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Der Waldboden unter meinen Pfoten gab das leichte Knacken von Holz und das schaumige Schmatzen des Mooses von sich. Ich liebte es zwischen den dunklen Bäumen rumzuschleichen. Als ich aus dem Unterholz auftauchte und plötzlich auf einer Lichtung stand blieb ich verzaubert stehen. Die Sonne, die gerade über die Baumwipfel schien, ließ die Farben der Wildblumen auf dieser kleinen Wiese unnatürlich intensiv leuchten, es war wunderschön. Bis ich dann einen Schreck bekam, denn wenn die Sonne schon so weit am Himmel stand hatte ich mehr Zeit im Wald verbracht als ich geplant hatte. Sofort drehte ich mich um und flitze in die Richtung, aus der ich gekommen war. Ich war schnell für meine Größe und leise, wenn ich es wollte. Sobald ich aus diesem kleinen, waldigen Idyll wieder auf den Stadtrand stieß, bemerkte ich das es tatsächlich nichtmehr früher morgen war, sondern beinahe Mittag. Der Campus der Universität war glücklicherweise direkt am Wald gebaut worden, sodass ich mich auf meinen morgendlichen Ausflügen nicht erst durch den Verkehr der Kleinstadt schlängeln musste. Aber seit den drei Wochen, die ich auf dem Campus wohnte, konnte ich einfach über die Wiese auf das Wohnheim zu laufen. Als kleine graue Wildkatze fiel ich nicht besonders auf und kein Mensch wunderte sich mich zu sehen.

Da ich nicht einfach Türen öffnen konnte und auch keine Lust hatte nackt dazustehen, wenn ich mich wieder in einen Menschen verwandelte hatte ich mir eine Route zu meinem Fenster im ersten Stock gesucht. Dieses Fenster ließ ich Tag und Nacht offenstehen, denn wer konnte wissen wann ich mich mal wieder reinschleichen musste. Schon öfter war es vorgekommen das ich mich mehr oder weniger unabsichtlich verwandelte und dann so den Heimweg antreten musste. Da ich während der Verwandlung schrumpfte wurden dabei nicht einmal meine Klamotten zerrissen, nur waren sie viel zu schwer, um sie mit mir rumzutragen. Und es hätte sicherlich auch auffällig merkwürdig ausgesehen, wenn eine Katze Zeug von Ort A nach B transportierte. Aber so konnte ich durch eine Kombination vom Hochklettern eines Baumes und Springen über drei Fenstersimse unbemerkt in mein Zimmer gelangen. Bei mir angekommen war ich froh bereits drei Wochen vor Semesterstart das Wohnheimzimmer bezogen zu haben. Glücklicherweise hatte ich so auch ein Einzelzimmer auswählen dürfen, nur das Bad und die Kochnische musste ich mir mit den Bewohnern des Zweibettzimmers nebenan teilen. Bei mir angekommen ließ ich mich aufs Bett fallen und fühlte in mich hinein, um den menschlichen Teil von mir zu finden. In meiner Tierform übernahm nicht selten meine animalische Seite die Überhand. Ich konzentrierte mich und spürte ein Kribbeln und wie sich meine Glieder und Muskeln ausstreckten. Die Verwandlung war völlig schmerzlos. Nach wenigen Sekunden saß ich in meiner Menschlichen Gestalt auf dem Bett. Ich warf einen Blick auf die Uhr und zuckte zusammen. Es war viertel vor Zwölf, die Einführungsveranstaltung fürs Studium sollte punkt Zwölf Uhr anfangen. Jetzt musste ich mich beeilen.

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Ich rannte auf das Gebäude des Hörsaals zu und stürzte durch die Eingangstür. Ein Blick auf meine Armbanduhr sagte mir das ich noch eine Minute hatte. Also flitzte ich die Treppen rauf, wobei mir mein felines Inneres zugutekam und öffnete leicht schnaubend die Doppelflügeltür des Hörsaals. Dieser war überfüllt von Menschen und Gerüchen, aber relativ weit in der Mitte erspähte ich noch einen leeren Platz. Also schlängelte ich mich an vielen vorbei, um dann zu sehen das auf dem freien Platz eine Tasche von einem Typen stand. Er schien gerade in ein Gespräch mit seinem Kumpel vertieft zu seien. „Hey, sorry könntest du die Tasche runternehmen?", fragte ich. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen das ich mit ihm geredet hatte, in der ich unangenehm in der Gegend rumstand. Der Blick von seinem Kumpel war sofort auf mich gerichtet gewesen, sodass auch der Typ sich dazu bemühte sich umzudrehen. Er stellte ohne ein Wort und mit einem missbilligenden Blick seine Tasche auf dem Boden und dreht sich wieder weg. Okaaayy, welche Laus war ihm denn über die Leber gelaufen? Aber das konnte mir ja egal sein. Ich ließ mich fallen, natürlich mit der mir Katzen-eigenen Grazilität. Da find auch schon der Redner vorne am Pult an zu sprechen: „Ich begrüße alle Erstsemester der Lebenswissenschaftlichen Fakultät zu ihrem Studienstart! Unter uns befinden sich zukünftige Mediziner, Psychologen, Biologen, Agrar- und Umweltwissenschaftler! Trotz des neuen Campus in dieser wundervollen Lage sind wir eine alte, traditionsbewusste Universität! Diese Woche werden neben den ersten Vorlesungen in ihrem jeweiligen Fachgebiet auch verschiedene Veranstaltungen stattfinden, in denen sie ihre Kommilitonen besser kennenlernen werden. Wir legen ihnen nah im Laufe ihres Studiums in Wahlfächern aus anderen Studienrichtungen ihren Horizont zu erweitern, da kann es ja nicht schlecht sein Kontakte in der ganzen Fakultät zu knüpfen! Und hiermit übergebe ich das Wort an den Sprecher des studentischen Fakultätsrats."

Was jetzt folgte war nichtmehr wirklich spannend. Ich hatte nicht vor mich irgendeiner AG anzuschließen. Jetzt wo meine Aufmerksamkeit nichtmehr auf die Bühne gerichtet war, fing ich an meine Umgebung intensiver wahrzunehmen. Vor allem einen speziellen Geruch nach feuchter Erde, nassem Fell und Moschus. Dieser Geruch, der mir entgegenschrie, dass er von einer anderen Wildkatze kam. Das er mir nicht vorher aufgefallen war, war ein Wunder. Langsam drehte ich mich nach links zu diesem speziell riechenden Sitznachbar. Dessen Kumpel mich immer noch beobachtet... und genauso speziell roch, nicht ganz so stark zwar aber trotzdem. Ich konnte ein Schaudern nicht verhindern und hätte mir am liebsten gegen die Stirn geschlagen für meine Unachtsamkeit. Zusätzlich zu dem Geruch strahlten diese zwei das Charisma von zwei Großkatzen aus.

WildlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt