3. »Antonia Krüger die wandelnde Katastrophe!«

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»Das ist doch der Hammer!«, quiekte Mia ins Handy und ich zog meine Augenbrauen zusammen. »Man, Antonia,das ist ein Jackpot!«

»Wie man's nimmt«, murmelte ich, während ich meine Tasche nahm und einen Blick nach draußen warf. Es schüttete immer noch wie aus Eimern und ich musste zur Arbeit. Leider blieb mir dabei nichts anderes übrig, als mit Regenschirm zufahren. Ob das gut ging ...

»Mach das Beste daraus«, riet sie mir und lachte. »Du brauchst mal wieder einen Kerl, du bist zu verklemmt geworden. Abgesehen davon hat er es total gut aufgenommen, dass du eine Störung hast.«

»Eine Störung?«, wiederholte ich skeptisch und nahm meine Schlüssel. »So hast du es beschrieben?Das ist nicht dein Ernst, oder?«

»Etwas anderes ist es doch nicht«, rechtfertigte sie sich, was mich nur zum Seufzen brachte. »Jetzt ganz ehrlich, lass dir den nicht entgehen.«

»Nimm du ihn dir doch«, grummelte ich und zog meine Jacke an. »Aber warte, du bist ja schon vergeben.«

»Nein!«, rief sie aufgebracht und ich zuckte zusammen. »Hör auf das zu behaupten, sonst verkuppele ich dich doch mit Chris.«

»Ok, ok«, gab ich klein bei, konnte mir ein amüsiertes Lächeln jedoch nicht verkneifen. Das Thema Hannes war bei ihr streng verboten, weil sie es nicht aushielt, in ihn verliebt zu sein. Ich hatte noch nie herausgefunden, was das Problem bei den beiden war. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie beide einen so großen Dickkopf hatten. Aber ich wollte mich da nicht mehr einmischen, mir ging das langsam auf die Nerven. Und Chris war ein ganz anderes Thema. Er war mein bester Freund und Mia meinte, er hätte mehr für mich übrig als Freundschaft. Ich bezweifelte das stark, wir waren Freunde, mehr wollte ich gar nicht. Wobei Mia Recht hatte, was das Thema Männer betraf. Meine letzte Beziehung war geschlagene drei Jahre her und mit einem One-Night-Stand kam ich nicht wirklich weit, wobei das auch gar nicht meine Absicht war. Gefühle mussten bei mir vorhanden sein, bevor ich mit jemandem ins Bett ging. Das war meine Regel, seitdem ich mich mal so scheiße gefühlt hatte, als der Kerl am nächsten Morgen spurlos verschwunden war.

»Mepsi?«, riss mich Mia aus den Gedanken. »Man, muss ich dich erst mit deinem dummen Spitznamen ansprechen?«

»Tschuldige«, murmelte ich und seufzte. »Niemand sagt das. Abgesehen davon nennt mich nur meine Familie so, also musst du das nicht tun.« Ungeduldig fiel mein Blick auf die Uhr. Ich musste los, aber ich hasste es, Mia abzuwimmeln und sie hasste es, wenn man sie abwimmelte oder gar wegdrückte.

»Also morgen, da holen wir dich so gegen neun Uhr ab, ok?«, fragte sie und ich hörte, dass sie den Fernseher eingeschaltet hatte.

»Ja, geht klar. Du Mia, sorry, aber die Arbeit ruft«, teilte ich ihr mit und öffnete gleichzeitig die Tür. »Tut mir leid, aber wir hören uns, ok?«

»Ok«, murmelte sie unzufrieden und im nächsten Moment hatte sie aufgelegt. Ich seufzte erleichtert und verstaute schnell mein Handy in der Tasche, ich war schon zu spät dran. Hektisch schlug ich meine Wohnungstür zu und lief los, bis ich gegen etwas prallte. Verdattert schaute ich nach oben und entdeckte eine schwarze Lederjacke und braune, kurze Haare. Ich erstarrte, jede einzelne Faser meines Körpers war aufs höchste angespannt.

Ich bin jetzt nicht in meinen Nachbarn hineingerannt, redete ich mir ein. Ich war noch nicht bereit für eine erste Begegnung und erst recht nicht für SO eine Begegnung. Gerade nahm ich Anlauf mich zu entschuldigen, oder wenigstens etwas in der Richtung auszusprechen, als der Mann sich umdrehte und mit den wohl durchdringlichsten grünen Augen, die ich je gesehen hatte, auf mich herabschaute. Ich erstarrte noch weiter und schloss meinen offenstehenden Mund. Die Röte schoss mir in Sekundenschnelle ins Gesicht und ich wandte meinen Blick von diesen unheimlich attraktiven Augen ab. Da ich wusste, dass ich in dem Zustand niemals ein Wort hervorbringen konnte, und er ebenfalls noch nichts gesagt hatte, nahm ich einfach meine Tasche und lief an ihm vorbei die Treppe hinab – stets bemüht, nicht einfach einen spektakulären Abgang zu machen und im Krankenhaus zu landen. Und somit ging mein Plan, die Liste der peinlichen Begebenheiten möglichst leerzuhalten, schon mal mächtig in die Hose. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie ich in seinen Augen nun dastand. Eine Frau, die einen erst anrempelte, dann anstarrte und zum Schluss wegrannte, als hätte sie einen Geist gesehen.

Ganz toll gemacht, Antonia. Wirklich, klasse.

In dem Moment wünschte ich mir, diesem Mann nie wieder zu begegnen, aber dieser Wunsch sollte mir verwehrt bleiben. Gerade als ich es heile die Treppe heruntergeschafft hatte, und nun draußen im Regen mein Fahrrad wieder hervorholte, kam der Mann ebenfalls aus der Tür. Natürlich wollte er auch weg, was hatte ich anderes erwartet? Kaum hatte er die Tür geschlossen, trafen sich unsere Blicke und ich erstarrte erneut in meiner Position, nicht etwa, weil mir irgendetwas peinlich war, sondern wegen seines Ausdrucks. Sein Blick war kühl und hart, seine Miene verschlossen. War er etwa sauer auf mich? Weil ich mich nicht entschuldigt hatte? Es schien so, da er mir nur leicht zunickte und sich nicht weiter mit mir befasste, sondern einfach raus in den Regen lief. Ich nahm mir die Zeit und musterte ihn. Er trug komplett schwarze Sachen, schien gut gebaut und mir fiel der Motorradhelm auf, den er in der Hand hielt. Verwundert runzelte ich die Stirn. Wer fährt bei dem Wetter Motorrad? Mein Nachbar anscheinend.

»Hey, Mepsi!«, rief plötzlich jemand durch den Regen. Mein Blick löste sich von dem Mann und glitt hin zudem schwarzen Auto meines Bruders. »Willst du wirklich bei dem Wetter mit dem Fahrrad los?!«

Ich erkannte Henry nur minimal durch den Regenschleier, doch er kam mir wie gerufen. So fühlte ich mich mit meinem Fahrrad nicht ganz so blöd neben meinem Nachbarn, der mit seinem Motorrad fuhr. Abgesehen davon wurde ich nicht nass, also sagte ich definitiv nicht Nein. Die Möglichkeit in eine Pfütze zutreten ignorierend, lief ich einfach los zu dem schwarzem Golf meines Bruders. Mein Blick huschte dabei noch einmal zu dem Mann und ich merkte, dass er mich durch sein Visier ebenfalls beobachtete. Seinen Ausdruck konnte ich nicht ausmachen, ich glaubte nur diese grünen Augen zu sehen, die mich durch den schleierhaften Regen regelrecht anstrahlten und mich zu durchbohren schienen. Dieser Anblick fesselte mich mindestens genau so sehr wie der der Stadt auf meinem Balkon. Ich vergaß fast, dass ich durch den Regen lief und wahrscheinlich in eine Pfütze getreten war. Ich konnte ihm meinen Blick erst entreißen, als ich schon wieder gegen etwas rannte, nur war es diesmal Henrys Auto und nicht der Rücken meines Nachbarn – worüber ich froh war, nochmal sollte mir das nicht passieren. Etwas durch den Wind wegen dieser skurrilen Situation, schloss ich schnell den Regenschirm und schlüpfte in das schöne, warme Auto.

»Du bist meine Rettung«, sagte ich und atmete erleichtert auf.

»Vor dem Regen oder vor dem Typen?«, fragte er amüsiert, genau als der Mann mit seinem Motorrad an uns vorbeifuhr. Wer auch immer der war, er schien nicht so schlau zu sein, denn wenn er dort ankam, wo er hinwollte, war er mit höchster Wahrscheinlichkeit bis auf die Unterwäsche durchnässt.

Vielleicht fährt er ja auch nach Hause. Genau, vielleicht war er gar nicht mein Nachbar, sondern nur ein Freund oder vielleicht hatte ich gar keinen männlichen Nachbarn.

»Wohl beides«, antwortete ich auf Henrys Frage und er lachte, während er sich durch seine Musikliste wühlte.

»Ich bin gerade in ihn hineingerannt«, teilte ich ihm mit und sein Lachen wurde minimal lauter. »Danach bin ich einfach weggelaufen.«

»Schlaue Entscheidung«, schmunzelte er. »Flüchten ist immer gut. Zumindest in deiner Lage, normale Menschen hätten sich entschuldigt und vielleicht eine Unterhaltung angefangen.«

»Ich glaube, er mag mich nicht. Du hättest seinen Blick eben sehen müssen, ich hatte voll Angst.«

»Du hast immer Angst«, erwiderte er belustigt und wuschelte mir durch mein Haar. »An deiner Stelle hätte ich das aber auch, Mepsi.«

»Antonia Krüger, die wandelnde Katastrophe!«, rief ich durchs Auto, als würde ich gerade für irgendein Produkt werben. »Ich weiß, ich weiß.«

Nicht der beste Ruf, doch ich hatte ihn nicht grundlos bekommen.

Last Chance (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt