio. Sie haben sich schon gestern während dem Training komisch verhalten. Erling hat keine einzige Vorlage von Gio bekommen. Er hat nicht einmal getroffen und Gio jeden Pass verspielt", murmelte er halblaut. „Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber jeder sieht doch, dass sie diese spezielle Verbindung haben! Wo ist die plötzlich hin?" „Jeder hat doch mal einen schlechten Tag!", entgegnete der Blonde mit der Käppi über ihm. „Ja, stimmt schon, aber...", Roman zögerte. „Ich glaube da ist mehr. Ich hab mich mal mit Mats und Marco über diese "Verbindung" unterhalten. Mats meinte, dass die beiden sich auch ständig Blicke zuwerfen..." 

„Hättest du denn was dagegen, wenn sie schwul wären?", schob der Masseur dazwischen. „Nicht im Geringsten, aber irgendwie...es ist halt im Fußball nicht üblich, wegen diesem riesigem Medienauffuhr dann wieder. Sie haben ja beide eine starke Mentalität, das muss man ihnen lassen, aber ich denke für einen Shitstorm mit so großer Bedeutung wären sie, vor allem Gio, noch nicht bereit. Verstehst du überhaupt, was ich meine?", schmunzelte er zum Schluss. „Ja, schon. Vielleicht haben sie gestritten?", vermutete der Masseur. Roman überlegte. „Ich weiß nicht. Kann Gio als unschuldiger Teddybär überhaupt streiten?", lachte er dann und sein Gesprächspartner fiel mit ein. 

Plötzlich gab mir mein Therapeut einen Klaps auf den Hinterkopf. „Aufwachen, Erling!", schmunzelte er und ich richtete mich überrascht auf. Ich war wohl etwas zu schnell, denn mir wurde schwindelig, sodass ich mich einen Moment an der Liege festhalten musste. Dann stürmte ich aus dem Raum zurück in die Kabine. Ohne auf die anderen zu achten, grabschte ich nach meinem Trikot und zog mich um. 

Die ganze Manschaft saß nun in der Kabine, die Startelf, insklusive mir, hatte ihre Spielklamotten an, die Bank normale Trainingsklamotten. Ich hörte zwar unserem Trainer zu, aber mein Blick klebte am Boden vor mir. Ich dachte immer noch über Romans Tratscherei nach. Ja, dieses Wochenende war ich nicht auf Höchstform gewesen, doch mir war es egal, was die anderen mal für ein paar Tage über mich dachten. Solange ich dann im Spiel ablieferte war ja alles gut. Wie der Masseur schon sagte: „Jeder hat mal einen schlechten Tag!" Interessanter fand ich da schon den nächsten Part. Welche Verbindung meinten sie? Zwischen mir und Gio war nicht mehr als mit zum Beispiel Emmanuel oder Roman selber. Von Gios Seite aus war es doch auch nur Freundschaft. Er warf mir keine Blicke zu und er war auch nicht schwul. Also kein besonderes Band. Dann fiel mir ein, dass das, was Roman mit Marco, Mats und dem Käppi-Träger ausgetauscht hatte, Gerüchte waren. Laut meinem Vater, und er hatte meistens recht, hieß es: „Wo Informationen fehlen, wachsen Gerüchte!" Also hatten sie wahrscheinlich zu viel in die Blicke meinerseits interpretiert. Ich musste vorsichtiger sein, sonst wuchs das Geschwätz und erreichten die Medien. Und das wollte ich Gio nicht antun. 

Als dann die letzten Worte gesagt wurden und alle aufstanden, blinzelte ich ein paar Mal, dann konnte ich mich endlich losreißen und sah mich um. Fast jeder bewegte sich bereits in Richtung Tür und damit nach außen. Der Einzige, der auch noch wartete, saß schräg gegenüber von mir. Als ich volle Kanne in seine, wie die Mannschaft immer scherzte und ihn deswegen auch intern "Teddy" nannte, dunkelbraunen, sanften Augen sah, zuckte er leicht zusammen. Huch, ich hatte ihn erschreckt. Dann zog er, meine Geste nach dem Eintreffen in der Kabine nachahmend, einen Mundwinkel hoch und wog den Kopf hin und her, dann wiederum stoppte er und fing an, heftig zu nicken. Nicht nur "Geht so...", sondern 100 Prozent geben!, sagte er indirekt. Augenblicklich musste ich lächeln, dann nickte ich ebenfalls ein wenig. Einen Momentlang blickte Gio mich noch an, dann stand er auf und ging, als wäre nichts passiert, aus dem Raum. 

Ich blieb noch kurz sitzen und fokussierte mich. Auf meiner Liste standen:

1. Mit meinen ollen, verliebten Blicken aufhören
2. Mich in nächster Zeit wieder mehr auf das Training und nicht auf meine Gefühle konzentrieren. Gefühle waren eine Phase, würden vorrübergehen und irgendwann wiederkommen. Meinen Lebenstraum würde ich nur einmal leben können und das wollte ich genießen und nutzen.
3. Nicht nur "Geht so...", sondern 100 Prozent geben! 


Ich wollte Paris in Grund und Boden rammen!

Spieltag ~ Haaland X ReynaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt